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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

seine litterargeschichtlichen >vie seine poetischen Werke, die übrigens nicht weniger
als die beiden Innenseiten des Umschlags füllen, auch im Text bald hier, bald
dort aufmerksam zu machen, und so schließt er denn auch'dieses Buch damit, daß
er unter denen, die nach Heine teils im Anschluß an ihn, teils in Anlehnung an
Goethe und Brentano ,,in deutscher Dichtung hervorgetreten" sind, ganz bescheiden
als den jüngsten nennt -- Ednard Grisebach. L-^nördl hö.t.


Die Verwendung historischer Stoffe in der erzählende" Litteratur von Leo Grcgo-
rovius. München, Buchholz und Werner, 1.39k

Der historische Roman nimmt ans dem Gebiete der schönen Litteratur schon
seit Jahrzehnten den breitesten Raum ein und beansprucht womöglich den ersten
Rang. Dieser massenhaften Erzeugung und der Überschätzung des geschaffenen ruft
der Verfasser ein kräftiges Halt entgegen. In einer historischen Dichtung sucht er
nicht die Darstellung historischer Personen, sondern einer historischen Idee, wie
Aschhlus in den Persern deu großen Gegensatz des Griechentums und der Bar-
bnrenwelt, der hellenische" Freiheit und der orientalischen Despotie und deu Sieg
Europas über Asien dargestellt und wie Goethe im Götz, dürfen nur hinzufügen,
zum eigentlichen Helden das Mittelnlter gemacht hat, das in dem Ritter mit der
eisernen Hand atmet, durch seinen Mund spricht, durch seinen Arm sich verteidigt,
und mit ihm unterliegt und stirbt. Deu Begriff "historisch" in diesem Sinne
kennen die allermeisten unsrer sogenannten historischen Erzählungen nicht, mit einer
Art historischen Kolorits wird da ein Stoff übermalt, der nicht die geringste Vor-
aussetzung in sich trägt, die ihn mit Notwendigkeit in die gewählte Zeit wiese,
sondern der sich ebenso gut in einem andern Jahrhundert, ja in der Gegenwart
ereignen konnte. Freilich ist es viel leichter, eine Geschichte sich in der Vergangen¬
heit abspiele" zu lassen, mit deren Verhältnissen das große Publikum nicht ver¬
traut ist, als in der Gegenwart, wo jeder die Wahrheit der Schilderungen prüfen
kann. Wie diese Freiheit, die sich bei der historischen Erzählung für den Dichter
gegenüber der großen Masse seiner Leser ergiebt, zu mancherlei Ungereimtheiten
führt, zeigt der Verfasser ausführlich an dem hervorragendsten Werke auf diesem
Gebiete, an Freytags Ahnen, wo all der Spuk von Vererbung und Seelen-
wanderung durch fünfundvierzig Generationen hindurch, vou Prophezeiungen und
Geistererscheiuungeu ohne Austand verwendet worden ist, der in der Gegenwart ent¬
weder tendenziös oder lächerlich erscheinen müßte. Wenn nnn gar die historische
Dichtung für die Pflege von übertriebenen Patriotismus und Byzantinismus aus¬
gebeutet wird, dann verliert sie vollends das Recht, auf Poetischen Wert Anspruch
erhebe"i zu dürfen. Schade, daß der Verfasser in seiner Broschüre -- der die
größte Wirkung zu wünschen wäre; freilich wird sie wahrscheinlich gar keine
haben -- uur die erzählende Litteratur behandelt, sonst wäre wohl anch über Herrn
von Wildenbruchs brandenbnrgisch-preußische Dramen noch ein kräftiges Wörtchen
abgefallen!






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig
Berlag von Fr. Wilh. Grunvw in Leipzig -- Druck vou Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

seine litterargeschichtlichen >vie seine poetischen Werke, die übrigens nicht weniger
als die beiden Innenseiten des Umschlags füllen, auch im Text bald hier, bald
dort aufmerksam zu machen, und so schließt er denn auch'dieses Buch damit, daß
er unter denen, die nach Heine teils im Anschluß an ihn, teils in Anlehnung an
Goethe und Brentano ,,in deutscher Dichtung hervorgetreten" sind, ganz bescheiden
als den jüngsten nennt — Ednard Grisebach. L-^nördl hö.t.


Die Verwendung historischer Stoffe in der erzählende» Litteratur von Leo Grcgo-
rovius. München, Buchholz und Werner, 1.39k

Der historische Roman nimmt ans dem Gebiete der schönen Litteratur schon
seit Jahrzehnten den breitesten Raum ein und beansprucht womöglich den ersten
Rang. Dieser massenhaften Erzeugung und der Überschätzung des geschaffenen ruft
der Verfasser ein kräftiges Halt entgegen. In einer historischen Dichtung sucht er
nicht die Darstellung historischer Personen, sondern einer historischen Idee, wie
Aschhlus in den Persern deu großen Gegensatz des Griechentums und der Bar-
bnrenwelt, der hellenische« Freiheit und der orientalischen Despotie und deu Sieg
Europas über Asien dargestellt und wie Goethe im Götz, dürfen nur hinzufügen,
zum eigentlichen Helden das Mittelnlter gemacht hat, das in dem Ritter mit der
eisernen Hand atmet, durch seinen Mund spricht, durch seinen Arm sich verteidigt,
und mit ihm unterliegt und stirbt. Deu Begriff „historisch" in diesem Sinne
kennen die allermeisten unsrer sogenannten historischen Erzählungen nicht, mit einer
Art historischen Kolorits wird da ein Stoff übermalt, der nicht die geringste Vor-
aussetzung in sich trägt, die ihn mit Notwendigkeit in die gewählte Zeit wiese,
sondern der sich ebenso gut in einem andern Jahrhundert, ja in der Gegenwart
ereignen konnte. Freilich ist es viel leichter, eine Geschichte sich in der Vergangen¬
heit abspiele» zu lassen, mit deren Verhältnissen das große Publikum nicht ver¬
traut ist, als in der Gegenwart, wo jeder die Wahrheit der Schilderungen prüfen
kann. Wie diese Freiheit, die sich bei der historischen Erzählung für den Dichter
gegenüber der großen Masse seiner Leser ergiebt, zu mancherlei Ungereimtheiten
führt, zeigt der Verfasser ausführlich an dem hervorragendsten Werke auf diesem
Gebiete, an Freytags Ahnen, wo all der Spuk von Vererbung und Seelen-
wanderung durch fünfundvierzig Generationen hindurch, vou Prophezeiungen und
Geistererscheiuungeu ohne Austand verwendet worden ist, der in der Gegenwart ent¬
weder tendenziös oder lächerlich erscheinen müßte. Wenn nnn gar die historische
Dichtung für die Pflege von übertriebenen Patriotismus und Byzantinismus aus¬
gebeutet wird, dann verliert sie vollends das Recht, auf Poetischen Wert Anspruch
erhebe»i zu dürfen. Schade, daß der Verfasser in seiner Broschüre — der die
größte Wirkung zu wünschen wäre; freilich wird sie wahrscheinlich gar keine
haben — uur die erzählende Litteratur behandelt, sonst wäre wohl anch über Herrn
von Wildenbruchs brandenbnrgisch-preußische Dramen noch ein kräftiges Wörtchen
abgefallen!






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig
Berlag von Fr. Wilh. Grunvw in Leipzig — Druck vou Carl Marquart in Leipzig
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[0404] Litteratur seine litterargeschichtlichen >vie seine poetischen Werke, die übrigens nicht weniger als die beiden Innenseiten des Umschlags füllen, auch im Text bald hier, bald dort aufmerksam zu machen, und so schließt er denn auch'dieses Buch damit, daß er unter denen, die nach Heine teils im Anschluß an ihn, teils in Anlehnung an Goethe und Brentano ,,in deutscher Dichtung hervorgetreten" sind, ganz bescheiden als den jüngsten nennt — Ednard Grisebach. L-^nördl hö.t. Die Verwendung historischer Stoffe in der erzählende» Litteratur von Leo Grcgo- rovius. München, Buchholz und Werner, 1.39k Der historische Roman nimmt ans dem Gebiete der schönen Litteratur schon seit Jahrzehnten den breitesten Raum ein und beansprucht womöglich den ersten Rang. Dieser massenhaften Erzeugung und der Überschätzung des geschaffenen ruft der Verfasser ein kräftiges Halt entgegen. In einer historischen Dichtung sucht er nicht die Darstellung historischer Personen, sondern einer historischen Idee, wie Aschhlus in den Persern deu großen Gegensatz des Griechentums und der Bar- bnrenwelt, der hellenische« Freiheit und der orientalischen Despotie und deu Sieg Europas über Asien dargestellt und wie Goethe im Götz, dürfen nur hinzufügen, zum eigentlichen Helden das Mittelnlter gemacht hat, das in dem Ritter mit der eisernen Hand atmet, durch seinen Mund spricht, durch seinen Arm sich verteidigt, und mit ihm unterliegt und stirbt. Deu Begriff „historisch" in diesem Sinne kennen die allermeisten unsrer sogenannten historischen Erzählungen nicht, mit einer Art historischen Kolorits wird da ein Stoff übermalt, der nicht die geringste Vor- aussetzung in sich trägt, die ihn mit Notwendigkeit in die gewählte Zeit wiese, sondern der sich ebenso gut in einem andern Jahrhundert, ja in der Gegenwart ereignen konnte. Freilich ist es viel leichter, eine Geschichte sich in der Vergangen¬ heit abspiele» zu lassen, mit deren Verhältnissen das große Publikum nicht ver¬ traut ist, als in der Gegenwart, wo jeder die Wahrheit der Schilderungen prüfen kann. Wie diese Freiheit, die sich bei der historischen Erzählung für den Dichter gegenüber der großen Masse seiner Leser ergiebt, zu mancherlei Ungereimtheiten führt, zeigt der Verfasser ausführlich an dem hervorragendsten Werke auf diesem Gebiete, an Freytags Ahnen, wo all der Spuk von Vererbung und Seelen- wanderung durch fünfundvierzig Generationen hindurch, vou Prophezeiungen und Geistererscheiuungeu ohne Austand verwendet worden ist, der in der Gegenwart ent¬ weder tendenziös oder lächerlich erscheinen müßte. Wenn nnn gar die historische Dichtung für die Pflege von übertriebenen Patriotismus und Byzantinismus aus¬ gebeutet wird, dann verliert sie vollends das Recht, auf Poetischen Wert Anspruch erhebe»i zu dürfen. Schade, daß der Verfasser in seiner Broschüre — der die größte Wirkung zu wünschen wäre; freilich wird sie wahrscheinlich gar keine haben — uur die erzählende Litteratur behandelt, sonst wäre wohl anch über Herrn von Wildenbruchs brandenbnrgisch-preußische Dramen noch ein kräftiges Wörtchen abgefallen! Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunvw in Leipzig Berlag von Fr. Wilh. Grunvw in Leipzig — Druck vou Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/404>, abgerufen am 04.07.2024.