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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Schopenhauer rsäivivus

Anwendungsarten ist nach Schopenhauer die Anwendbarkeit des Satzes vom
zureichenden Grunde erschöpft, und es giebt im Gefüge unsrer Gedanken keine
Stelle, an der er über die Welt hinausführte. Wenigstens sucht Schopen¬
hauer die Öffnung aufs sorgfältigste zu vermauern. "Das Kausalitäts¬
gesetz l^die erste der vier angegebenen Anwendungsartenl ist der Regulator der
in der Zeit eintretenden Veränderungen, der Gegenstände der äußern Erfah¬
rung, diese aber sind sämtlich materiell. Jede Veränderung kann nur ein¬
treten dadurch, daß eine andre, nach einer Regel bestimmte ihr vorhergegangen
ist, durch die sie aber dann als notwendig herbeigeführt eintritt: diese Not¬
wendigkeit ist der Kausalnexus. So einfach demnach das Gesetz der Kausalität
lst, so finden wir in den philosophischen Lehrbüchern, von den ältesten an bis
lus die neuesten, in der Regel es ganz anders ausgedrückt, nämlich abstrakter,
mithin weiter und unbestimmter gefaßt. Da heißt es denn etwan, Ursache sei,
wodurch ein andres zum Dasein gelangt, während doch bei der Kausalität es
sich offenbar nnr um Formveränderungen der unentstandenen und unzerstör-
baren Materie handelt und ein eigentliches Entstehen, ein Jnsdaseiutreteu des
vorher gar nicht Gewesenen eine Unmöglichkeit ist. An jenen hergebrachten,
zu weiten, schiefen, falschen Fassungen des Kausalitätsverhältnisses mag um
gwar größtenteils Unklarheit des Denkens schuld sein: aber zuverlässig steckt
mitunter auch Absicht dahinter, nämlich theologische, schon von ferne mit dem
kosmologischen Beweise liebängelnde, welche bereit ist, diesem zu gefallen, felbst
transeendentale Wahrheiten A xriori (diese Muttermilch des menschlichen Ver¬
standes) zu verfälschen." Dann folgt ein mit beißenden und hämischen Witzen
gespickter Ausfall auf die deutschen Philosophieprofefforen, die den von Kant
mausetot geschlagenen kosmologischen Beweis mit Hilfe von allerlei Gaukler¬
künsten wieder auf die Beine gebracht hätten gegen besseres Wissen und Ge¬
wissen, weil sie -- dafür bezahlt würden.

In Wirklichkeit ist es nicht die Theologie, die den Satz vom zureichenden
Grunde fälscht (vielmehr ist sie ein Kind dieses Satzes), sondern Schopenhauer
macht sich dieses Verbrechens schuldig aus Haß gegen die Theologie. Derselbe
^rieb, der uns zwingt, die vorhergehende Erscheinung nicht bloß als Vor¬
gängerin, sondern auch als Ursache der nachfolgenden anzuerkennen, der zwingt
uns noch weiter, eine gemeinsame Grundursache aller Erscheinungen anzunehmen.

Beziehung auf diese letzte Ursache wirkt der Trieb weniger stark, aus dem
einfachen Grunde, weil wir die Kenntnis dieser letzten Ursache nicht zu unsern
täglichen Verrichtungen brauchen, während wir, ohne beständig auf die ursäch¬
liche Verkettung der Erscheinungen zu achten, nicht einmal essen und trinken,
geschweige denn arbeiten könnten. Und so mag es wohl kommen, daß das
Bedürfnis, eine letzte Ursache aller Dinge zu denken, in manchen Menschen, zu
denen auch Schopenhauer gehört, überhaupt uicht erwacht, wie es ja auch
Menschen ohne musikalisches Gehör giebt, andre, denen der Sinn für Natur-


Grenzboteii II 1891 4
Schopenhauer rsäivivus

Anwendungsarten ist nach Schopenhauer die Anwendbarkeit des Satzes vom
zureichenden Grunde erschöpft, und es giebt im Gefüge unsrer Gedanken keine
Stelle, an der er über die Welt hinausführte. Wenigstens sucht Schopen¬
hauer die Öffnung aufs sorgfältigste zu vermauern. „Das Kausalitäts¬
gesetz l^die erste der vier angegebenen Anwendungsartenl ist der Regulator der
in der Zeit eintretenden Veränderungen, der Gegenstände der äußern Erfah¬
rung, diese aber sind sämtlich materiell. Jede Veränderung kann nur ein¬
treten dadurch, daß eine andre, nach einer Regel bestimmte ihr vorhergegangen
ist, durch die sie aber dann als notwendig herbeigeführt eintritt: diese Not¬
wendigkeit ist der Kausalnexus. So einfach demnach das Gesetz der Kausalität
lst, so finden wir in den philosophischen Lehrbüchern, von den ältesten an bis
lus die neuesten, in der Regel es ganz anders ausgedrückt, nämlich abstrakter,
mithin weiter und unbestimmter gefaßt. Da heißt es denn etwan, Ursache sei,
wodurch ein andres zum Dasein gelangt, während doch bei der Kausalität es
sich offenbar nnr um Formveränderungen der unentstandenen und unzerstör-
baren Materie handelt und ein eigentliches Entstehen, ein Jnsdaseiutreteu des
vorher gar nicht Gewesenen eine Unmöglichkeit ist. An jenen hergebrachten,
zu weiten, schiefen, falschen Fassungen des Kausalitätsverhältnisses mag um
gwar größtenteils Unklarheit des Denkens schuld sein: aber zuverlässig steckt
mitunter auch Absicht dahinter, nämlich theologische, schon von ferne mit dem
kosmologischen Beweise liebängelnde, welche bereit ist, diesem zu gefallen, felbst
transeendentale Wahrheiten A xriori (diese Muttermilch des menschlichen Ver¬
standes) zu verfälschen." Dann folgt ein mit beißenden und hämischen Witzen
gespickter Ausfall auf die deutschen Philosophieprofefforen, die den von Kant
mausetot geschlagenen kosmologischen Beweis mit Hilfe von allerlei Gaukler¬
künsten wieder auf die Beine gebracht hätten gegen besseres Wissen und Ge¬
wissen, weil sie — dafür bezahlt würden.

