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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Florenz und die Kirche

Richterstuhl des Markgrafen geschleppt. Nun aber ging der Lärm erst los.
Heulend wälzte sich die Menge im Strcißenkvt; die Weiber rannten mit
fliegenden Haaren und ihre Brüste zerschlagend herum und schrieen: "Christus,
man verjagt dich! Simon der Magier läßt dich nicht bei uns wohnen!"
Die Männer erklärten, sie würden ihre Stadt eher anzünden als der Ketzerei
verfallen lassen. Die von den Mönchen angebotene, vom Konzil verbotene
Feuerprobe wurde durchgesetzt. Nach 48stündiger Vorbereitung durch Gebet
und Fasten strömte am 12. Februar 1068 das Volk nach San Snlvatore.
Bor dessen Pforte waren zwei Holzstöße aufgeschichtet, zwischen denen ein
schmaler Gang hindurchführte; diesen sollte einer der Mönche durchschreiten.
Der unansehnlichste der Brüderschaft, der sonst dazu verwendet wurde, die
Kühe und Esel des Klosters zu hüten, ward für die Ehre auserkoren.
Langsamer Schrittes wandelte er zwischen den brennenden Scheiterhaufen
hindurch. Unterwegs -- es scheint ein ungewöhnlich zivilisirter Mönch
gewesen zu sei" -- verlor er sein Taschentuch; er kehrte in die Flammen
zurück und brachte auch dieses unversehrt heraus (was, wenn die Holzstöße
gerade erst zu brennen angefangen hatten, weder eine Heldenthat noch ein
Wunder war). Die Stadtobrigkeit berichtete an den Papst. Man bitte um
Entschuldigung wegen des Ungehorsams, aber Gott habe doch jetzt selbst
entschieden. Die Obrigkeit habe unmöglich den Vorwurf der Häresie, mit
dem das Boll sie habe brandmarken wollen, auf sich sitzen lassen können.
Nachdem nur Simon Petrus verherrlicht und Simon Magus in den Kot
niedergeschmettert worden sei, möge der Bater der Gläubigen uicht säumen,
die Florentiner mit der Kirche wieder auszusöhnen. Wie gern mag er sich
für überwunden erklärt haben!

Perrens mißt diesem Vorgange, wie es scheint mit Recht, große Bedeutung
bei. Die Florentiner hatten ihren Willen gegen den Markgrafen und den
Bischof, gegen Papst und Kaiser durchgesetzt und Ware" so innegeworden, daß
sie wohl ein selbständiges Gemeinwesen zu sein vermöchten; vielleicht darf man
die Republik von dein Tage jeuer Feuerprobe an datiren. Namentlich das
gemeine Volk aber hatte die Erfahrung gewonnen, wie viel sich mit Tode"
und Lärmen ausrichten lasse, und wie oft hat es seitdem zu andern Zwecken
von diesem Mittel Gebrauch gemacht!


2

Ju der großen häretischen Bewegung des zwölften und dreizehnten Jahr¬
hunderts spielte Florenz eine hervorragende Rolle. Im Jahre 1194 verfolgte ein
Bischof von Worms als Legat Heinrichs VI. die Katharer Oberitaliens. Die
von Prato kamen nach Florenz und fanden hinter dessen Mauern sichern
Schutz. Der florentinische, dem attischen so nahe verwandte Geist ist selbständig,
beweglich, fein und scharf, dabei lebensfroh und anmutig, zugleich aber auch


Gnnizl'öde" II 18!"I 'V!
Florenz und die Kirche

Richterstuhl des Markgrafen geschleppt. Nun aber ging der Lärm erst los.
Heulend wälzte sich die Menge im Strcißenkvt; die Weiber rannten mit
fliegenden Haaren und ihre Brüste zerschlagend herum und schrieen: „Christus,
man verjagt dich! Simon der Magier läßt dich nicht bei uns wohnen!"
Die Männer erklärten, sie würden ihre Stadt eher anzünden als der Ketzerei
verfallen lassen. Die von den Mönchen angebotene, vom Konzil verbotene
Feuerprobe wurde durchgesetzt. Nach 48stündiger Vorbereitung durch Gebet
und Fasten strömte am 12. Februar 1068 das Volk nach San Snlvatore.
Bor dessen Pforte waren zwei Holzstöße aufgeschichtet, zwischen denen ein
schmaler Gang hindurchführte; diesen sollte einer der Mönche durchschreiten.
Der unansehnlichste der Brüderschaft, der sonst dazu verwendet wurde, die
Kühe und Esel des Klosters zu hüten, ward für die Ehre auserkoren.
Langsamer Schrittes wandelte er zwischen den brennenden Scheiterhaufen
hindurch. Unterwegs — es scheint ein ungewöhnlich zivilisirter Mönch
gewesen zu sei» — verlor er sein Taschentuch; er kehrte in die Flammen
zurück und brachte auch dieses unversehrt heraus (was, wenn die Holzstöße
gerade erst zu brennen angefangen hatten, weder eine Heldenthat noch ein
Wunder war). Die Stadtobrigkeit berichtete an den Papst. Man bitte um
Entschuldigung wegen des Ungehorsams, aber Gott habe doch jetzt selbst
entschieden. Die Obrigkeit habe unmöglich den Vorwurf der Häresie, mit
dem das Boll sie habe brandmarken wollen, auf sich sitzen lassen können.
Nachdem nur Simon Petrus verherrlicht und Simon Magus in den Kot
niedergeschmettert worden sei, möge der Bater der Gläubigen uicht säumen,
die Florentiner mit der Kirche wieder auszusöhnen. Wie gern mag er sich
für überwunden erklärt haben!

