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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Unsre Lüremikl'aler

Die Zahl der beglaubigten und unbeglaubigten Anekdoten seit der Zeit des
Merseburger Pnpillenkolleginms bis zu dein neueste" hitzigen Streite über
"gehorsamst" und "ergebenst" oder bis zur Verpflanzung des Knrialstils an
die Gestade des Viktoria Nyanza ist Legion. Die ergreifendsten Elegien
wissen übrigens immer die kleinen von den großen Bureaukraten zu singen.

Es soll also nicht bestritten werden, daß die Büreaukraten mitunter
Gesetze gemacht und Verwaltungsmaßregeln getroffen haben, die der Unkenntnis
von den wahren Bedürfnissen des Volkes entsprungen waren, sei es, daß sie
wirklichen Gebrechen am Volkskörper mit falschen Heilmitteln begegnet sind,
sei es -- und das ist das Schlimmste --, daß sie kräftige und urwüchsige
Teile dieses .Körpers aus Lust an Gleichmacherei oder einem Prinzip zu
Gefallen erst krank gedoktert haben, sei es endlich, daß die gebotene gute
Arznei deu Patienten durch allerlei überflüssige Polizeichikaueu verleidet worden
ist. Gewiß ist ferner, daß Hunderttausende von Prozessen und Verwaltuugs-
streitigkeitcn, vom Standpunkte der höchsten Gerechtigkeit aus betrachtet, falsch
entschieden worden sind und uoch falsch entschieden werden, daß nicht wenige
dieser falschen Entscheidungen gleichfalls in der Unkenntnis des wirklichen
Lebens oder in der Präjudiziensucht wurzeln oder wegen Verletzung vou Form¬
vorschriften ergangen siud, die wiederum von denselben bösen Vüreaukraten
erst erfunden worden waren. Wer wollte endlich leugnen, daß in den Bureaus
viel geschrieben wird, und daß an "allerhand Sprachdummheiten" auch die
deutschen Vüreaukraten beteiligt find?

Allein, um beim letzten zu beginnen, sind wir nicht allzumal Sünder?
Zu der vortrefflichen Sammlung in diesen Blättern, die nirgends mit teil¬
nehmenderem Verständnis, als in büreaukratischen Kreisen gelesen worden ist,
dürften die schreibenden Berufe ziemlich gleichmäßig beigesteuert haben. Es
ist Sache des Lesers, was er geschmackvoller sinden will, die bekannte
Bekanntmachung: "Der, der den, der den Pfahl, der das Verbot enthielt,
keine Gegenstände in deu Teich zu werfen, selbst hineingeworfen hat, anzeigt,
erhält 1 Gulden Belohnung" (heute würde man allerdings im veredelten
Kanzleistil sagen: "Derjenige, welcher denjenigen, welcher den n. s. w."),
oder einen kaufmännischen Brief wie: "Antwortlich Ihres werten Gestrigen
stellen wir Ihnen die preisgefragten Prima-Fa?vns franko dort mit Mk. 20
pr. Mille netto Kasse an." Das Gesetzcsdentsch soll in der ersten Hälfte
unsers Jahrhunderts im allgemeinen besser gewesen und seitdem weniger dnrch
Büreaukraten, als durch erwählte Volksvertreter herunteramendirt worden
sein. Zu alleu Zeiten haben seine Juristen auch die Schönheit und Reinheit
ihrer Muttersprache hochgehalten, und vielleicht ist es kein Zufall, daß unsre
heutigen Sprachvereine namentlich auch in juristischen Kreisen Förderer und
Mitglieder zählen. Auch darf mau doch mit einem vielbeschäftigten Richter
oder Verwaltungsbeamten nicht so streng ins Gericht gehen, wenn er einem


Unsre Lüremikl'aler

Die Zahl der beglaubigten und unbeglaubigten Anekdoten seit der Zeit des
Merseburger Pnpillenkolleginms bis zu dein neueste» hitzigen Streite über
„gehorsamst" und „ergebenst" oder bis zur Verpflanzung des Knrialstils an
die Gestade des Viktoria Nyanza ist Legion. Die ergreifendsten Elegien
wissen übrigens immer die kleinen von den großen Bureaukraten zu singen.

Es soll also nicht bestritten werden, daß die Büreaukraten mitunter
Gesetze gemacht und Verwaltungsmaßregeln getroffen haben, die der Unkenntnis
von den wahren Bedürfnissen des Volkes entsprungen waren, sei es, daß sie
wirklichen Gebrechen am Volkskörper mit falschen Heilmitteln begegnet sind,
sei es — und das ist das Schlimmste —, daß sie kräftige und urwüchsige
Teile dieses .Körpers aus Lust an Gleichmacherei oder einem Prinzip zu
Gefallen erst krank gedoktert haben, sei es endlich, daß die gebotene gute
Arznei deu Patienten durch allerlei überflüssige Polizeichikaueu verleidet worden
ist. Gewiß ist ferner, daß Hunderttausende von Prozessen und Verwaltuugs-
streitigkeitcn, vom Standpunkte der höchsten Gerechtigkeit aus betrachtet, falsch
entschieden worden sind und uoch falsch entschieden werden, daß nicht wenige
dieser falschen Entscheidungen gleichfalls in der Unkenntnis des wirklichen
Lebens oder in der Präjudiziensucht wurzeln oder wegen Verletzung vou Form¬
vorschriften ergangen siud, die wiederum von denselben bösen Vüreaukraten
erst erfunden worden waren. Wer wollte endlich leugnen, daß in den Bureaus
viel geschrieben wird, und daß an „allerhand Sprachdummheiten" auch die
deutschen Vüreaukraten beteiligt find?

