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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Schopenhauer leäivivui.

zum Vorwurfe machten, die ihrige ist im Gegenteil die denkbar vollkommenste,
indem der Pessimismus die Hoffnung auf Belohnung des Guten gründlich aus¬
treibt und jeden Schlupfwinkel verstopft, in den sie sich verkriechen könnte.
Schade nur, daß diese übervortreffliche Tugend dem umgekehrten ontologischen
Beweise zum Opfer fallt! Eben ihrer unnatürlichen Vortrefflichkeit und Un-
eigennützigkeit wegen ist sie unmöglich. Auch haben wir, ans Gründen der
Praxis wenigstens, gegen das Mitleid als Wurzel aller Tugenden nichts ein¬
zuwenden. Die Ableitung der Tugenden aus dieser oder jener, aus einer
oder fünf Wurzeln hat lediglich ein wissenschaftliches Interesse und hat fürs
Leben nichts zu bedeuten. Denn der Mensch ist schon gut oder schlecht, ehe
er über den Ursprung seiner Handlungen nachzudenken beginnt. Was wir den
Religionen und Philosophien in sittlicher Hinsicht verdanken, das sind Ziele
des Handelns, Antriebe und Abschreckungen. In dieser Beziehung ist nun
der Pessimismus das unbrauchbarste, schädlichste und verderblichste aller
Systeme, sodaß ihm selbst der platteste Epikureismus bei weitem vorzuziehen
wäre. Nichts lahmt die Thatkraft in dem Grade, wie die Überzeugung, daß
es kein erstrebenswertes Ziel gebe, und ganz aufrichtig hat ja Schopenhauer
selbst auch eingestanden, daß seine Lehre weit mehr "Quietive" als Motive
enthalte und darauf abziele, den unvernünftige" Glückseligkeitsdrang zum Still¬
stand zu bringen. Nun rühmt sich zwar E. v. Hartmann, diesen Fehler ver¬
bessert zu haben, indem er der Kulturentwicklung ein neues Ziel gesteckt habe:
die Steigerung des Intellekts bis zu dem Grade, daß das ganze Menschen¬
geschlecht', vom unheilbaren Elend des Daseins überzeugt, seine Selbstvernicy-
tung oder gar die Vernichtung der Welt beschließe. Indes da ein so phan¬
tastisches Ziel niemals auch nur von einem Menschen ernsthaft genommen
werden und niemals für irgend jemand Antrieb zum Handeln sein wird, so ist
diese Korrektur als nicht geschehen zu betrachten. Der Pessimismus ist eben
keiner Verbesserung fähig; er ist. wie er ist, und will mau ihn nicht so, dann
muß man Optimist werden.

An und für sich würde von ihm nicht viel Unheil zu fürchten sein; denn
so sehr anch die Pessimisten dagegen Protestiren, bleibt es doch Thatsache,
daß der wissenschaftliche Pessimismus nur die Frucht eines Temperaments ist.
Namentlich bei Schopenhauer ist das ganz klar; weiß man doch zur Genüge,
daß er schon als Jüngling durch seinen unglückseligen Hang, alle Dinge von
der schlimmsten Seite zu nehmen, sogar seiner Mutter unausstehlich wurde.
Der Pessimismus ist also von Hans aus eine Art Seelengelbsucht, die Philo¬
sophie des Melancholikers, und die andern drei Temperamente sind nicht
empfänglich dafür. Indes kommt fast kein Temperament ganz rein und un¬
gemischt vor ohne jeglichen Zusatz von einem der andern, und es giebt Lebens¬
alter und Umstände, die den melancholischen Zusatz verstärken. Das zur
Melancholie geneigte Lebensalter ist bekanntlich das Jünglingsalter in der


Schopenhauer leäivivui.

zum Vorwurfe machten, die ihrige ist im Gegenteil die denkbar vollkommenste,
indem der Pessimismus die Hoffnung auf Belohnung des Guten gründlich aus¬
treibt und jeden Schlupfwinkel verstopft, in den sie sich verkriechen könnte.
Schade nur, daß diese übervortreffliche Tugend dem umgekehrten ontologischen
Beweise zum Opfer fallt! Eben ihrer unnatürlichen Vortrefflichkeit und Un-
eigennützigkeit wegen ist sie unmöglich. Auch haben wir, ans Gründen der
Praxis wenigstens, gegen das Mitleid als Wurzel aller Tugenden nichts ein¬
zuwenden. Die Ableitung der Tugenden aus dieser oder jener, aus einer
oder fünf Wurzeln hat lediglich ein wissenschaftliches Interesse und hat fürs
Leben nichts zu bedeuten. Denn der Mensch ist schon gut oder schlecht, ehe
er über den Ursprung seiner Handlungen nachzudenken beginnt. Was wir den
Religionen und Philosophien in sittlicher Hinsicht verdanken, das sind Ziele
des Handelns, Antriebe und Abschreckungen. In dieser Beziehung ist nun
der Pessimismus das unbrauchbarste, schädlichste und verderblichste aller
Systeme, sodaß ihm selbst der platteste Epikureismus bei weitem vorzuziehen
wäre. Nichts lahmt die Thatkraft in dem Grade, wie die Überzeugung, daß
es kein erstrebenswertes Ziel gebe, und ganz aufrichtig hat ja Schopenhauer
selbst auch eingestanden, daß seine Lehre weit mehr „Quietive" als Motive
enthalte und darauf abziele, den unvernünftige» Glückseligkeitsdrang zum Still¬
stand zu bringen. Nun rühmt sich zwar E. v. Hartmann, diesen Fehler ver¬
bessert zu haben, indem er der Kulturentwicklung ein neues Ziel gesteckt habe:
die Steigerung des Intellekts bis zu dem Grade, daß das ganze Menschen¬
geschlecht', vom unheilbaren Elend des Daseins überzeugt, seine Selbstvernicy-
tung oder gar die Vernichtung der Welt beschließe. Indes da ein so phan¬
tastisches Ziel niemals auch nur von einem Menschen ernsthaft genommen
werden und niemals für irgend jemand Antrieb zum Handeln sein wird, so ist
diese Korrektur als nicht geschehen zu betrachten. Der Pessimismus ist eben
keiner Verbesserung fähig; er ist. wie er ist, und will mau ihn nicht so, dann
muß man Optimist werden.

