Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.Zur Aussprache des Altgriechischen Dieser Zeitpunkt, sagen wir rund 400 v. Chr., empfiehlt sich auch noch Gleichviel ob es Sunvnides oder ein andrer gewesen ist, soviel steht fest, So bediene" sich die Neugriechen noch immer jenes mehr als 2000 Jahre Zur Aussprache des Altgriechischen Dieser Zeitpunkt, sagen wir rund 400 v. Chr., empfiehlt sich auch noch Gleichviel ob es Sunvnides oder ein andrer gewesen ist, soviel steht fest, So bediene« sich die Neugriechen noch immer jenes mehr als 2000 Jahre <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210233"/> <fw type="header" place="top"> Zur Aussprache des Altgriechischen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1012"> Dieser Zeitpunkt, sagen wir rund 400 v. Chr., empfiehlt sich auch noch<lb/> aus dem Grunde, weil damals eben in Attika ein neues Alphabet eingeführt<lb/> worden war. Es ist ein feiner Ruhm der alten Griechen, daß sie auch an<lb/> der Vervollkommnung ihrer Schrift emsig gearbeitet haben. Kadmus oder<lb/> welchen Namen er sonst gehabt haben mag, der die phönizischen Schriftzeichen<lb/> zuerst dem Griechischen anpaßte, hat wie jeder Schriftbildner über die Ele¬<lb/> mente der Sprache nachgedacht und ohne Berücksichtigung gar zu feiner Laut-<lb/> nbstufungen, die ihm vielleicht selbst nicht zum Bewußtsein gekommen sind, nur<lb/> für jeden merkbar charakterisirten Laut ein eignes Zeichen erfanden oder über¬<lb/> nommen. Jede Schrift will bei ihrer ersten Aufstellung phonetisch sein, d. h.<lb/> jedem Laute nur ein Zeichen und jedem Zeichen nur einen Lantwert erteilen.<lb/> Abweichungen gestatten sich Schriftübertrager allenfalls so, daß sie bei Un¬<lb/> zulänglichkeit der verfügbaren Zeichen zwei ähnliche Laute nur durch ein<lb/> Zeichen wiedergeben, oder daß sie zur Zusammenfügung mehrerer Zeichen<lb/> greifen, um einen sonst leer ausgehenden Laut sichtbar darzustellen. Das ist<lb/> eine Art von Kargheit oder Geizen, wozu die Beschränktheit der Mittel<lb/> nötigt, nirgends aber findet man bei ersten Schriftbildnern den unverständ¬<lb/> lichen Luxus, einem Laute aus reinem Übermut mehrere Zeichen zu geben.<lb/> Die griechische Schrift bildet von dieser Regel keine Ausnahme, ihre älteste<lb/> Form zeigt ein Zuwenig, kein Zuviel. In den verschiednen Gegenden bildete<lb/> sie sich verschieden weiter, und so entstand eine Zersplitterung und Mißhellig-<lb/> teit, die sich allmählich im Verkehr recht störend fühlbar machte. Die Sage<lb/> bezeichnet den Dichter Simonides ans Keos (geht. 469 v. Chr.) als den, der ans<lb/> Grund sorgfältiger Beobachtungen das griechische Alphabet und die griechische<lb/> Rechtschreibung umgestaltet, vermehrt und verbessert habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1013"> Gleichviel ob es Sunvnides oder ein andrer gewesen ist, soviel steht fest,<lb/> daß im fünften Jahrhundert v. Chr. eine Reform von Alphabet und Ortho¬<lb/> graphie in Griechenland stattgefunden hat, die sich durch ihre Vorzüge derart<lb/> zur Geltung brachte, daß dieses neue sogenannte ionische Alphabet mit seiner<lb/> Orthographie 402 v. Chr. in Athen unter Euklids Archoutat gesetzlich und<lb/> amtlich eingeführt wurde. Mit der zunehmenden Herrschaft des attischen<lb/> Dialekts, an der vielleicht auch das gute Schriftshstem Anteil hatte, verbreitete<lb/> sich diese Schreibart über die ganze griechisch sprechende und schreibende Welt<lb/> und schlug dadurch so feste Wurzeln, daß seitdem niemand mehr gewagt hat,<lb/> Änderungen darau vorzunehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1014" next="#ID_1015"> So bediene« sich die Neugriechen noch immer jenes mehr als 2000 Jahre<lb/> alten Schrift- und Orthvgraphiesystems. Es ist menschlich begreiflich, daß sie<lb/> sich in nationalen: Stolz und Vorurteil einbilden, wie die Schreibweise so<lb/> auch die Allssprache der alten Griechen bewahrt zu haben. Aber wie sie nicht<lb/> mehr die Sprache von Althellas besitzen, sondern eine Weiterbildung, so haben<lb/> sie anch nicht mehr die Aussprache des perikleischen Zeitalters, sondern einen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0366]
