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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit

an den künftigen Musiker, dem es gegeben war, auch das Unsagbare zum Aus¬
druck zu bringen. Schumann schreibt, er sei unendlich wehmütig gestimmt
von einem poetischen Stoff, den er bearbeiten wolle; die Worte zerflossen
ihm zu Thränen, und er müsse schließen, noch ehe er recht begonnen, weil
"es ihn zu stark angriffe." "Es ist sonderbar, daß ich da, wo meine Gefühle
am stärksten sprechen, aufhören muß, Dichter zu sein; ich kann wenigstens da
nie zusammenhängende Gedanken niederschreibell. Wo aber mein eignes Selbst
nicht mitzufühlen braucht, wo nur die Phantasie herrscht, dichte ich freier,
leichter und besser. Hierin bin ich ganz mit mir eins. So wäre es mir
nicht möglich, ein Gedicht an Liddy zu machen. Ich empfinde fast zu sehr
dabei; Empfiiiduugeu sind sprachlos."

Die Ausarbeitung der dramatischen Pläne wurde wahrscheinlich aufgegeben,
als Schumann von Jean Paul und Franz Schubert gefesselt wurde, deren.
Bekanntschaft er selbst als das "Hauptereignis seines achtzehnten Jahres" be¬
zeichnete. *)

"Meine Canone schlummert," schrieb er im August 1827 an Flechsig,
"einmal war sie selig erwacht-- v, des kurzen, aber schönen Augenblicks! --
jetzt träumt sie nur manchmal noch, und wenn sie erwacht, weiß sie die
Träume nicht mehr, und so schlummert sie wieder ein, träumend, fühlend, em¬
pfindend, der toten Worte ledig, in die sie ihr Gefühl bannen soll. Aber
auch ihr Schlummer ist schön wie der Schlaf der Jungfrau, die glücklich liebt,
und deren ruhige Zuge die goldene Vergangenheit im Traume himmlisch
verklärt."

Durch Jean Paul wurde Schumann zu Prosadichtuugeu angeregt. Außer
den schon erwähnten "Juuiusabeudeu" ist der Anfang eines Romans "Selene"
erhalten geblieben; beide lassen die sich wieder geltcndmachende Hinneigung
Schumanns zur Musik erkennen.

Endlich aber sollte feilte musikalische Natur siegreich zum Durchbruch
kommen, als ein gütiges Geschick ihn einer talentvollen Frau zuführte, deren
seelenvoller Gesang wie eine überirdische Offenbarung auf ihn wirkte. Im
Frühjahr 1827 kam Agnes Carus, die junge Frau eines in Colditz lebenden
Arztes, zum Besuch nach Zwickau. Sie war, wonach Schumann sich bisher
vergebens gesehnt hatte, eine durch und durch musikalische, der seinigen gleich¬
artige Natur, an Bildung, Geschmack und Kenntnissen der Zwickauer Dilettanten¬
welt weit überlegen. Ans ihrem künstlerisch geschulten Gesänge sprach die
Empfindung einer feinen, von dem Gewöhnlichen sich abwendenden Seele.



Vergl. G. Kastner über Schumann in der Rsvno ot) KsMtto musioalo <Is ?s,rig
vom 21. Juni 1840. Die Skizze enthält einige biographische Einzelheiten, die unzweifelhaft
nach Schumanns eignen Angaben niedergeschrieben sind. Bemerkenswert ist, daß Kastner am
Schlüsse ausspricht, Schumann werde im Orchester das geeignetste Feld für seine Befähigung
finden. Schon nach Verlauf eines halben Jahres machte das Schumann thatsächlich wahr.
Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit

an den künftigen Musiker, dem es gegeben war, auch das Unsagbare zum Aus¬
druck zu bringen. Schumann schreibt, er sei unendlich wehmütig gestimmt
von einem poetischen Stoff, den er bearbeiten wolle; die Worte zerflossen
ihm zu Thränen, und er müsse schließen, noch ehe er recht begonnen, weil
„es ihn zu stark angriffe." „Es ist sonderbar, daß ich da, wo meine Gefühle
am stärksten sprechen, aufhören muß, Dichter zu sein; ich kann wenigstens da
nie zusammenhängende Gedanken niederschreibell. Wo aber mein eignes Selbst
nicht mitzufühlen braucht, wo nur die Phantasie herrscht, dichte ich freier,
leichter und besser. Hierin bin ich ganz mit mir eins. So wäre es mir
nicht möglich, ein Gedicht an Liddy zu machen. Ich empfinde fast zu sehr
dabei; Empfiiiduugeu sind sprachlos."

Die Ausarbeitung der dramatischen Pläne wurde wahrscheinlich aufgegeben,
als Schumann von Jean Paul und Franz Schubert gefesselt wurde, deren.
Bekanntschaft er selbst als das „Hauptereignis seines achtzehnten Jahres" be¬
zeichnete. *)

„Meine Canone schlummert," schrieb er im August 1827 an Flechsig,
„einmal war sie selig erwacht— v, des kurzen, aber schönen Augenblicks! —
jetzt träumt sie nur manchmal noch, und wenn sie erwacht, weiß sie die
Träume nicht mehr, und so schlummert sie wieder ein, träumend, fühlend, em¬
pfindend, der toten Worte ledig, in die sie ihr Gefühl bannen soll. Aber
auch ihr Schlummer ist schön wie der Schlaf der Jungfrau, die glücklich liebt,
und deren ruhige Zuge die goldene Vergangenheit im Traume himmlisch
verklärt."

