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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Unsre Bureaukraten

Urteil oder einer Verfügung seine Unterschrift giebt, ohne zuvor alle Satz-
verreuknngen des subalternen Verfassers ins Deutsche übersetzt zu haben.

Daß sich das Schreibwerk heute absolut vermehrt hat, ist richtig. Wie
gewaltig sind aber auch die Gebiete, die der moderne Staat, so erst jüngst
mit der sozialen Gesetzgebung, an sich gezogen hat, Gebiete, die er auch bei
der weitgehendsten Mitwirkung der Bürgerschaft durch seine Beamten ver¬
walten muß, und deren Umfang natürlich auch die Zahl und den Umfang der
verschiednen Behörden ganz bedeutend gesteigert hat. Innerhalb der letztern
wird übrigens die große Masse des Schreibwerks dem Moloch der Statistik,
also eiuer volkswirtschaftlichen, uicht einer büreaukratischen Errungenschaft,
geopfert. Die Erleichterung des Verkehrs zwischen Behörden und Privaten
mit Hilfe der Schriftlichkeit ist doch ein nicht zu unterschätzender Fortschritt.
Ehemals trug man seine Schmerzen mündlich den Ämtern oder Magistraten
vor und holte sich, ni xavlleimäunr geladen, mündlich wieder Bescheid. Was
sollte heute aus dem Fabrikherrn werden, der seine täglichen Geschäfte mit
den Zoll- und Steuerbehörde,:, den staatlichen Verkehrsanstalten, den Ge¬
richten und Verwaltuugsinstauzcu mündlich erledigen müßte? Wenn der
Staat die Schulbildung fördert, so will er doch auch erreichen, daß seine
Bürger sich ohne Kosten und Wege schriftlich an die Behörden wenden, ihre
Bescheide lesen und verstehen lernen, beiläufig bemerkt, ein Ziel, von dem
wir noch recht weit entfernt sind. Dem Bauer tuum mau noch so deutsch
und deutlich, rot und blau unterstrichen auseinandergesetzt haben, wils er für
Papiere mit zum Termin bringen soll: er liest doch nur Tag und Stunde,
erscheint pünktlich, aber die Urkunden hat er hinter dem Tvpfbrete stecken
lassen.

Relativ hat sich das Schreibwerk, wenn auch immer noch nicht genug,
sehr vermindert, am meisten bei den Gerichten durch Einführung der Münd¬
lichkeit. Man hört die Klage, in den Akten "stehe nichts mehr drin." Erst
kürzlich ist von hoher büreaukratischer Stelle dein neuen Verfahren der Vor¬
wurf gemacht worden, daß es den Referendaren keine Gelegenheit mehr zum
Neferiren gebe und dadurch ihre Ausbildung erschwere -- als wenn das der
Zweck des Prozesses wäre! So gab es noch vor zwanzig Jahren unter den
alten Praktikern Gegner der Druckformulare, weil ihnen der Entwurf einer
Ladung als wertvolles Bildungsmittel galt. Heute erspare" Behörden und
Anwälte mit Hilfe von Formularen und Kopirapparaten unendlich viel geist¬
tötende nud teure Arbeit. Noch ein kräftiger Schritt, und vielleicht fliegen
auch die unsinnigen Titcleicn, Höflichkeitsphrasen, Devotiousstriche und der¬
gleichen über Bord, die von allen Auguren belächelt werden und in unsre Zeit
wie die Faust aufs Auge passen. Funden erst die höchstgestellten Büreau-
kraten hierzu deu Mut, wie gern würden ihnen die kleinen und der Privat¬
verkehr folgen! Das wäre einmal eine vernünftige Gelegenheit, englische oder


Unsre Bureaukraten

Urteil oder einer Verfügung seine Unterschrift giebt, ohne zuvor alle Satz-
verreuknngen des subalternen Verfassers ins Deutsche übersetzt zu haben.

Daß sich das Schreibwerk heute absolut vermehrt hat, ist richtig. Wie
gewaltig sind aber auch die Gebiete, die der moderne Staat, so erst jüngst
mit der sozialen Gesetzgebung, an sich gezogen hat, Gebiete, die er auch bei
der weitgehendsten Mitwirkung der Bürgerschaft durch seine Beamten ver¬
walten muß, und deren Umfang natürlich auch die Zahl und den Umfang der
verschiednen Behörden ganz bedeutend gesteigert hat. Innerhalb der letztern
wird übrigens die große Masse des Schreibwerks dem Moloch der Statistik,
also eiuer volkswirtschaftlichen, uicht einer büreaukratischen Errungenschaft,
geopfert. Die Erleichterung des Verkehrs zwischen Behörden und Privaten
mit Hilfe der Schriftlichkeit ist doch ein nicht zu unterschätzender Fortschritt.
Ehemals trug man seine Schmerzen mündlich den Ämtern oder Magistraten
vor und holte sich, ni xavlleimäunr geladen, mündlich wieder Bescheid. Was
sollte heute aus dem Fabrikherrn werden, der seine täglichen Geschäfte mit
den Zoll- und Steuerbehörde,:, den staatlichen Verkehrsanstalten, den Ge¬
richten und Verwaltuugsinstauzcu mündlich erledigen müßte? Wenn der
Staat die Schulbildung fördert, so will er doch auch erreichen, daß seine
Bürger sich ohne Kosten und Wege schriftlich an die Behörden wenden, ihre
Bescheide lesen und verstehen lernen, beiläufig bemerkt, ein Ziel, von dem
wir noch recht weit entfernt sind. Dem Bauer tuum mau noch so deutsch
und deutlich, rot und blau unterstrichen auseinandergesetzt haben, wils er für
Papiere mit zum Termin bringen soll: er liest doch nur Tag und Stunde,
erscheint pünktlich, aber die Urkunden hat er hinter dem Tvpfbrete stecken
lassen.

