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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Florenz und die Kirche

Praktischer Thätigkeit zugewandt. Er eignet sich schlechterdings nicht zur
Stütze irgend einer Orthodoxie und fühlt sich von vornherein Leuten, die
allerlei Hypothesen aufstellen, um so verwandter, je schärfer darin die Oppo¬
sition gegen das Herkömmliche zu Tage tritt. Aber orientalische Ungeheuerlich¬
keiten und düstere Tenfelsphantasicn mußten nicht allein der natürlichen
Heiterkeit der TvSkaner widerstreben, sondern mich jener nüchternen Ver¬
ständigkeit und jenem Bedürfnisse nach Ebenmaß,, die nicht minder hervorragende
Eigenschaften eben desselben attisch-florentinischen Geistes sind. Die Florentiner
nahmen daher zwar in Masse patarenische Lehrmeinungen an, siebten sie aber,
um mit Perrens zu reden, für ihren Privatgebrauch durch; das Phantastische
schieden sie aus und behielten nur das sozusagen bürgerliche Element,
d. h. die Wertschätzung der lmrgcrlichcn Tüchtigkeit und die Gleichgiltigkeit
gegen daS Kirchliche. "Steht denn irgendwo im Neuen Testament zu lesen
-- heißt es in einer Predigt gegen die Patarener --, "daß die Apostel ans die
Jahrmärkte gezogen wären und Geld zusammengescharrt hätten, wie ihr thut?"
Wir werden uns also die florentinischen Patarener als einen Menschenschlag
von der Art der Reformirten zudenken haben, nnr natürlich ohne puritanische
Färbung, die nicht nach Toskana gepaßt hätte. Es waren tüchtige Gesellen,
die unermüdlich schafften nud täglich reicher wurden. Almosengeben und
Betteln war bei ihnen verpönt; wer ihrer Gemeinschaft beitrat, kam. rasch
zu Vermögen. Das Ware" gerade die richtigen Leute für dieses Gemeinwesen.
Denn Florenz war, wie Trvllope sich ausdrückt, ein Nieueustvck ohne Drohne";
(der Titel seines Werkes: ^ in"t,ory ot tuo vcnnmon >ovo,M uf Vloronoo ist
bezeichnend für den Engländer). Der Müßiggang war verachtet; wer bürgerliche
Rechte ausüben wollte, mußte sich in eine Zunft aufnehme" lassen und ein
Gewerbe betreibe", mochte er auch der Sprößling eines alten Grafengeschlechts
und Besitzer großer Reichtümer sein.

Mau kann sich denken, welches Ärgernis das Gedeihen der Ketzerei i"
einer so wichtigen und uoch dazu gnelfischen Stadt für die Kurie und für
die Frommen sein mußte. Dominikus und Franziskus, die Stifter der beiden
großen Vettelvrden, bemühten sich persönlich, richtete" aber bei dem weltlich
gesinnten und schon aufgeklärten Völkchen nichts aus. Der Aufrichtung eines
Inqnisitivnstribnnals setzte die auf ihre Unabhängigkeit eifersüchtige Gemeinde
den zähesten Widerstand entgegen. Endlich gelang es dein Papste Gregor IX.,
ihnen einen Inquisitor aufzuhalsen und sie zur Einfügung eines Statuts
alö lmsreUeis äiüÄg."(it8 ot lmnisnäis (sie!) in ihre Gesetzsammlung zu
bewegen. Aber der Inquisitor mußte sich drei Jahre lang darauf beschränken,
dem Podestu. hie und da einen Ketzer zu denunziren; selbst Gericht abzuhalten,
das wurde ihm erst möglich, nachdem er dem Volke einzureden verstanden
hatte, die Ketzer wollten die Kirche Santa Maria Novella anzünden. Er
verurteilte eine Anzahl von ihnen zum Scheiterhaufen und ließ sie einkerkern,


Florenz und die Kirche

Praktischer Thätigkeit zugewandt. Er eignet sich schlechterdings nicht zur
Stütze irgend einer Orthodoxie und fühlt sich von vornherein Leuten, die
allerlei Hypothesen aufstellen, um so verwandter, je schärfer darin die Oppo¬
sition gegen das Herkömmliche zu Tage tritt. Aber orientalische Ungeheuerlich¬
keiten und düstere Tenfelsphantasicn mußten nicht allein der natürlichen
Heiterkeit der TvSkaner widerstreben, sondern mich jener nüchternen Ver¬
ständigkeit und jenem Bedürfnisse nach Ebenmaß,, die nicht minder hervorragende
Eigenschaften eben desselben attisch-florentinischen Geistes sind. Die Florentiner
nahmen daher zwar in Masse patarenische Lehrmeinungen an, siebten sie aber,
um mit Perrens zu reden, für ihren Privatgebrauch durch; das Phantastische
schieden sie aus und behielten nur das sozusagen bürgerliche Element,
d. h. die Wertschätzung der lmrgcrlichcn Tüchtigkeit und die Gleichgiltigkeit
gegen daS Kirchliche. „Steht denn irgendwo im Neuen Testament zu lesen
— heißt es in einer Predigt gegen die Patarener —, „daß die Apostel ans die
Jahrmärkte gezogen wären und Geld zusammengescharrt hätten, wie ihr thut?"
Wir werden uns also die florentinischen Patarener als einen Menschenschlag
von der Art der Reformirten zudenken haben, nnr natürlich ohne puritanische
Färbung, die nicht nach Toskana gepaßt hätte. Es waren tüchtige Gesellen,
die unermüdlich schafften nud täglich reicher wurden. Almosengeben und
Betteln war bei ihnen verpönt; wer ihrer Gemeinschaft beitrat, kam. rasch
zu Vermögen. Das Ware» gerade die richtigen Leute für dieses Gemeinwesen.
Denn Florenz war, wie Trvllope sich ausdrückt, ein Nieueustvck ohne Drohne»;
(der Titel seines Werkes: ^ in»t,ory ot tuo vcnnmon >ovo,M uf Vloronoo ist
bezeichnend für den Engländer). Der Müßiggang war verachtet; wer bürgerliche
Rechte ausüben wollte, mußte sich in eine Zunft aufnehme» lassen und ein
Gewerbe betreibe», mochte er auch der Sprößling eines alten Grafengeschlechts
und Besitzer großer Reichtümer sein.

Mau kann sich denken, welches Ärgernis das Gedeihen der Ketzerei i»
einer so wichtigen und uoch dazu gnelfischen Stadt für die Kurie und für
die Frommen sein mußte. Dominikus und Franziskus, die Stifter der beiden
großen Vettelvrden, bemühten sich persönlich, richtete» aber bei dem weltlich
gesinnten und schon aufgeklärten Völkchen nichts aus. Der Aufrichtung eines
Inqnisitivnstribnnals setzte die auf ihre Unabhängigkeit eifersüchtige Gemeinde
den zähesten Widerstand entgegen. Endlich gelang es dein Papste Gregor IX.,
ihnen einen Inquisitor aufzuhalsen und sie zur Einfügung eines Statuts
alö lmsreUeis äiüÄg.»(it8 ot lmnisnäis (sie!) in ihre Gesetzsammlung zu
bewegen. Aber der Inquisitor mußte sich drei Jahre lang darauf beschränken,
dem Podestu. hie und da einen Ketzer zu denunziren; selbst Gericht abzuhalten,
das wurde ihm erst möglich, nachdem er dem Volke einzureden verstanden
hatte, die Ketzer wollten die Kirche Santa Maria Novella anzünden. Er
verurteilte eine Anzahl von ihnen zum Scheiterhaufen und ließ sie einkerkern,


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[0422] Florenz und die Kirche Praktischer Thätigkeit zugewandt. Er eignet sich schlechterdings nicht zur Stütze irgend einer Orthodoxie und fühlt sich von vornherein Leuten, die allerlei Hypothesen aufstellen, um so verwandter, je schärfer darin die Oppo¬ sition gegen das Herkömmliche zu Tage tritt. Aber orientalische Ungeheuerlich¬ keiten und düstere Tenfelsphantasicn mußten nicht allein der natürlichen Heiterkeit der TvSkaner widerstreben, sondern mich jener nüchternen Ver¬ ständigkeit und jenem Bedürfnisse nach Ebenmaß,, die nicht minder hervorragende Eigenschaften eben desselben attisch-florentinischen Geistes sind. Die Florentiner nahmen daher zwar in Masse patarenische Lehrmeinungen an, siebten sie aber, um mit Perrens zu reden, für ihren Privatgebrauch durch; das Phantastische schieden sie aus und behielten nur das sozusagen bürgerliche Element, d. h. die Wertschätzung der lmrgcrlichcn Tüchtigkeit und die Gleichgiltigkeit gegen daS Kirchliche. „Steht denn irgendwo im Neuen Testament zu lesen — heißt es in einer Predigt gegen die Patarener —, „daß die Apostel ans die Jahrmärkte gezogen wären und Geld zusammengescharrt hätten, wie ihr thut?" Wir werden uns also die florentinischen Patarener als einen Menschenschlag von der Art der Reformirten zudenken haben, nnr natürlich ohne puritanische Färbung, die nicht nach Toskana gepaßt hätte. Es waren tüchtige Gesellen, die unermüdlich schafften nud täglich reicher wurden. Almosengeben und Betteln war bei ihnen verpönt; wer ihrer Gemeinschaft beitrat, kam. rasch zu Vermögen. Das Ware» gerade die richtigen Leute für dieses Gemeinwesen. Denn Florenz war, wie Trvllope sich ausdrückt, ein Nieueustvck ohne Drohne»; (der Titel seines Werkes: ^ in»t,ory ot tuo vcnnmon >ovo,M uf Vloronoo ist bezeichnend für den Engländer). Der Müßiggang war verachtet; wer bürgerliche Rechte ausüben wollte, mußte sich in eine Zunft aufnehme» lassen und ein Gewerbe betreibe», mochte er auch der Sprößling eines alten Grafengeschlechts und Besitzer großer Reichtümer sein. Mau kann sich denken, welches Ärgernis das Gedeihen der Ketzerei i» einer so wichtigen und uoch dazu gnelfischen Stadt für die Kurie und für die Frommen sein mußte. Dominikus und Franziskus, die Stifter der beiden großen Vettelvrden, bemühten sich persönlich, richtete» aber bei dem weltlich gesinnten und schon aufgeklärten Völkchen nichts aus. Der Aufrichtung eines Inqnisitivnstribnnals setzte die auf ihre Unabhängigkeit eifersüchtige Gemeinde den zähesten Widerstand entgegen. Endlich gelang es dein Papste Gregor IX., ihnen einen Inquisitor aufzuhalsen und sie zur Einfügung eines Statuts alö lmsreUeis äiüÄg.»(it8 ot lmnisnäis (sie!) in ihre Gesetzsammlung zu bewegen. Aber der Inquisitor mußte sich drei Jahre lang darauf beschränken, dem Podestu. hie und da einen Ketzer zu denunziren; selbst Gericht abzuhalten, das wurde ihm erst möglich, nachdem er dem Volke einzureden verstanden hatte, die Ketzer wollten die Kirche Santa Maria Novella anzünden. Er verurteilte eine Anzahl von ihnen zum Scheiterhaufen und ließ sie einkerkern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/422>, abgerufen am 24.07.2024.