Zur Aussprache des Altgriechischen
Dieser Zeitpunkt, sagen wir rund 400 v. Chr., empfiehlt sich auch noch
aus dem Grunde, weil damals eben in Attika ein neues Alphabet eingeführt
worden war. Es ist ein feiner Ruhm der alten Griechen, daß sie auch an
der Vervollkommnung ihrer Schrift emsig gearbeitet haben. Kadmus oder
welchen Namen er sonst gehabt haben mag, der die phönizischen Schriftzeichen
zuerst dem Griechischen anpaßte, hat wie jeder Schriftbildner über die Ele¬
mente der Sprache nachgedacht und ohne Berücksichtigung gar zu feiner Laut-
nbstufungen, die ihm vielleicht selbst nicht zum Bewußtsein gekommen sind, nur
für jeden merkbar charakterisirten Laut ein eignes Zeichen erfanden oder über¬
nommen. Jede Schrift will bei ihrer ersten Aufstellung phonetisch sein, d. h.
jedem Laute nur ein Zeichen und jedem Zeichen nur einen Lantwert erteilen.
Abweichungen gestatten sich Schriftübertrager allenfalls so, daß sie bei Un¬
zulänglichkeit der verfügbaren Zeichen zwei ähnliche Laute nur durch ein
Zeichen wiedergeben, oder daß sie zur Zusammenfügung mehrerer Zeichen
greifen, um einen sonst leer ausgehenden Laut sichtbar darzustellen. Das ist
eine Art von Kargheit oder Geizen, wozu die Beschränktheit der Mittel
nötigt, nirgends aber findet man bei ersten Schriftbildnern den unverständ¬
lichen Luxus, einem Laute aus reinem Übermut mehrere Zeichen zu geben.
Die griechische Schrift bildet von dieser Regel keine Ausnahme, ihre älteste
Form zeigt ein Zuwenig, kein Zuviel. In den verschiednen Gegenden bildete
sie sich verschieden weiter, und so entstand eine Zersplitterung und Mißhellig-
teit, die sich allmählich im Verkehr recht störend fühlbar machte. Die Sage
bezeichnet den Dichter Simonides ans Keos (geht. 469 v. Chr.) als den, der ans
Grund sorgfältiger Beobachtungen das griechische Alphabet und die griechische
Rechtschreibung umgestaltet, vermehrt und verbessert habe.
Gleichviel ob es Sunvnides oder ein andrer gewesen ist, soviel steht fest,
daß im fünften Jahrhundert v. Chr. eine Reform von Alphabet und Ortho¬
graphie in Griechenland stattgefunden hat, die sich durch ihre Vorzüge derart
zur Geltung brachte, daß dieses neue sogenannte ionische Alphabet mit seiner
Orthographie 402 v. Chr. in Athen unter Euklids Archoutat gesetzlich und
amtlich eingeführt wurde. Mit der zunehmenden Herrschaft des attischen
Dialekts, an der vielleicht auch das gute Schriftshstem Anteil hatte, verbreitete
sich diese Schreibart über die ganze griechisch sprechende und schreibende Welt
und schlug dadurch so feste Wurzeln, daß seitdem niemand mehr gewagt hat,
Änderungen darau vorzunehmen.
So bediene« sich die Neugriechen noch immer jenes mehr als 2000 Jahre
alten Schrift- und Orthvgraphiesystems. Es ist menschlich begreiflich, daß sie
sich in nationalen: Stolz und Vorurteil einbilden, wie die Schreibweise so
auch die Allssprache der alten Griechen bewahrt zu haben. Aber wie sie nicht
mehr die Sprache von Althellas besitzen, sondern eine Weiterbildung, so haben
sie anch nicht mehr die Aussprache des perikleischen Zeitalters, sondern einen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |