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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Florenz und die Kirche

was Hütte denn Dante der Kurie noch beleidigenderes sagen sollen, als was
er schon geschrieben hatte? Unsaubere Anekdoten hätten doch nicht in die
Göttliche Komödie gepaßt, und daß er ketzerische Meinungen gehegt haben
sollte, ist nicht anzunehmen. Mit großem und heiligem Ernst bekennt er sich
zur Lehre des Thomas von Agninv. In solchen Dingen zu heucheln, lag
weder in seinem Charakter, noch in dem seiner Zeit. Die damaligen Menschen
logen zwar zu Privat- und Parteizwecken nicht weniger als wir heutigen, aber
wo es sich um eine Überzeugung handelte, da ließen sie sich lieber in Stücke
hauen oder lebendig verbrennen, als daß sie durch Verschweigen oder Widerruf
dein Gegner den Triumph eines moralischen Sieges bereitet hatten; darin
waren Rechtgläubige und Ketzer wie auch später noch bis ins siebzehnte
Jahrhundert hinein Katholiken und Protestanten einander gleich.

Wenn Dante jemand zu furchten hatte, so war es nicht die Inquisition,
sondern seine Vaterstadt, und an diese richtete er die beleidigendsten Briefe.
Wäre er nur nicht Ghibelline gewesen, als Ketzer oder Freigeist hätte er in
ihren Mauern unangefochten wandeln können. Fehlte es doch nicht an Un-
gläubigen und Spöttern. Von seinem ältern Zeitgenossen Guido Calvaeante,
den er mich in die Hölle versetzt, pflegten, wenn er in Gedanken versunken auf
der Straße stehen blieb, die Leute zu sagen: er heckt wieder einen Beweis
gegen das Dasein Gottes aus. Ein Geistlicher hatte die Wegzehrung dnrch
einen angeschwollenen Fluß getragen. Einige Landleute, die am Ufer standen,
riefen ihm zu: "Dn kannst dem Herrn Christus danken, daß er dich gerettet
hat!" Der aber erwiderte frech: "Wenn ich ihm. nicht anders geholfen hätte,
als er mir geholfen hat, so lägen wir jetzt beide drunten." In Gesellschaften
wurde es seitdem Mode, Fragen aufzuwerfen wie die: ,,Was wäre dir wohl
bei eineiu Schiffbruch lieber, das Johannisevangelinm (dessen Anfang als Amulet
gedient haben mag) oder ein Schwimmgürtel?" Man entschied sich gewöhnlich
einstimmig für den Schwimmgürtel. Ab und zu reagirte das Volk gegen
Freigeisterei und Lästerungen, auch gegen die häufige Sonntagsentheiligung;
dann entwickelte sich wieder ans einige Zeit ein großer Eifer im Kirchenbesuch
und in andern Andachtsübungen. Die zahlreichen Wohlthätigkeitsbrnderschaften
bewahrten durchweg deu kirchlichen Charakter; die Volksfeste schlössen sich
zumeist den Kirchenfesten an -- das Fest des Täufers Johannes, des Schutz¬
heiligen der Taufkirche, wurde als Staatsaktion begangen --, und auch wissen¬
schaftliche Bestrebungen knüpften an die Kirche an, z. B. dnrch Gründung von
Bibliotheken bei einzelnen Kirchen. Der Papst aber war, wie gesagt, Jahr¬
zehnte hindurch ohne Einfluß; nur in Finanzgeschäften hatte man mehr als
je mit ihm zu thun.

Als dann französische und spanische Legaten die abgefallenen Städte und
Landschaften des Kirchenstaates wieder zu erobern begannen, gerieten die
Florentiner allmählich in offene Feindschaft gegen den Papst, linker Gregor XI.


Florenz und die Kirche

was Hütte denn Dante der Kurie noch beleidigenderes sagen sollen, als was
er schon geschrieben hatte? Unsaubere Anekdoten hätten doch nicht in die
Göttliche Komödie gepaßt, und daß er ketzerische Meinungen gehegt haben
sollte, ist nicht anzunehmen. Mit großem und heiligem Ernst bekennt er sich
zur Lehre des Thomas von Agninv. In solchen Dingen zu heucheln, lag
weder in seinem Charakter, noch in dem seiner Zeit. Die damaligen Menschen
logen zwar zu Privat- und Parteizwecken nicht weniger als wir heutigen, aber
wo es sich um eine Überzeugung handelte, da ließen sie sich lieber in Stücke
hauen oder lebendig verbrennen, als daß sie durch Verschweigen oder Widerruf
dein Gegner den Triumph eines moralischen Sieges bereitet hatten; darin
waren Rechtgläubige und Ketzer wie auch später noch bis ins siebzehnte
Jahrhundert hinein Katholiken und Protestanten einander gleich.

