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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit

ist, so sei es gestattet, von den Aufzeichnungen persönlicher Freunde Schumanns
hier einiges mitzuteilen, das wenigstens bezeugt, mit welcher Liebe und Hoch¬
achtung diese Freunde ihm zugethan waren.

Sterndale Bennett war dreimal in Leipzig: vom 29. Oktober 1836 bis
zum 12. Juni 1837, vom 1". Oktober 1838 bis zum 2. März 1839 (während
Schumann in Wien war) und vom 12. Januar bis zum 7. März 1842. Er
führte in dieser Zeit ein Tagebuch, aus dem mir sein Sohn, Herr Direktor
James Sterndale Bennett in Derby, folgendes mitgeteilt hat. "Ging gestern
abend ^den 3. November 1836 > zum Abendessen ins Hotel de Baviere, wo
ich zwei meiner neuen Freunde traf -- die Herren Schumann und Franck und
einen andern Musiker, der mir fremd war. Wir wurden aber bald Freunde
bei einem Glase Sekt. -- Ich kam um elf in meiner Wohnung an, was hier¬
zulande für ungeheuer spät gehalten wird. Heute werde ich als Abonnent
im Hotel de Baviere ansaugen." In den nächsten Wochen solgen Vermerke
über Besuche bei und von Schumann und über gemeinschaftliche Spaziergünge.
Schumann führte Bennett bei Kistner (seinem spätern Verleger) und bei Frau
Henriette Voigt ein. Unterm 28. November heißt es: "Ging heute zu Schu¬
mann, um ihn zu besuchen, da er sehr krank ist." Auch nach der Heimat
berichtet Bennett über seine Bekanntschaft mit Schumann. An den Kritiker
James Davisvn in London schreibt er: "Ich habe einen Freund gefunden, der
ganz nach deinem Herzen sein, der mit dir die ganze Nacht wachen und rauchen
und plaudern würde: sein Name ist Robert Schumann." Es wird dadurch
aufs neue bestätigt, daß Schumann in seinen jungen Jahren keineswegs jene
beharrliche Schweigsamkeit zeigte, die später ein Grundzug seines Wesens war.
Bei der Erörterung dieses Punktes schrieb mir Herr Bennett: "Mein Vater
hat Schumanns nie als eines sehr schweigsamen Mannes erwähnt. Freilich
war sein enger Verkehr mit ihm fast nur auf seinen ersten Besuch in Deutsch¬
land beschränkt, und Schumann ist vielleicht erst später so schweigsam geworden."
So war es. Zu deu gesprächigen Menschen hat ja Schumann nie gehört,
doch wird durch seine Freunde bezeugt, daß er zu Zeiten sehr beredt sein
konnte.

Frau Atome Schlick geborne Jasper, eine intime Freundin der Frau
Henriette Voigt, in deren Hause sie Schumann öfter gesehen hatte, erzählte
mir, daß Schumann im Familienkreise, in Gegenwart weniger Menschen, sehr
unterhaltend und humoristisch gewesen sei; in größerer Gesellschaft habe er sich
augenscheinlich unbehaglich gefühlt und sei still gewesen. Einmal habe sie
beobachtet, wie er das Bücherbrett gemustert und endlich angefangen habe zu
lesen, der Gesellschaft den Rücken zukehrend. Wenzel, der während der ganzen
Davidsbündlerzeit mit Schumann verkehrte, sprach sich ebenso aus. "Heute
haben wir doch einmal über alles gesprochen," hatte Schumann wohl gesagt,
wenn sie eine besonders angeregte Unterhaltung geführt hatten. Hiller, der


Grenzboten 1l 1891 43
Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit

ist, so sei es gestattet, von den Aufzeichnungen persönlicher Freunde Schumanns
hier einiges mitzuteilen, das wenigstens bezeugt, mit welcher Liebe und Hoch¬
achtung diese Freunde ihm zugethan waren.

Sterndale Bennett war dreimal in Leipzig: vom 29. Oktober 1836 bis
zum 12. Juni 1837, vom 1«. Oktober 1838 bis zum 2. März 1839 (während
Schumann in Wien war) und vom 12. Januar bis zum 7. März 1842. Er
führte in dieser Zeit ein Tagebuch, aus dem mir sein Sohn, Herr Direktor
James Sterndale Bennett in Derby, folgendes mitgeteilt hat. „Ging gestern
abend ^den 3. November 1836 > zum Abendessen ins Hotel de Baviere, wo
ich zwei meiner neuen Freunde traf — die Herren Schumann und Franck und
einen andern Musiker, der mir fremd war. Wir wurden aber bald Freunde
bei einem Glase Sekt. — Ich kam um elf in meiner Wohnung an, was hier¬
zulande für ungeheuer spät gehalten wird. Heute werde ich als Abonnent
im Hotel de Baviere ansaugen." In den nächsten Wochen solgen Vermerke
über Besuche bei und von Schumann und über gemeinschaftliche Spaziergünge.
Schumann führte Bennett bei Kistner (seinem spätern Verleger) und bei Frau
Henriette Voigt ein. Unterm 28. November heißt es: „Ging heute zu Schu¬
mann, um ihn zu besuchen, da er sehr krank ist." Auch nach der Heimat
berichtet Bennett über seine Bekanntschaft mit Schumann. An den Kritiker
James Davisvn in London schreibt er: „Ich habe einen Freund gefunden, der
ganz nach deinem Herzen sein, der mit dir die ganze Nacht wachen und rauchen
und plaudern würde: sein Name ist Robert Schumann." Es wird dadurch
aufs neue bestätigt, daß Schumann in seinen jungen Jahren keineswegs jene
beharrliche Schweigsamkeit zeigte, die später ein Grundzug seines Wesens war.
Bei der Erörterung dieses Punktes schrieb mir Herr Bennett: „Mein Vater
hat Schumanns nie als eines sehr schweigsamen Mannes erwähnt. Freilich
war sein enger Verkehr mit ihm fast nur auf seinen ersten Besuch in Deutsch¬
land beschränkt, und Schumann ist vielleicht erst später so schweigsam geworden."
So war es. Zu deu gesprächigen Menschen hat ja Schumann nie gehört,
doch wird durch seine Freunde bezeugt, daß er zu Zeiten sehr beredt sein
konnte.