Perrens mißt diesem Vorgange, wie es scheint mit Recht, große Bedeutung
bei. Die Florentiner hatten ihren Willen gegen den Markgrafen und den
Bischof, gegen Papst und Kaiser durchgesetzt und Ware» so innegeworden, daß
sie wohl ein selbständiges Gemeinwesen zu sein vermöchten; vielleicht darf man
die Republik von dein Tage jeuer Feuerprobe an datiren. Namentlich das
gemeine Volk aber hatte die Erfahrung gewonnen, wie viel sich mit Tode»
und Lärmen ausrichten lasse, und wie oft hat es seitdem zu andern Zwecken
von diesem Mittel Gebrauch gemacht!


2

Ju der großen häretischen Bewegung des zwölften und dreizehnten Jahr¬
hunderts spielte Florenz eine hervorragende Rolle. Im Jahre 1194 verfolgte ein
Bischof von Worms als Legat Heinrichs VI. die Katharer Oberitaliens. Die
von Prato kamen nach Florenz und fanden hinter dessen Mauern sichern
Schutz. Der florentinische, dem attischen so nahe verwandte Geist ist selbständig,
beweglich, fein und scharf, dabei lebensfroh und anmutig, zugleich aber auch


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[0421] Florenz und die Kirche Richterstuhl des Markgrafen geschleppt. Nun aber ging der Lärm erst los. Heulend wälzte sich die Menge im Strcißenkvt; die Weiber rannten mit fliegenden Haaren und ihre Brüste zerschlagend herum und schrieen: „Christus, man verjagt dich! Simon der Magier läßt dich nicht bei uns wohnen!" Die Männer erklärten, sie würden ihre Stadt eher anzünden als der Ketzerei verfallen lassen. Die von den Mönchen angebotene, vom Konzil verbotene Feuerprobe wurde durchgesetzt. Nach 48stündiger Vorbereitung durch Gebet und Fasten strömte am 12. Februar 1068 das Volk nach San Snlvatore. Bor dessen Pforte waren zwei Holzstöße aufgeschichtet, zwischen denen ein schmaler Gang hindurchführte; diesen sollte einer der Mönche durchschreiten. Der unansehnlichste der Brüderschaft, der sonst dazu verwendet wurde, die Kühe und Esel des Klosters zu hüten, ward für die Ehre auserkoren. Langsamer Schrittes wandelte er zwischen den brennenden Scheiterhaufen hindurch. Unterwegs — es scheint ein ungewöhnlich zivilisirter Mönch gewesen zu sei» — verlor er sein Taschentuch; er kehrte in die Flammen zurück und brachte auch dieses unversehrt heraus (was, wenn die Holzstöße gerade erst zu brennen angefangen hatten, weder eine Heldenthat noch ein Wunder war). Die Stadtobrigkeit berichtete an den Papst. Man bitte um Entschuldigung wegen des Ungehorsams, aber Gott habe doch jetzt selbst entschieden. Die Obrigkeit habe unmöglich den Vorwurf der Häresie, mit dem das Boll sie habe brandmarken wollen, auf sich sitzen lassen können. Nachdem nur Simon Petrus verherrlicht und Simon Magus in den Kot niedergeschmettert worden sei, möge der Bater der Gläubigen uicht säumen, die Florentiner mit der Kirche wieder auszusöhnen. Wie gern mag er sich für überwunden erklärt haben! Perrens mißt diesem Vorgange, wie es scheint mit Recht, große Bedeutung bei. Die Florentiner hatten ihren Willen gegen den Markgrafen und den Bischof, gegen Papst und Kaiser durchgesetzt und Ware» so innegeworden, daß sie wohl ein selbständiges Gemeinwesen zu sein vermöchten; vielleicht darf man die Republik von dein Tage jeuer Feuerprobe an datiren. Namentlich das gemeine Volk aber hatte die Erfahrung gewonnen, wie viel sich mit Tode» und Lärmen ausrichten lasse, und wie oft hat es seitdem zu andern Zwecken von diesem Mittel Gebrauch gemacht! 2 Ju der großen häretischen Bewegung des zwölften und dreizehnten Jahr¬ hunderts spielte Florenz eine hervorragende Rolle. Im Jahre 1194 verfolgte ein Bischof von Worms als Legat Heinrichs VI. die Katharer Oberitaliens. Die von Prato kamen nach Florenz und fanden hinter dessen Mauern sichern Schutz. Der florentinische, dem attischen so nahe verwandte Geist ist selbständig, beweglich, fein und scharf, dabei lebensfroh und anmutig, zugleich aber auch Gnnizl'öde» II 18!»I 'V!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/421>, abgerufen am 04.07.2024.