Relativ hat sich das Schreibwerk, wenn auch immer noch nicht genug,
sehr vermindert, am meisten bei den Gerichten durch Einführung der Münd¬
lichkeit. Man hört die Klage, in den Akten „stehe nichts mehr drin." Erst
kürzlich ist von hoher büreaukratischer Stelle dein neuen Verfahren der Vor¬
wurf gemacht worden, daß es den Referendaren keine Gelegenheit mehr zum
Neferiren gebe und dadurch ihre Ausbildung erschwere — als wenn das der
Zweck des Prozesses wäre! So gab es noch vor zwanzig Jahren unter den
alten Praktikern Gegner der Druckformulare, weil ihnen der Entwurf einer
Ladung als wertvolles Bildungsmittel galt. Heute erspare» Behörden und
Anwälte mit Hilfe von Formularen und Kopirapparaten unendlich viel geist¬
tötende nud teure Arbeit. Noch ein kräftiger Schritt, und vielleicht fliegen
auch die unsinnigen Titcleicn, Höflichkeitsphrasen, Devotiousstriche und der¬
gleichen über Bord, die von allen Auguren belächelt werden und in unsre Zeit
wie die Faust aufs Auge passen. Funden erst die höchstgestellten Büreau-
kraten hierzu deu Mut, wie gern würden ihnen die kleinen und der Privat¬
verkehr folgen! Das wäre einmal eine vernünftige Gelegenheit, englische oder


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[0407] Unsre Bureaukraten Urteil oder einer Verfügung seine Unterschrift giebt, ohne zuvor alle Satz- verreuknngen des subalternen Verfassers ins Deutsche übersetzt zu haben. Daß sich das Schreibwerk heute absolut vermehrt hat, ist richtig. Wie gewaltig sind aber auch die Gebiete, die der moderne Staat, so erst jüngst mit der sozialen Gesetzgebung, an sich gezogen hat, Gebiete, die er auch bei der weitgehendsten Mitwirkung der Bürgerschaft durch seine Beamten ver¬ walten muß, und deren Umfang natürlich auch die Zahl und den Umfang der verschiednen Behörden ganz bedeutend gesteigert hat. Innerhalb der letztern wird übrigens die große Masse des Schreibwerks dem Moloch der Statistik, also eiuer volkswirtschaftlichen, uicht einer büreaukratischen Errungenschaft, geopfert. Die Erleichterung des Verkehrs zwischen Behörden und Privaten mit Hilfe der Schriftlichkeit ist doch ein nicht zu unterschätzender Fortschritt. Ehemals trug man seine Schmerzen mündlich den Ämtern oder Magistraten vor und holte sich, ni xavlleimäunr geladen, mündlich wieder Bescheid. Was sollte heute aus dem Fabrikherrn werden, der seine täglichen Geschäfte mit den Zoll- und Steuerbehörde,:, den staatlichen Verkehrsanstalten, den Ge¬ richten und Verwaltuugsinstauzcu mündlich erledigen müßte? Wenn der Staat die Schulbildung fördert, so will er doch auch erreichen, daß seine Bürger sich ohne Kosten und Wege schriftlich an die Behörden wenden, ihre Bescheide lesen und verstehen lernen, beiläufig bemerkt, ein Ziel, von dem wir noch recht weit entfernt sind. Dem Bauer tuum mau noch so deutsch und deutlich, rot und blau unterstrichen auseinandergesetzt haben, wils er für Papiere mit zum Termin bringen soll: er liest doch nur Tag und Stunde, erscheint pünktlich, aber die Urkunden hat er hinter dem Tvpfbrete stecken lassen. Relativ hat sich das Schreibwerk, wenn auch immer noch nicht genug, sehr vermindert, am meisten bei den Gerichten durch Einführung der Münd¬ lichkeit. Man hört die Klage, in den Akten „stehe nichts mehr drin." Erst kürzlich ist von hoher büreaukratischer Stelle dein neuen Verfahren der Vor¬ wurf gemacht worden, daß es den Referendaren keine Gelegenheit mehr zum Neferiren gebe und dadurch ihre Ausbildung erschwere — als wenn das der Zweck des Prozesses wäre! So gab es noch vor zwanzig Jahren unter den alten Praktikern Gegner der Druckformulare, weil ihnen der Entwurf einer Ladung als wertvolles Bildungsmittel galt. Heute erspare» Behörden und Anwälte mit Hilfe von Formularen und Kopirapparaten unendlich viel geist¬ tötende nud teure Arbeit. Noch ein kräftiger Schritt, und vielleicht fliegen auch die unsinnigen Titcleicn, Höflichkeitsphrasen, Devotiousstriche und der¬ gleichen über Bord, die von allen Auguren belächelt werden und in unsre Zeit wie die Faust aufs Auge passen. Funden erst die höchstgestellten Büreau- kraten hierzu deu Mut, wie gern würden ihnen die kleinen und der Privat¬ verkehr folgen! Das wäre einmal eine vernünftige Gelegenheit, englische oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/407>, abgerufen am 24.07.2024.