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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Anzengruber
v Moritz Necker on

s in 10. Dezember 1889 starb Ludwig Anzeugruber, kurz nach Boll-
eudung seines funfzigsten Lebensjahres, beinahe plötzlich, er¬
chütternd für ganz Wien, überraschend für ganz Deutschland,
das in ihm sein größtes dramatisches Talent unter den Lebenden
ehrte, allzu schnell auch für die ihm näherstehenden Freunde,
die da wußten, wie schlimm es um sein leibliches Dasein bestellt war. Nicht
ganz zwanzig Jahre hat er der Öffentlichkeit angehört, in die er einem leuch¬
tenden Meteor gleich am Abend der ersten Aufführung seines "Pfarrers von
Kirchfeld" am 5. November 1870 getreten war. Während dieser zwanzig Jahre
hat Anzengruber alle Bitterkeiten und alle Freuden des berühmten Mannes,
des gekrönten und bekämpften Dichters in so reicher Fülle erlebt, wie nicht
leicht ein andrer. Hoch hob ihn die Woge der Volksgunst in den ersten Jahren
nach 1870. In bewunderungswürdiger Fülle kam ein Meisterwerk nach dem
andern in jenen Jahren aus seiner Hand. Nach dem "Pfarrer" der "Mcineid-
bcmer," "Die Kreuzelschreiber," "Doppelselbstmord," "Der Gwissenswurm,"
lauter Schöpfungen, die vollendet genannt werden müssen, und die den Stempel
unvergänglicher Dauer an sich tragen. Der arme Polizeischreiber konnte gleich
nach seinen: ersten Werke sein kümmerliches Amt mit der angesehenen Stellung
eines Theaterdichters vertauschen. Am 11. Mai 1873 konnte er sich mit einem
jungen schönen Mädchen, das er von Kindheit auf gekannt hatte, vermählen.
Seine geliebte Mutter, die mit ihm, dem mittelmäßig begabten Schauspieler,
an demselben Hungertuche nagend die schweren Zeiten seiner Wnnderjahre
von 1859 bis 1868 durchgemacht hatte, konnte der Dichter im September 187Z
in einer gewiß kostspieligen Privatheilanstalt zu besserer Pflege unterbringen.
Mit rastlosem Fleiße und unerschöpflicher Phantasie war er in diesen Jahren
thätig, das Wiedner Theater, das Stadttheater, das Josephstädter Theater,
ja selbst das Burgtheater rechneten auf seine Stücke, überhäuften ihn mit Be¬
stellungen, und wenn ein Werk mißriet, so war er nicht in Verlegenheit, mit
einem neuen die Scharte auszuwetzen. Auch das Gebiet der Erzählung be¬
baute er, da man ihn von allen Seiten darum anging. Seine ersten Er¬
zählungen, die 1877 in "Nord und Süd" erschienen, fanden nicht geringern




