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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

ihrer Meinung vorzuziehen ist, und auf etwaige Anfragen ihren Rat erteilen,
so mochte es dazu schwerlich einer so kostspieligen Körperschaft bedürfen; viel¬
mehr würde der Allgemeine deutsche Sprachverein dnrch Zeitschriften und
sonstige Veröffentlichungen der Allgemeinheit dieselben Dienste leisten können,
wie es denn seine Vorgängerinnen, die deutscheu Sprachgesellschaften, auch ge¬
than haben.

Aber die ängstliche Umschrünkung der Wortbedeutung, die Feststellung
maßgebender Regeln der Satzfügung und des Sprachgebrauchs wäre tote
Willkür, die den ^ebenstrieb der Sprache hemmt, weil auch die sorgfältigste
und planvollste Erwägung der Ausdrucksmittel doch immer nnr mit einem
abgezogenen Phantom von Sprache arbeiten, aber niemals die Fülle der Mög¬
lichkeiten erschöpfen kann, die nur dem Künstler aufgehen, hervorspringend
durch die lebendige Macht des sprachschaffenden Gedankens. Und will man
dem Fremdwvrternnwesen durch Verdcutschungsbücher abhelfen, so ist das ein
Mißgriff. Solche Hilfsmittel sind für die Geistigarmen, deren ganzes Denken
an Worten hängt, und die eben darum, sobald sie in ihrem schmalen Sprach¬
vorrat auf den bequemen Schlendrian nlteingenisteter Fremdwörter stoßen, sich
nur durch Übersetzen zu helfen wissen und damit einer völligen Ratlosigkeit
preisgegeben sind. Wenn sie in solcher Not zu einem Verdentschungswörter-
buch greifen, werden sie auch dort wenig Trost finden, denn wer will denn
sagen, was das Fremdwort an sich, herausgerissen aus dein lebendigen Zu¬
sammenhang der Rede auf Deutsch wirklich bedeute? Gerade die Färbung, die
man in einem ganz bestimmten Zusammenhang braucht, wird mau in den
seltensten Fällen verzeichnet finden.

Von all solchen schulmeisterlichen Notbrücken ist ein frisch lebiges Gedeihen
unsrer Schriftsprache wahrlich nicht zu hoffen.

Unsre Schriftsprache ist wie eine Pflanze, die den Zusammenhang mit
ihrem natürlichen Erdreich verloren hat; daher verläßt uns im Gebrauche der
Schriftsprache so leicht jener dunkle, aber untrügliche Instinkt, der jedem beim
Gebrauch seiner Mundart zu Hilfe kommt. Diese Sicherheit des Sprach-
bewußtseius kann aber auch bei der Schriftsprache mehr und mehr erworben
werden, man muß ihr nur ein Erdreich schaffen, worin sie zu eigner Trieb¬
kraft erwachsen kann. Das vermögen allerdings nicht die abgezogenen Regeln
einer Akademie, aber die Schule vermag es. Die Verwahrlosung der Schrift¬
sprache ruht im letzten Gründe auf der Anschannngslosigkeit eines Denkens,
das zu unlebendig ist, als daß es den Sprachstosf frei nach sich selbst zu ge¬
stalten vermöchte. Dagegen liegt eine Menge geprägter Formeln, Wort¬
verbindungen und Satzfügungcn bereit, in denen der Sprachstoff für alle
möglichen Bedürfnisse schon lnndlänsig zugerichtet ist. Mit diesem abgegriffenem
Formelwerk und den bloß mechanischen Wandlungen, die es zuläßt, bestreikn
die meisten ihre Ausdrucksweise; was thut es, wenn das, was sie eigentlich


Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

ihrer Meinung vorzuziehen ist, und auf etwaige Anfragen ihren Rat erteilen,
so mochte es dazu schwerlich einer so kostspieligen Körperschaft bedürfen; viel¬
mehr würde der Allgemeine deutsche Sprachverein dnrch Zeitschriften und
sonstige Veröffentlichungen der Allgemeinheit dieselben Dienste leisten können,
wie es denn seine Vorgängerinnen, die deutscheu Sprachgesellschaften, auch ge¬
than haben.

Aber die ängstliche Umschrünkung der Wortbedeutung, die Feststellung
maßgebender Regeln der Satzfügung und des Sprachgebrauchs wäre tote
Willkür, die den ^ebenstrieb der Sprache hemmt, weil auch die sorgfältigste
und planvollste Erwägung der Ausdrucksmittel doch immer nnr mit einem
abgezogenen Phantom von Sprache arbeiten, aber niemals die Fülle der Mög¬
lichkeiten erschöpfen kann, die nur dem Künstler aufgehen, hervorspringend
durch die lebendige Macht des sprachschaffenden Gedankens. Und will man
dem Fremdwvrternnwesen durch Verdcutschungsbücher abhelfen, so ist das ein
Mißgriff. Solche Hilfsmittel sind für die Geistigarmen, deren ganzes Denken
an Worten hängt, und die eben darum, sobald sie in ihrem schmalen Sprach¬
vorrat auf den bequemen Schlendrian nlteingenisteter Fremdwörter stoßen, sich
nur durch Übersetzen zu helfen wissen und damit einer völligen Ratlosigkeit
preisgegeben sind. Wenn sie in solcher Not zu einem Verdentschungswörter-
buch greifen, werden sie auch dort wenig Trost finden, denn wer will denn
sagen, was das Fremdwort an sich, herausgerissen aus dein lebendigen Zu¬
sammenhang der Rede auf Deutsch wirklich bedeute? Gerade die Färbung, die
man in einem ganz bestimmten Zusammenhang braucht, wird mau in den
seltensten Fällen verzeichnet finden.