An und für sich würde von ihm nicht viel Unheil zu fürchten sein; denn
so sehr anch die Pessimisten dagegen Protestiren, bleibt es doch Thatsache,
daß der wissenschaftliche Pessimismus nur die Frucht eines Temperaments ist.
Namentlich bei Schopenhauer ist das ganz klar; weiß man doch zur Genüge,
daß er schon als Jüngling durch seinen unglückseligen Hang, alle Dinge von
der schlimmsten Seite zu nehmen, sogar seiner Mutter unausstehlich wurde.
Der Pessimismus ist also von Hans aus eine Art Seelengelbsucht, die Philo¬
sophie des Melancholikers, und die andern drei Temperamente sind nicht
empfänglich dafür. Indes kommt fast kein Temperament ganz rein und un¬
gemischt vor ohne jeglichen Zusatz von einem der andern, und es giebt Lebens¬
alter und Umstände, die den melancholischen Zusatz verstärken. Das zur
Melancholie geneigte Lebensalter ist bekanntlich das Jünglingsalter in der


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[0037] Schopenhauer leäivivui. zum Vorwurfe machten, die ihrige ist im Gegenteil die denkbar vollkommenste, indem der Pessimismus die Hoffnung auf Belohnung des Guten gründlich aus¬ treibt und jeden Schlupfwinkel verstopft, in den sie sich verkriechen könnte. Schade nur, daß diese übervortreffliche Tugend dem umgekehrten ontologischen Beweise zum Opfer fallt! Eben ihrer unnatürlichen Vortrefflichkeit und Un- eigennützigkeit wegen ist sie unmöglich. Auch haben wir, ans Gründen der Praxis wenigstens, gegen das Mitleid als Wurzel aller Tugenden nichts ein¬ zuwenden. Die Ableitung der Tugenden aus dieser oder jener, aus einer oder fünf Wurzeln hat lediglich ein wissenschaftliches Interesse und hat fürs Leben nichts zu bedeuten. Denn der Mensch ist schon gut oder schlecht, ehe er über den Ursprung seiner Handlungen nachzudenken beginnt. Was wir den Religionen und Philosophien in sittlicher Hinsicht verdanken, das sind Ziele des Handelns, Antriebe und Abschreckungen. In dieser Beziehung ist nun der Pessimismus das unbrauchbarste, schädlichste und verderblichste aller Systeme, sodaß ihm selbst der platteste Epikureismus bei weitem vorzuziehen wäre. Nichts lahmt die Thatkraft in dem Grade, wie die Überzeugung, daß es kein erstrebenswertes Ziel gebe, und ganz aufrichtig hat ja Schopenhauer selbst auch eingestanden, daß seine Lehre weit mehr „Quietive" als Motive enthalte und darauf abziele, den unvernünftige» Glückseligkeitsdrang zum Still¬ stand zu bringen. Nun rühmt sich zwar E. v. Hartmann, diesen Fehler ver¬ bessert zu haben, indem er der Kulturentwicklung ein neues Ziel gesteckt habe: die Steigerung des Intellekts bis zu dem Grade, daß das ganze Menschen¬ geschlecht', vom unheilbaren Elend des Daseins überzeugt, seine Selbstvernicy- tung oder gar die Vernichtung der Welt beschließe. Indes da ein so phan¬ tastisches Ziel niemals auch nur von einem Menschen ernsthaft genommen werden und niemals für irgend jemand Antrieb zum Handeln sein wird, so ist diese Korrektur als nicht geschehen zu betrachten. Der Pessimismus ist eben keiner Verbesserung fähig; er ist. wie er ist, und will mau ihn nicht so, dann muß man Optimist werden. An und für sich würde von ihm nicht viel Unheil zu fürchten sein; denn so sehr anch die Pessimisten dagegen Protestiren, bleibt es doch Thatsache, daß der wissenschaftliche Pessimismus nur die Frucht eines Temperaments ist. Namentlich bei Schopenhauer ist das ganz klar; weiß man doch zur Genüge, daß er schon als Jüngling durch seinen unglückseligen Hang, alle Dinge von der schlimmsten Seite zu nehmen, sogar seiner Mutter unausstehlich wurde. Der Pessimismus ist also von Hans aus eine Art Seelengelbsucht, die Philo¬ sophie des Melancholikers, und die andern drei Temperamente sind nicht empfänglich dafür. Indes kommt fast kein Temperament ganz rein und un¬ gemischt vor ohne jeglichen Zusatz von einem der andern, und es giebt Lebens¬ alter und Umstände, die den melancholischen Zusatz verstärken. Das zur Melancholie geneigte Lebensalter ist bekanntlich das Jünglingsalter in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/37>, abgerufen am 24.07.2024.