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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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liebe Ordnung verdient gemacht. Ich finde deshalb auch die Verdammung der
quictistischeu Grundsätze des spanischen Priesters Molinos (s 1697) gerecht¬
fertigt, wenngleich der auf ihn ausgeübte Zwang zum Widerruf und die
jahrelange Einkerkerung des edeln Mannes eine durch nichts zu entschuldigende
Abscheulichkeit war. Zur Charakteristik seiner Lehre möge folgende Stelle ans
einer seiner Schriften hier Platz finden: "Hier bringt der göttliche Bräutigam,
indem er die Seelenkräfte suspendirt, die Seele in einen überaus süßen und
friedlichen Schlaf; hier sinkt sie in Schlummer, empfängt und genießt, ohne
zu verstehen, was sie genießt, in einer allersüßesten und lieblichsten Windstille.
Erhoben und verklärt zu diesen: passiven Zustande findet sie sich mit dein
höchsten Gut vereinigt, und diese Vereinigung macht ihr keine Milbe mehr."
(Die qnietistischen Streitigkeiten sind durch Fvnolon berühmt geworden, der sich
dnrch die Verteidigung seiner schwärmerischen Freundin, der Frau de in Mvtte-
Guyon, eine Anklage zuzog und ebenfalls widerrufen mußte.) Der Protestant
muß zwar aufs entschiedenste die Anmaßung des Papstes verwerfen, deu un¬
fehlbaren Glaubensrichter zu spielen, kann aber den kirchlichen und Staats¬
behörden nicht zumuten, daß sie in Sachen der Glaubensmeinungen ruhig Gottes
Wasser über Gottes Land laufen lassen sollen. Wenn sie in dieser Beziehung
eingreifen, so handeln sie mir als Organe des Gesamtwilleus, d. h. des Willens
der nüchtern, verständig und gemäßigt denkenden Menschen, die zwar stets die
Mehrheit bilden, die aber trotzdem ohne Obrigkeit deu Schwärmern und Fana¬
tikern gegenüber verloren sein würden, weil ein einziger fanatischer Schwärmer,
der herumläuft, aufreizt, schreit und schreibt, mehr Einfluß auf deu Gang des
öffentlichen Lebens ausübt, als tausend ruhige Bürger, die in der Werkstatt und
auf dem Acker arbeite". Fühlt sich die Regierung stark und weiß sie, daß das
Volk geistig gesund ist, so kann sie ohne Gefährdung des Gemeinwohls einer
Narrheit, so lauge diese sich ans das theoretische Gebiet beschränkt, freien Lauf
lassen; aber wenn sie Narrhcitslehrer besolden wollte, so würde sie ihre Pflicht
verletzen. Hat doch bis jetzt auch noch niemand verlangt, daß an den Univer¬
sitäten Lehrstühle für Sozialdemokratie errichtet werden sollen. Anderseits kann
der Staat nicht umhin, alle Wissenschaften, darunter auch die Philosophie, durch
besoldete Lehrer vortragen zu lassen. Daß darin eine Gefahr für die Freiheit
der Wissenschaft liegt, daß die Aufsicht der Staatsbehörden ähnlich wie die
kirchliche Inquisition zuweilen mich für die Verbreitung nützlicher Wahrheiten
ein Hemmnis werden kaun, daß sich Professorenringe bilden, die zur Wahrung
des eignen Ruhmes andre Meinungen nicht aufkommen lassen, daß ein Mann,
der von seinein Vermögen lebt und ganz unabhängig forscht, sich anch leichter
die Unabhängigkeit und Unbefangenheit des Urteils bewahrt, das alles ist freilich
richtig, aber es läßt sich uicht ändern; alle menschlichen Einrichtungen sind min
einmal unvollkommen. Daher war Schopenhauer im Unrecht, wenn er über
das Institut der Philvsophieprofessoren grundsätzlich den Stab brach. Was


liebe Ordnung verdient gemacht. Ich finde deshalb auch die Verdammung der
quictistischeu Grundsätze des spanischen Priesters Molinos (s 1697) gerecht¬
fertigt, wenngleich der auf ihn ausgeübte Zwang zum Widerruf und die
jahrelange Einkerkerung des edeln Mannes eine durch nichts zu entschuldigende
Abscheulichkeit war. Zur Charakteristik seiner Lehre möge folgende Stelle ans
einer seiner Schriften hier Platz finden: „Hier bringt der göttliche Bräutigam,
indem er die Seelenkräfte suspendirt, die Seele in einen überaus süßen und
friedlichen Schlaf; hier sinkt sie in Schlummer, empfängt und genießt, ohne
zu verstehen, was sie genießt, in einer allersüßesten und lieblichsten Windstille.
Erhoben und verklärt zu diesen: passiven Zustande findet sie sich mit dein
höchsten Gut vereinigt, und diese Vereinigung macht ihr keine Milbe mehr."
(Die qnietistischen Streitigkeiten sind durch Fvnolon berühmt geworden, der sich
dnrch die Verteidigung seiner schwärmerischen Freundin, der Frau de in Mvtte-
Guyon, eine Anklage zuzog und ebenfalls widerrufen mußte.) Der Protestant
muß zwar aufs entschiedenste die Anmaßung des Papstes verwerfen, deu un¬
fehlbaren Glaubensrichter zu spielen, kann aber den kirchlichen und Staats¬
behörden nicht zumuten, daß sie in Sachen der Glaubensmeinungen ruhig Gottes
Wasser über Gottes Land laufen lassen sollen. Wenn sie in dieser Beziehung
eingreifen, so handeln sie mir als Organe des Gesamtwilleus, d. h. des Willens
der nüchtern, verständig und gemäßigt denkenden Menschen, die zwar stets die
Mehrheit bilden, die aber trotzdem ohne Obrigkeit deu Schwärmern und Fana¬
tikern gegenüber verloren sein würden, weil ein einziger fanatischer Schwärmer,
der herumläuft, aufreizt, schreit und schreibt, mehr Einfluß auf deu Gang des
öffentlichen Lebens ausübt, als tausend ruhige Bürger, die in der Werkstatt und
auf dem Acker arbeite«. Fühlt sich die Regierung stark und weiß sie, daß das
Volk geistig gesund ist, so kann sie ohne Gefährdung des Gemeinwohls einer
Narrheit, so lauge diese sich ans das theoretische Gebiet beschränkt, freien Lauf
lassen; aber wenn sie Narrhcitslehrer besolden wollte, so würde sie ihre Pflicht
verletzen. Hat doch bis jetzt auch noch niemand verlangt, daß an den Univer¬
sitäten Lehrstühle für Sozialdemokratie errichtet werden sollen. Anderseits kann
der Staat nicht umhin, alle Wissenschaften, darunter auch die Philosophie, durch
besoldete Lehrer vortragen zu lassen. Daß darin eine Gefahr für die Freiheit
der Wissenschaft liegt, daß die Aufsicht der Staatsbehörden ähnlich wie die
kirchliche Inquisition zuweilen mich für die Verbreitung nützlicher Wahrheiten
ein Hemmnis werden kaun, daß sich Professorenringe bilden, die zur Wahrung
des eignen Ruhmes andre Meinungen nicht aufkommen lassen, daß ein Mann,
der von seinein Vermögen lebt und ganz unabhängig forscht, sich anch leichter
die Unabhängigkeit und Unbefangenheit des Urteils bewahrt, das alles ist freilich
richtig, aber es läßt sich uicht ändern; alle menschlichen Einrichtungen sind min
einmal unvollkommen. Daher war Schopenhauer im Unrecht, wenn er über
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/40>, abgerufen am 24.07.2024.