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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

ja sogar über Begräbnisfeicrlichkeitcn wird genau so berichtet, als ob sichs um
Soireen, Balle oder Theateraufführuugeu handelte; selbst die Kritik über das "ge¬
schmackvolle Arrangement" im Trnucrhause, über die Leichenrede des Pfarrers und
über die "bortrefflichen Leistungen" des Gesangvereins fehlt nicht. Da darf man
sich freilich nicht wundern, das; es nun mich keine Kleider mehr giebt, sondern nur
noch Kostüme. Wie sich ein großer Teil unsrer Frauenwelt jetzt auf der Straße
kleidet, hat man jn anch in der That manchmal den Eindruck, als ob eben in der
Nähe irgendwo eine Theatervorstellung zu Eude gegangen und die Choristinneu und
Statistinneu gleich in ihren Rollen auf die Straße gelaufen wären. Daß freilich
nicht einmal die Trauerkleider davon ausgenommen sind, daß im Gegenteil, nament¬
lich für junge Frauen und Mädchen, sogar der Tod eines Familiengliedes zum
Anlaß wird, ans der Straße am hellen, lichten Tage Komödie zu spielen, ist eine
arge Geschmacksverirrung. Hoffentlich wird auch sie vorübergehen, ebenso wie die
wagenradgroßen Lorbeerkränze und ähnliches.


Abmangel.

Jn einer Erzählung von Adolf Palm, abgedruckt in der
Monatsschrift "Vom Fels zum Meer," ist (S. 73) zu lesen: "Allerhand mit dem
Baron ausgeführte Schwindeleien sollten den Abmangel decken." Auf diesen er¬
freulichen, zu der Gattung der "Rückantwort," der "Zwischenpause," der "Herab-
minderung" und ähnlicher sinnigen Neugebilde am Leibe unsrer Muttersprache ge¬
hörenden "Zumangel" wollen wir nicht unterlassen aufmerksam zu machen.




Litteratur
Der Bilderschmuck der deutschen Sprache. Einblick in den uuerschiipflicheu Bilder¬
reichtum unsrer Sprache und ein Versuch unsseuschafilicher Deutung. Von Hcrincinu
Schreiber. Neue Ausgabe. Berlin, Haus Lusieuöder

Wir haben es hier mit einem so durch und durch liebenswürdigen Buche zu
thun, daß wir ihm die weiteste Verbreitung Wünschen möchten. Auch sollte man
glauben, einer solchen Arbeit könnte der Erfolg nicht fehlen, sowohl der Gegenstand
als auch die glückliche Art der Behandlung müßten dem Werke überall eine dank¬
bare Aufnahme sichern.

Wir alle schmücken unsre eigne Sprache oft bewußt und absichtlich mit glänzenden
Dichterwvrten. Mit diesem äußern Schmucke, deu fremden Federn, wenn man will,
beschäftigen sich Sammlungen wie die Nehrysche und die Büchmannsche. Hier handelt
sichs um einen Schmuck, den jeder Deutsche mit größerm Rechte sein eigen nennen
darf, da er ihn unmittelbar mit seiner Sprache als Erbe vergangener Jahrhunderte
übernommen hat: um den unerschöpflichen Schatz vou Bildern und Gleichnissen,
die sich uus überall, selbst in unsrer Alltagssprache, ohne daß wir es wollen, an
Stelle des abstrakten Gedankenausdrucks aufdrängen. Der Verfasser geht gewiß
nicht fehl, Wenn er aus dem häufigen Auftauchen von Sprachfragen in den Tages-
blättern deu Schluß zieht, daß wirtlich ein lebhaftes Bedürfnis nach Wissenschaft-


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ja sogar über Begräbnisfeicrlichkeitcn wird genau so berichtet, als ob sichs um
Soireen, Balle oder Theateraufführuugeu handelte; selbst die Kritik über das „ge¬
schmackvolle Arrangement" im Trnucrhause, über die Leichenrede des Pfarrers und
über die „bortrefflichen Leistungen" des Gesangvereins fehlt nicht. Da darf man
sich freilich nicht wundern, das; es nun mich keine Kleider mehr giebt, sondern nur
noch Kostüme. Wie sich ein großer Teil unsrer Frauenwelt jetzt auf der Straße
kleidet, hat man jn anch in der That manchmal den Eindruck, als ob eben in der
Nähe irgendwo eine Theatervorstellung zu Eude gegangen und die Choristinneu und
Statistinneu gleich in ihren Rollen auf die Straße gelaufen wären. Daß freilich
nicht einmal die Trauerkleider davon ausgenommen sind, daß im Gegenteil, nament¬
lich für junge Frauen und Mädchen, sogar der Tod eines Familiengliedes zum
Anlaß wird, ans der Straße am hellen, lichten Tage Komödie zu spielen, ist eine
arge Geschmacksverirrung. Hoffentlich wird auch sie vorübergehen, ebenso wie die
wagenradgroßen Lorbeerkränze und ähnliches.


Abmangel.

Jn einer Erzählung von Adolf Palm, abgedruckt in der
Monatsschrift „Vom Fels zum Meer," ist (S. 73) zu lesen: „Allerhand mit dem
Baron ausgeführte Schwindeleien sollten den Abmangel decken." Auf diesen er¬
freulichen, zu der Gattung der „Rückantwort," der „Zwischenpause," der „Herab-
minderung" und ähnlicher sinnigen Neugebilde am Leibe unsrer Muttersprache ge¬
hörenden „Zumangel" wollen wir nicht unterlassen aufmerksam zu machen.




Litteratur
Der Bilderschmuck der deutschen Sprache. Einblick in den uuerschiipflicheu Bilder¬
reichtum unsrer Sprache und ein Versuch unsseuschafilicher Deutung. Von Hcrincinu
Schreiber. Neue Ausgabe. Berlin, Haus Lusieuöder

Wir haben es hier mit einem so durch und durch liebenswürdigen Buche zu
thun, daß wir ihm die weiteste Verbreitung Wünschen möchten. Auch sollte man
glauben, einer solchen Arbeit könnte der Erfolg nicht fehlen, sowohl der Gegenstand
als auch die glückliche Art der Behandlung müßten dem Werke überall eine dank¬
bare Aufnahme sichern.

Wir alle schmücken unsre eigne Sprache oft bewußt und absichtlich mit glänzenden
Dichterwvrten. Mit diesem äußern Schmucke, deu fremden Federn, wenn man will,
beschäftigen sich Sammlungen wie die Nehrysche und die Büchmannsche. Hier handelt
sichs um einen Schmuck, den jeder Deutsche mit größerm Rechte sein eigen nennen
darf, da er ihn unmittelbar mit seiner Sprache als Erbe vergangener Jahrhunderte
übernommen hat: um den unerschöpflichen Schatz vou Bildern und Gleichnissen,
die sich uus überall, selbst in unsrer Alltagssprache, ohne daß wir es wollen, an
Stelle des abstrakten Gedankenausdrucks aufdrängen. Der Verfasser geht gewiß
nicht fehl, Wenn er aus dem häufigen Auftauchen von Sprachfragen in den Tages-
blättern deu Schluß zieht, daß wirtlich ein lebhaftes Bedürfnis nach Wissenschaft-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/400>, abgerufen am 04.07.2024.