Wenn Dante jemand zu furchten hatte, so war es nicht die Inquisition,
sondern seine Vaterstadt, und an diese richtete er die beleidigendsten Briefe.
Wäre er nur nicht Ghibelline gewesen, als Ketzer oder Freigeist hätte er in
ihren Mauern unangefochten wandeln können. Fehlte es doch nicht an Un-
gläubigen und Spöttern. Von seinem ältern Zeitgenossen Guido Calvaeante,
den er mich in die Hölle versetzt, pflegten, wenn er in Gedanken versunken auf
der Straße stehen blieb, die Leute zu sagen: er heckt wieder einen Beweis
gegen das Dasein Gottes aus. Ein Geistlicher hatte die Wegzehrung dnrch
einen angeschwollenen Fluß getragen. Einige Landleute, die am Ufer standen,
riefen ihm zu: „Dn kannst dem Herrn Christus danken, daß er dich gerettet
hat!" Der aber erwiderte frech: „Wenn ich ihm. nicht anders geholfen hätte,
als er mir geholfen hat, so lägen wir jetzt beide drunten." In Gesellschaften
wurde es seitdem Mode, Fragen aufzuwerfen wie die: ,,Was wäre dir wohl
bei eineiu Schiffbruch lieber, das Johannisevangelinm (dessen Anfang als Amulet
gedient haben mag) oder ein Schwimmgürtel?" Man entschied sich gewöhnlich
einstimmig für den Schwimmgürtel. Ab und zu reagirte das Volk gegen
Freigeisterei und Lästerungen, auch gegen die häufige Sonntagsentheiligung;
dann entwickelte sich wieder ans einige Zeit ein großer Eifer im Kirchenbesuch
und in andern Andachtsübungen. Die zahlreichen Wohlthätigkeitsbrnderschaften
bewahrten durchweg deu kirchlichen Charakter; die Volksfeste schlössen sich
zumeist den Kirchenfesten an — das Fest des Täufers Johannes, des Schutz¬
heiligen der Taufkirche, wurde als Staatsaktion begangen —, und auch wissen¬
schaftliche Bestrebungen knüpften an die Kirche an, z. B. dnrch Gründung von
Bibliotheken bei einzelnen Kirchen. Der Papst aber war, wie gesagt, Jahr¬
zehnte hindurch ohne Einfluß; nur in Finanzgeschäften hatte man mehr als
je mit ihm zu thun.

Als dann französische und spanische Legaten die abgefallenen Städte und
Landschaften des Kirchenstaates wieder zu erobern begannen, gerieten die
Florentiner allmählich in offene Feindschaft gegen den Papst, linker Gregor XI.


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[0430] Florenz und die Kirche was Hütte denn Dante der Kurie noch beleidigenderes sagen sollen, als was er schon geschrieben hatte? Unsaubere Anekdoten hätten doch nicht in die Göttliche Komödie gepaßt, und daß er ketzerische Meinungen gehegt haben sollte, ist nicht anzunehmen. Mit großem und heiligem Ernst bekennt er sich zur Lehre des Thomas von Agninv. In solchen Dingen zu heucheln, lag weder in seinem Charakter, noch in dem seiner Zeit. Die damaligen Menschen logen zwar zu Privat- und Parteizwecken nicht weniger als wir heutigen, aber wo es sich um eine Überzeugung handelte, da ließen sie sich lieber in Stücke hauen oder lebendig verbrennen, als daß sie durch Verschweigen oder Widerruf dein Gegner den Triumph eines moralischen Sieges bereitet hatten; darin waren Rechtgläubige und Ketzer wie auch später noch bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein Katholiken und Protestanten einander gleich. Wenn Dante jemand zu furchten hatte, so war es nicht die Inquisition, sondern seine Vaterstadt, und an diese richtete er die beleidigendsten Briefe. Wäre er nur nicht Ghibelline gewesen, als Ketzer oder Freigeist hätte er in ihren Mauern unangefochten wandeln können. Fehlte es doch nicht an Un- gläubigen und Spöttern. Von seinem ältern Zeitgenossen Guido Calvaeante, den er mich in die Hölle versetzt, pflegten, wenn er in Gedanken versunken auf der Straße stehen blieb, die Leute zu sagen: er heckt wieder einen Beweis gegen das Dasein Gottes aus. Ein Geistlicher hatte die Wegzehrung dnrch einen angeschwollenen Fluß getragen. Einige Landleute, die am Ufer standen, riefen ihm zu: „Dn kannst dem Herrn Christus danken, daß er dich gerettet hat!" Der aber erwiderte frech: „Wenn ich ihm. nicht anders geholfen hätte, als er mir geholfen hat, so lägen wir jetzt beide drunten." In Gesellschaften wurde es seitdem Mode, Fragen aufzuwerfen wie die: ,,Was wäre dir wohl bei eineiu Schiffbruch lieber, das Johannisevangelinm (dessen Anfang als Amulet gedient haben mag) oder ein Schwimmgürtel?" Man entschied sich gewöhnlich einstimmig für den Schwimmgürtel. Ab und zu reagirte das Volk gegen Freigeisterei und Lästerungen, auch gegen die häufige Sonntagsentheiligung; dann entwickelte sich wieder ans einige Zeit ein großer Eifer im Kirchenbesuch und in andern Andachtsübungen. Die zahlreichen Wohlthätigkeitsbrnderschaften bewahrten durchweg deu kirchlichen Charakter; die Volksfeste schlössen sich zumeist den Kirchenfesten an — das Fest des Täufers Johannes, des Schutz¬ heiligen der Taufkirche, wurde als Staatsaktion begangen —, und auch wissen¬ schaftliche Bestrebungen knüpften an die Kirche an, z. B. dnrch Gründung von Bibliotheken bei einzelnen Kirchen. Der Papst aber war, wie gesagt, Jahr¬ zehnte hindurch ohne Einfluß; nur in Finanzgeschäften hatte man mehr als je mit ihm zu thun. Als dann französische und spanische Legaten die abgefallenen Städte und Landschaften des Kirchenstaates wieder zu erobern begannen, gerieten die Florentiner allmählich in offene Feindschaft gegen den Papst, linker Gregor XI.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/430>, abgerufen am 24.07.2024.