Frau Atome Schlick geborne Jasper, eine intime Freundin der Frau
Henriette Voigt, in deren Hause sie Schumann öfter gesehen hatte, erzählte
mir, daß Schumann im Familienkreise, in Gegenwart weniger Menschen, sehr
unterhaltend und humoristisch gewesen sei; in größerer Gesellschaft habe er sich
augenscheinlich unbehaglich gefühlt und sei still gewesen. Einmal habe sie
beobachtet, wie er das Bücherbrett gemustert und endlich angefangen habe zu
lesen, der Gesellschaft den Rücken zukehrend. Wenzel, der während der ganzen
Davidsbündlerzeit mit Schumann verkehrte, sprach sich ebenso aus. „Heute
haben wir doch einmal über alles gesprochen," hatte Schumann wohl gesagt,
wenn sie eine besonders angeregte Unterhaltung geführt hatten. Hiller, der


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[0341] Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit ist, so sei es gestattet, von den Aufzeichnungen persönlicher Freunde Schumanns hier einiges mitzuteilen, das wenigstens bezeugt, mit welcher Liebe und Hoch¬ achtung diese Freunde ihm zugethan waren. Sterndale Bennett war dreimal in Leipzig: vom 29. Oktober 1836 bis zum 12. Juni 1837, vom 1«. Oktober 1838 bis zum 2. März 1839 (während Schumann in Wien war) und vom 12. Januar bis zum 7. März 1842. Er führte in dieser Zeit ein Tagebuch, aus dem mir sein Sohn, Herr Direktor James Sterndale Bennett in Derby, folgendes mitgeteilt hat. „Ging gestern abend ^den 3. November 1836 > zum Abendessen ins Hotel de Baviere, wo ich zwei meiner neuen Freunde traf — die Herren Schumann und Franck und einen andern Musiker, der mir fremd war. Wir wurden aber bald Freunde bei einem Glase Sekt. — Ich kam um elf in meiner Wohnung an, was hier¬ zulande für ungeheuer spät gehalten wird. Heute werde ich als Abonnent im Hotel de Baviere ansaugen." In den nächsten Wochen solgen Vermerke über Besuche bei und von Schumann und über gemeinschaftliche Spaziergünge. Schumann führte Bennett bei Kistner (seinem spätern Verleger) und bei Frau Henriette Voigt ein. Unterm 28. November heißt es: „Ging heute zu Schu¬ mann, um ihn zu besuchen, da er sehr krank ist." Auch nach der Heimat berichtet Bennett über seine Bekanntschaft mit Schumann. An den Kritiker James Davisvn in London schreibt er: „Ich habe einen Freund gefunden, der ganz nach deinem Herzen sein, der mit dir die ganze Nacht wachen und rauchen und plaudern würde: sein Name ist Robert Schumann." Es wird dadurch aufs neue bestätigt, daß Schumann in seinen jungen Jahren keineswegs jene beharrliche Schweigsamkeit zeigte, die später ein Grundzug seines Wesens war. Bei der Erörterung dieses Punktes schrieb mir Herr Bennett: „Mein Vater hat Schumanns nie als eines sehr schweigsamen Mannes erwähnt. Freilich war sein enger Verkehr mit ihm fast nur auf seinen ersten Besuch in Deutsch¬ land beschränkt, und Schumann ist vielleicht erst später so schweigsam geworden." So war es. Zu deu gesprächigen Menschen hat ja Schumann nie gehört, doch wird durch seine Freunde bezeugt, daß er zu Zeiten sehr beredt sein konnte. Frau Atome Schlick geborne Jasper, eine intime Freundin der Frau Henriette Voigt, in deren Hause sie Schumann öfter gesehen hatte, erzählte mir, daß Schumann im Familienkreise, in Gegenwart weniger Menschen, sehr unterhaltend und humoristisch gewesen sei; in größerer Gesellschaft habe er sich augenscheinlich unbehaglich gefühlt und sei still gewesen. Einmal habe sie beobachtet, wie er das Bücherbrett gemustert und endlich angefangen habe zu lesen, der Gesellschaft den Rücken zukehrend. Wenzel, der während der ganzen Davidsbündlerzeit mit Schumann verkehrte, sprach sich ebenso aus. „Heute haben wir doch einmal über alles gesprochen," hatte Schumann wohl gesagt, wenn sie eine besonders angeregte Unterhaltung geführt hatten. Hiller, der Grenzboten 1l 1891 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/341>, abgerufen am 24.07.2024.