In Wirklichkeit ist es nicht die Theologie, die den Satz vom zureichenden
Grunde fälscht (vielmehr ist sie ein Kind dieses Satzes), sondern Schopenhauer
macht sich dieses Verbrechens schuldig aus Haß gegen die Theologie. Derselbe
^rieb, der uns zwingt, die vorhergehende Erscheinung nicht bloß als Vor¬
gängerin, sondern auch als Ursache der nachfolgenden anzuerkennen, der zwingt
uns noch weiter, eine gemeinsame Grundursache aller Erscheinungen anzunehmen.

Beziehung auf diese letzte Ursache wirkt der Trieb weniger stark, aus dem
einfachen Grunde, weil wir die Kenntnis dieser letzten Ursache nicht zu unsern
täglichen Verrichtungen brauchen, während wir, ohne beständig auf die ursäch¬
liche Verkettung der Erscheinungen zu achten, nicht einmal essen und trinken,
geschweige denn arbeiten könnten. Und so mag es wohl kommen, daß das
Bedürfnis, eine letzte Ursache aller Dinge zu denken, in manchen Menschen, zu
denen auch Schopenhauer gehört, überhaupt uicht erwacht, wie es ja auch
Menschen ohne musikalisches Gehör giebt, andre, denen der Sinn für Natur-


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[0033] Schopenhauer rsäivivus Anwendungsarten ist nach Schopenhauer die Anwendbarkeit des Satzes vom zureichenden Grunde erschöpft, und es giebt im Gefüge unsrer Gedanken keine Stelle, an der er über die Welt hinausführte. Wenigstens sucht Schopen¬ hauer die Öffnung aufs sorgfältigste zu vermauern. „Das Kausalitäts¬ gesetz l^die erste der vier angegebenen Anwendungsartenl ist der Regulator der in der Zeit eintretenden Veränderungen, der Gegenstände der äußern Erfah¬ rung, diese aber sind sämtlich materiell. Jede Veränderung kann nur ein¬ treten dadurch, daß eine andre, nach einer Regel bestimmte ihr vorhergegangen ist, durch die sie aber dann als notwendig herbeigeführt eintritt: diese Not¬ wendigkeit ist der Kausalnexus. So einfach demnach das Gesetz der Kausalität lst, so finden wir in den philosophischen Lehrbüchern, von den ältesten an bis lus die neuesten, in der Regel es ganz anders ausgedrückt, nämlich abstrakter, mithin weiter und unbestimmter gefaßt. Da heißt es denn etwan, Ursache sei, wodurch ein andres zum Dasein gelangt, während doch bei der Kausalität es sich offenbar nnr um Formveränderungen der unentstandenen und unzerstör- baren Materie handelt und ein eigentliches Entstehen, ein Jnsdaseiutreteu des vorher gar nicht Gewesenen eine Unmöglichkeit ist. An jenen hergebrachten, zu weiten, schiefen, falschen Fassungen des Kausalitätsverhältnisses mag um gwar größtenteils Unklarheit des Denkens schuld sein: aber zuverlässig steckt mitunter auch Absicht dahinter, nämlich theologische, schon von ferne mit dem kosmologischen Beweise liebängelnde, welche bereit ist, diesem zu gefallen, felbst transeendentale Wahrheiten A xriori (diese Muttermilch des menschlichen Ver¬ standes) zu verfälschen." Dann folgt ein mit beißenden und hämischen Witzen gespickter Ausfall auf die deutschen Philosophieprofefforen, die den von Kant mausetot geschlagenen kosmologischen Beweis mit Hilfe von allerlei Gaukler¬ künsten wieder auf die Beine gebracht hätten gegen besseres Wissen und Ge¬ wissen, weil sie — dafür bezahlt würden. In Wirklichkeit ist es nicht die Theologie, die den Satz vom zureichenden Grunde fälscht (vielmehr ist sie ein Kind dieses Satzes), sondern Schopenhauer macht sich dieses Verbrechens schuldig aus Haß gegen die Theologie. Derselbe ^rieb, der uns zwingt, die vorhergehende Erscheinung nicht bloß als Vor¬ gängerin, sondern auch als Ursache der nachfolgenden anzuerkennen, der zwingt uns noch weiter, eine gemeinsame Grundursache aller Erscheinungen anzunehmen. Beziehung auf diese letzte Ursache wirkt der Trieb weniger stark, aus dem einfachen Grunde, weil wir die Kenntnis dieser letzten Ursache nicht zu unsern täglichen Verrichtungen brauchen, während wir, ohne beständig auf die ursäch¬ liche Verkettung der Erscheinungen zu achten, nicht einmal essen und trinken, geschweige denn arbeiten könnten. Und so mag es wohl kommen, daß das Bedürfnis, eine letzte Ursache aller Dinge zu denken, in manchen Menschen, zu denen auch Schopenhauer gehört, überhaupt uicht erwacht, wie es ja auch Menschen ohne musikalisches Gehör giebt, andre, denen der Sinn für Natur- Grenzboteii II 1891 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/33>, abgerufen am 24.07.2024.