Ludwig Anzengruber
v Moritz Necker on

s in 10. Dezember 1889 starb Ludwig Anzeugruber, kurz nach Boll-
eudung seines funfzigsten Lebensjahres, beinahe plötzlich, er¬
chütternd für ganz Wien, überraschend für ganz Deutschland,
das in ihm sein größtes dramatisches Talent unter den Lebenden
ehrte, allzu schnell auch für die ihm näherstehenden Freunde,
die da wußten, wie schlimm es um sein leibliches Dasein bestellt war. Nicht
ganz zwanzig Jahre hat er der Öffentlichkeit angehört, in die er einem leuch¬
tenden Meteor gleich am Abend der ersten Aufführung seines „Pfarrers von
Kirchfeld" am 5. November 1870 getreten war. Während dieser zwanzig Jahre
hat Anzengruber alle Bitterkeiten und alle Freuden des berühmten Mannes,
des gekrönten und bekämpften Dichters in so reicher Fülle erlebt, wie nicht
leicht ein andrer. Hoch hob ihn die Woge der Volksgunst in den ersten Jahren
nach 1870. In bewunderungswürdiger Fülle kam ein Meisterwerk nach dem
andern in jenen Jahren aus seiner Hand. Nach dem „Pfarrer" der „Mcineid-
bcmer," „Die Kreuzelschreiber," „Doppelselbstmord," „Der Gwissenswurm,"
lauter Schöpfungen, die vollendet genannt werden müssen, und die den Stempel
unvergänglicher Dauer an sich tragen. Der arme Polizeischreiber konnte gleich
nach seinen: ersten Werke sein kümmerliches Amt mit der angesehenen Stellung
eines Theaterdichters vertauschen. Am 11. Mai 1873 konnte er sich mit einem
jungen schönen Mädchen, das er von Kindheit auf gekannt hatte, vermählen.
Seine geliebte Mutter, die mit ihm, dem mittelmäßig begabten Schauspieler,
an demselben Hungertuche nagend die schweren Zeiten seiner Wnnderjahre
von 1859 bis 1868 durchgemacht hatte, konnte der Dichter im September 187Z
in einer gewiß kostspieligen Privatheilanstalt zu besserer Pflege unterbringen.
Mit rastlosem Fleiße und unerschöpflicher Phantasie war er in diesen Jahren
thätig, das Wiedner Theater, das Stadttheater, das Josephstädter Theater,
ja selbst das Burgtheater rechneten auf seine Stücke, überhäuften ihn mit Be¬
stellungen, und wenn ein Werk mißriet, so war er nicht in Verlegenheit, mit
einem neuen die Scharte auszuwetzen. Auch das Gebiet der Erzählung be¬
baute er, da man ihn von allen Seiten darum anging. Seine ersten Er¬
zählungen, die 1877 in „Nord und Süd" erschienen, fanden nicht geringern


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[0042] [Abbildung] Ludwig Anzengruber v Moritz Necker on s in 10. Dezember 1889 starb Ludwig Anzeugruber, kurz nach Boll- eudung seines funfzigsten Lebensjahres, beinahe plötzlich, er¬ chütternd für ganz Wien, überraschend für ganz Deutschland, das in ihm sein größtes dramatisches Talent unter den Lebenden ehrte, allzu schnell auch für die ihm näherstehenden Freunde, die da wußten, wie schlimm es um sein leibliches Dasein bestellt war. Nicht ganz zwanzig Jahre hat er der Öffentlichkeit angehört, in die er einem leuch¬ tenden Meteor gleich am Abend der ersten Aufführung seines „Pfarrers von Kirchfeld" am 5. November 1870 getreten war. Während dieser zwanzig Jahre hat Anzengruber alle Bitterkeiten und alle Freuden des berühmten Mannes, des gekrönten und bekämpften Dichters in so reicher Fülle erlebt, wie nicht leicht ein andrer. Hoch hob ihn die Woge der Volksgunst in den ersten Jahren nach 1870. In bewunderungswürdiger Fülle kam ein Meisterwerk nach dem andern in jenen Jahren aus seiner Hand. Nach dem „Pfarrer" der „Mcineid- bcmer," „Die Kreuzelschreiber," „Doppelselbstmord," „Der Gwissenswurm," lauter Schöpfungen, die vollendet genannt werden müssen, und die den Stempel unvergänglicher Dauer an sich tragen. Der arme Polizeischreiber konnte gleich nach seinen: ersten Werke sein kümmerliches Amt mit der angesehenen Stellung eines Theaterdichters vertauschen. Am 11. Mai 1873 konnte er sich mit einem jungen schönen Mädchen, das er von Kindheit auf gekannt hatte, vermählen. Seine geliebte Mutter, die mit ihm, dem mittelmäßig begabten Schauspieler, an demselben Hungertuche nagend die schweren Zeiten seiner Wnnderjahre von 1859 bis 1868 durchgemacht hatte, konnte der Dichter im September 187Z in einer gewiß kostspieligen Privatheilanstalt zu besserer Pflege unterbringen. Mit rastlosem Fleiße und unerschöpflicher Phantasie war er in diesen Jahren thätig, das Wiedner Theater, das Stadttheater, das Josephstädter Theater, ja selbst das Burgtheater rechneten auf seine Stücke, überhäuften ihn mit Be¬ stellungen, und wenn ein Werk mißriet, so war er nicht in Verlegenheit, mit einem neuen die Scharte auszuwetzen. Auch das Gebiet der Erzählung be¬ baute er, da man ihn von allen Seiten darum anging. Seine ersten Er¬ zählungen, die 1877 in „Nord und Süd" erschienen, fanden nicht geringern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/42>, abgerufen am 24.07.2024.