Allein, um beim letzten zu beginnen, sind wir nicht allzumal Sünder?
Zu der vortrefflichen Sammlung in diesen Blättern, die nirgends mit teil¬
nehmenderem Verständnis, als in büreaukratischen Kreisen gelesen worden ist,
dürften die schreibenden Berufe ziemlich gleichmäßig beigesteuert haben. Es
ist Sache des Lesers, was er geschmackvoller sinden will, die bekannte
Bekanntmachung: „Der, der den, der den Pfahl, der das Verbot enthielt,
keine Gegenstände in deu Teich zu werfen, selbst hineingeworfen hat, anzeigt,
erhält 1 Gulden Belohnung" (heute würde man allerdings im veredelten
Kanzleistil sagen: „Derjenige, welcher denjenigen, welcher den n. s. w."),
oder einen kaufmännischen Brief wie: „Antwortlich Ihres werten Gestrigen
stellen wir Ihnen die preisgefragten Prima-Fa?vns franko dort mit Mk. 20
pr. Mille netto Kasse an." Das Gesetzcsdentsch soll in der ersten Hälfte
unsers Jahrhunderts im allgemeinen besser gewesen und seitdem weniger dnrch
Büreaukraten, als durch erwählte Volksvertreter herunteramendirt worden
sein. Zu alleu Zeiten haben seine Juristen auch die Schönheit und Reinheit
ihrer Muttersprache hochgehalten, und vielleicht ist es kein Zufall, daß unsre
heutigen Sprachvereine namentlich auch in juristischen Kreisen Förderer und
Mitglieder zählen. Auch darf mau doch mit einem vielbeschäftigten Richter
oder Verwaltungsbeamten nicht so streng ins Gericht gehen, wenn er einem


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[0406] Unsre Lüremikl'aler Die Zahl der beglaubigten und unbeglaubigten Anekdoten seit der Zeit des Merseburger Pnpillenkolleginms bis zu dein neueste» hitzigen Streite über „gehorsamst" und „ergebenst" oder bis zur Verpflanzung des Knrialstils an die Gestade des Viktoria Nyanza ist Legion. Die ergreifendsten Elegien wissen übrigens immer die kleinen von den großen Bureaukraten zu singen. Es soll also nicht bestritten werden, daß die Büreaukraten mitunter Gesetze gemacht und Verwaltungsmaßregeln getroffen haben, die der Unkenntnis von den wahren Bedürfnissen des Volkes entsprungen waren, sei es, daß sie wirklichen Gebrechen am Volkskörper mit falschen Heilmitteln begegnet sind, sei es — und das ist das Schlimmste —, daß sie kräftige und urwüchsige Teile dieses .Körpers aus Lust an Gleichmacherei oder einem Prinzip zu Gefallen erst krank gedoktert haben, sei es endlich, daß die gebotene gute Arznei deu Patienten durch allerlei überflüssige Polizeichikaueu verleidet worden ist. Gewiß ist ferner, daß Hunderttausende von Prozessen und Verwaltuugs- streitigkeitcn, vom Standpunkte der höchsten Gerechtigkeit aus betrachtet, falsch entschieden worden sind und uoch falsch entschieden werden, daß nicht wenige dieser falschen Entscheidungen gleichfalls in der Unkenntnis des wirklichen Lebens oder in der Präjudiziensucht wurzeln oder wegen Verletzung vou Form¬ vorschriften ergangen siud, die wiederum von denselben bösen Vüreaukraten erst erfunden worden waren. Wer wollte endlich leugnen, daß in den Bureaus viel geschrieben wird, und daß an „allerhand Sprachdummheiten" auch die deutschen Vüreaukraten beteiligt find? Allein, um beim letzten zu beginnen, sind wir nicht allzumal Sünder? Zu der vortrefflichen Sammlung in diesen Blättern, die nirgends mit teil¬ nehmenderem Verständnis, als in büreaukratischen Kreisen gelesen worden ist, dürften die schreibenden Berufe ziemlich gleichmäßig beigesteuert haben. Es ist Sache des Lesers, was er geschmackvoller sinden will, die bekannte Bekanntmachung: „Der, der den, der den Pfahl, der das Verbot enthielt, keine Gegenstände in deu Teich zu werfen, selbst hineingeworfen hat, anzeigt, erhält 1 Gulden Belohnung" (heute würde man allerdings im veredelten Kanzleistil sagen: „Derjenige, welcher denjenigen, welcher den n. s. w."), oder einen kaufmännischen Brief wie: „Antwortlich Ihres werten Gestrigen stellen wir Ihnen die preisgefragten Prima-Fa?vns franko dort mit Mk. 20 pr. Mille netto Kasse an." Das Gesetzcsdentsch soll in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts im allgemeinen besser gewesen und seitdem weniger dnrch Büreaukraten, als durch erwählte Volksvertreter herunteramendirt worden sein. Zu alleu Zeiten haben seine Juristen auch die Schönheit und Reinheit ihrer Muttersprache hochgehalten, und vielleicht ist es kein Zufall, daß unsre heutigen Sprachvereine namentlich auch in juristischen Kreisen Förderer und Mitglieder zählen. Auch darf mau doch mit einem vielbeschäftigten Richter oder Verwaltungsbeamten nicht so streng ins Gericht gehen, wenn er einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/406>, abgerufen am 04.07.2024.