Durch Jean Paul wurde Schumann zu Prosadichtuugeu angeregt. Außer
den schon erwähnten „Juuiusabeudeu" ist der Anfang eines Romans „Selene"
erhalten geblieben; beide lassen die sich wieder geltcndmachende Hinneigung
Schumanns zur Musik erkennen.

Endlich aber sollte feilte musikalische Natur siegreich zum Durchbruch
kommen, als ein gütiges Geschick ihn einer talentvollen Frau zuführte, deren
seelenvoller Gesang wie eine überirdische Offenbarung auf ihn wirkte. Im
Frühjahr 1827 kam Agnes Carus, die junge Frau eines in Colditz lebenden
Arztes, zum Besuch nach Zwickau. Sie war, wonach Schumann sich bisher
vergebens gesehnt hatte, eine durch und durch musikalische, der seinigen gleich¬
artige Natur, an Bildung, Geschmack und Kenntnissen der Zwickauer Dilettanten¬
welt weit überlegen. Ans ihrem künstlerisch geschulten Gesänge sprach die
Empfindung einer feinen, von dem Gewöhnlichen sich abwendenden Seele.



Vergl. G. Kastner über Schumann in der Rsvno ot) KsMtto musioalo <Is ?s,rig
vom 21. Juni 1840. Die Skizze enthält einige biographische Einzelheiten, die unzweifelhaft
nach Schumanns eignen Angaben niedergeschrieben sind. Bemerkenswert ist, daß Kastner am
Schlüsse ausspricht, Schumann werde im Orchester das geeignetste Feld für seine Befähigung
finden. Schon nach Verlauf eines halben Jahres machte das Schumann thatsächlich wahr.
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[0336] Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit an den künftigen Musiker, dem es gegeben war, auch das Unsagbare zum Aus¬ druck zu bringen. Schumann schreibt, er sei unendlich wehmütig gestimmt von einem poetischen Stoff, den er bearbeiten wolle; die Worte zerflossen ihm zu Thränen, und er müsse schließen, noch ehe er recht begonnen, weil „es ihn zu stark angriffe." „Es ist sonderbar, daß ich da, wo meine Gefühle am stärksten sprechen, aufhören muß, Dichter zu sein; ich kann wenigstens da nie zusammenhängende Gedanken niederschreibell. Wo aber mein eignes Selbst nicht mitzufühlen braucht, wo nur die Phantasie herrscht, dichte ich freier, leichter und besser. Hierin bin ich ganz mit mir eins. So wäre es mir nicht möglich, ein Gedicht an Liddy zu machen. Ich empfinde fast zu sehr dabei; Empfiiiduugeu sind sprachlos." Die Ausarbeitung der dramatischen Pläne wurde wahrscheinlich aufgegeben, als Schumann von Jean Paul und Franz Schubert gefesselt wurde, deren. Bekanntschaft er selbst als das „Hauptereignis seines achtzehnten Jahres" be¬ zeichnete. *) „Meine Canone schlummert," schrieb er im August 1827 an Flechsig, „einmal war sie selig erwacht— v, des kurzen, aber schönen Augenblicks! — jetzt träumt sie nur manchmal noch, und wenn sie erwacht, weiß sie die Träume nicht mehr, und so schlummert sie wieder ein, träumend, fühlend, em¬ pfindend, der toten Worte ledig, in die sie ihr Gefühl bannen soll. Aber auch ihr Schlummer ist schön wie der Schlaf der Jungfrau, die glücklich liebt, und deren ruhige Zuge die goldene Vergangenheit im Traume himmlisch verklärt." Durch Jean Paul wurde Schumann zu Prosadichtuugeu angeregt. Außer den schon erwähnten „Juuiusabeudeu" ist der Anfang eines Romans „Selene" erhalten geblieben; beide lassen die sich wieder geltcndmachende Hinneigung Schumanns zur Musik erkennen. Endlich aber sollte feilte musikalische Natur siegreich zum Durchbruch kommen, als ein gütiges Geschick ihn einer talentvollen Frau zuführte, deren seelenvoller Gesang wie eine überirdische Offenbarung auf ihn wirkte. Im Frühjahr 1827 kam Agnes Carus, die junge Frau eines in Colditz lebenden Arztes, zum Besuch nach Zwickau. Sie war, wonach Schumann sich bisher vergebens gesehnt hatte, eine durch und durch musikalische, der seinigen gleich¬ artige Natur, an Bildung, Geschmack und Kenntnissen der Zwickauer Dilettanten¬ welt weit überlegen. Ans ihrem künstlerisch geschulten Gesänge sprach die Empfindung einer feinen, von dem Gewöhnlichen sich abwendenden Seele. Vergl. G. Kastner über Schumann in der Rsvno ot) KsMtto musioalo <Is ?s,rig vom 21. Juni 1840. Die Skizze enthält einige biographische Einzelheiten, die unzweifelhaft nach Schumanns eignen Angaben niedergeschrieben sind. Bemerkenswert ist, daß Kastner am Schlüsse ausspricht, Schumann werde im Orchester das geeignetste Feld für seine Befähigung finden. Schon nach Verlauf eines halben Jahres machte das Schumann thatsächlich wahr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/336>, abgerufen am 24.07.2024.