Von all solchen schulmeisterlichen Notbrücken ist ein frisch lebiges Gedeihen
unsrer Schriftsprache wahrlich nicht zu hoffen.

Unsre Schriftsprache ist wie eine Pflanze, die den Zusammenhang mit
ihrem natürlichen Erdreich verloren hat; daher verläßt uns im Gebrauche der
Schriftsprache so leicht jener dunkle, aber untrügliche Instinkt, der jedem beim
Gebrauch seiner Mundart zu Hilfe kommt. Diese Sicherheit des Sprach-
bewußtseius kann aber auch bei der Schriftsprache mehr und mehr erworben
werden, man muß ihr nur ein Erdreich schaffen, worin sie zu eigner Trieb¬
kraft erwachsen kann. Das vermögen allerdings nicht die abgezogenen Regeln
einer Akademie, aber die Schule vermag es. Die Verwahrlosung der Schrift¬
sprache ruht im letzten Gründe auf der Anschannngslosigkeit eines Denkens,
das zu unlebendig ist, als daß es den Sprachstosf frei nach sich selbst zu ge¬
stalten vermöchte. Dagegen liegt eine Menge geprägter Formeln, Wort¬
verbindungen und Satzfügungcn bereit, in denen der Sprachstoff für alle
möglichen Bedürfnisse schon lnndlänsig zugerichtet ist. Mit diesem abgegriffenem
Formelwerk und den bloß mechanischen Wandlungen, die es zuläßt, bestreikn
die meisten ihre Ausdrucksweise; was thut es, wenn das, was sie eigentlich


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[0328] Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie ihrer Meinung vorzuziehen ist, und auf etwaige Anfragen ihren Rat erteilen, so mochte es dazu schwerlich einer so kostspieligen Körperschaft bedürfen; viel¬ mehr würde der Allgemeine deutsche Sprachverein dnrch Zeitschriften und sonstige Veröffentlichungen der Allgemeinheit dieselben Dienste leisten können, wie es denn seine Vorgängerinnen, die deutscheu Sprachgesellschaften, auch ge¬ than haben. Aber die ängstliche Umschrünkung der Wortbedeutung, die Feststellung maßgebender Regeln der Satzfügung und des Sprachgebrauchs wäre tote Willkür, die den ^ebenstrieb der Sprache hemmt, weil auch die sorgfältigste und planvollste Erwägung der Ausdrucksmittel doch immer nnr mit einem abgezogenen Phantom von Sprache arbeiten, aber niemals die Fülle der Mög¬ lichkeiten erschöpfen kann, die nur dem Künstler aufgehen, hervorspringend durch die lebendige Macht des sprachschaffenden Gedankens. Und will man dem Fremdwvrternnwesen durch Verdcutschungsbücher abhelfen, so ist das ein Mißgriff. Solche Hilfsmittel sind für die Geistigarmen, deren ganzes Denken an Worten hängt, und die eben darum, sobald sie in ihrem schmalen Sprach¬ vorrat auf den bequemen Schlendrian nlteingenisteter Fremdwörter stoßen, sich nur durch Übersetzen zu helfen wissen und damit einer völligen Ratlosigkeit preisgegeben sind. Wenn sie in solcher Not zu einem Verdentschungswörter- buch greifen, werden sie auch dort wenig Trost finden, denn wer will denn sagen, was das Fremdwort an sich, herausgerissen aus dein lebendigen Zu¬ sammenhang der Rede auf Deutsch wirklich bedeute? Gerade die Färbung, die man in einem ganz bestimmten Zusammenhang braucht, wird mau in den seltensten Fällen verzeichnet finden. Von all solchen schulmeisterlichen Notbrücken ist ein frisch lebiges Gedeihen unsrer Schriftsprache wahrlich nicht zu hoffen. Unsre Schriftsprache ist wie eine Pflanze, die den Zusammenhang mit ihrem natürlichen Erdreich verloren hat; daher verläßt uns im Gebrauche der Schriftsprache so leicht jener dunkle, aber untrügliche Instinkt, der jedem beim Gebrauch seiner Mundart zu Hilfe kommt. Diese Sicherheit des Sprach- bewußtseius kann aber auch bei der Schriftsprache mehr und mehr erworben werden, man muß ihr nur ein Erdreich schaffen, worin sie zu eigner Trieb¬ kraft erwachsen kann. Das vermögen allerdings nicht die abgezogenen Regeln einer Akademie, aber die Schule vermag es. Die Verwahrlosung der Schrift¬ sprache ruht im letzten Gründe auf der Anschannngslosigkeit eines Denkens, das zu unlebendig ist, als daß es den Sprachstosf frei nach sich selbst zu ge¬ stalten vermöchte. Dagegen liegt eine Menge geprägter Formeln, Wort¬ verbindungen und Satzfügungcn bereit, in denen der Sprachstoff für alle möglichen Bedürfnisse schon lnndlänsig zugerichtet ist. Mit diesem abgegriffenem Formelwerk und den bloß mechanischen Wandlungen, die es zuläßt, bestreikn die meisten ihre Ausdrucksweise; was thut es, wenn das, was sie eigentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/328>, abgerufen am 24.07.2024.