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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gzdcmke einer deutschen Sprachakademie

Allerdings ist unsre Schriftsprache in gewissem Sinne ein künstliches Ge¬
wächs: abgehoben von dem Mutterboden, an dem die Mundarten unmittelbar
festhalten, find ihr gleichsam die Wurzeln des natürlichen Wachstums abhanden
gekommen; sie bedarf also zu ihrer Entwicklung der sorgfältigen Pflege des
Gärtners. Aber sollte eine solche Pflege wohl darin bestehen, daß man die
Schwankungen des Sprachgebrauchs festzulegen sucht, indem man etwa in einem
Falle, wo einem Worte ein mehrfaches Geschlecht zukommt, z. B. uur das männ¬
liche für zulässig erklärte, oder wo ein Zeitwort gleichzeitig stark und schwach
gebraucht wird, nur für eins von beiden entschiede, oder wo eine Anzahl ver¬
schiedener Wortformen und Wortfügungen üblich sind, nur die eine gelten ließe,
die man für die beste zu erkennen glaubt? Oder wollte man gar versuchen,
die Mannichfaltigkeit der Wortbedeutungen einzuschränken, indem man etwa
ein Wörterbuch zusammenstellte, worin jedem Worte eine ganz bestimmte Be¬
griffsfärbung zugewiesen wäre, in der es allein gebraucht werden dürfte? Es
ist überflüssig, sich, etwa hinblickend ans Frankreich, dies und ähnliches aus¬
zumalen, denn es leuchtet ein, daß dergleichen in unserm heutigen Deutsch¬
land durchaus undurchführbar ist, und wir wollen dankbar sein, daß uns die
Ungunst und Zerrissenheit unsrer ehemaligen politischen Zustände vor der Auf¬
richtung einer solchen Akademie bewahrt hat. Akademien, die uicht der Pflege
der Wissenschaft als solcher dienen, sondern sich ein thätliches Eingreifen in
den Lebensgang der Sprache zur Aufgabe stellen, sind überwundene Veran¬
staltungen eines ungeschichtlich denkenden Zeitalters, denn sie ruhen auf dem
Grundirrtnm, daß man Entwicklungen künstlich "machen" könne. Und weiter:
eine derartige Einwirkung auf den Sprachgebrauch könnte doch wohl nnr von
Fachleuten ausgehend gedacht werden; aber wo will man denn die Fachleute
finden, die solchem Ansinnen die Hand bieten möchten? Allerdings haben uns
unsre Grammatiker Regeln gegeben, aber doch nur die haben eine Wirkung
geübt, die sich an dem Sprachgebrauch ohne engherzige Strenge behutsam
nachhelfend angeschlossen und taktvoll herausgefühlt haben, nach welcher Rich¬
tung er sich bewegte. Und zudem hatten ihre Regeln keine Verbindlichkeit, wo
mau sie nicht billigte: Goethes Sprache ist doch eine Hauptgrundlage unsrer
Wörterbnchcirbeit geworden, wenngleich Adelung nie zugegeben hat, daß sie
ein gutes Deutsch sei. Die langsam sich vollziehende Einigung und Festigung
unsrer Schriftsprache hat nie des amtlichen Nachdrucks einer Akademie bedurft,
sie wird auch weiterhin, gefördert durch die Bildungsmüchte der Schule, der
Bühne und der Kanzel, der öffentlichen Beredsamkeit und der schriftstellerischen
Arbeit, ihren natürlichen Weg gehen müssen. Eine Akademie, die volle Eini¬
gung und zweifellose Negclrechtigleit -- und die hat nicht einmal das Fran¬
zösische erreicht -- auf künstlichem Wege durchsetzen wollte, würde viel mehr
Widerspruch als Nachfolge finden. Wollte sie aber bei Schwankungen des
Sprachgebrauchs, wie vielleicht andre wünschen, nnr empfehlen, was nach


Der Gzdcmke einer deutschen Sprachakademie

Allerdings ist unsre Schriftsprache in gewissem Sinne ein künstliches Ge¬
wächs: abgehoben von dem Mutterboden, an dem die Mundarten unmittelbar
festhalten, find ihr gleichsam die Wurzeln des natürlichen Wachstums abhanden
gekommen; sie bedarf also zu ihrer Entwicklung der sorgfältigen Pflege des
Gärtners. Aber sollte eine solche Pflege wohl darin bestehen, daß man die
Schwankungen des Sprachgebrauchs festzulegen sucht, indem man etwa in einem
Falle, wo einem Worte ein mehrfaches Geschlecht zukommt, z. B. uur das männ¬
liche für zulässig erklärte, oder wo ein Zeitwort gleichzeitig stark und schwach
gebraucht wird, nur für eins von beiden entschiede, oder wo eine Anzahl ver¬
schiedener Wortformen und Wortfügungen üblich sind, nur die eine gelten ließe,
die man für die beste zu erkennen glaubt? Oder wollte man gar versuchen,
die Mannichfaltigkeit der Wortbedeutungen einzuschränken, indem man etwa
ein Wörterbuch zusammenstellte, worin jedem Worte eine ganz bestimmte Be¬
griffsfärbung zugewiesen wäre, in der es allein gebraucht werden dürfte? Es
ist überflüssig, sich, etwa hinblickend ans Frankreich, dies und ähnliches aus¬
zumalen, denn es leuchtet ein, daß dergleichen in unserm heutigen Deutsch¬
land durchaus undurchführbar ist, und wir wollen dankbar sein, daß uns die
Ungunst und Zerrissenheit unsrer ehemaligen politischen Zustände vor der Auf¬
richtung einer solchen Akademie bewahrt hat. Akademien, die uicht der Pflege
der Wissenschaft als solcher dienen, sondern sich ein thätliches Eingreifen in
den Lebensgang der Sprache zur Aufgabe stellen, sind überwundene Veran¬
staltungen eines ungeschichtlich denkenden Zeitalters, denn sie ruhen auf dem
Grundirrtnm, daß man Entwicklungen künstlich „machen" könne. Und weiter:
eine derartige Einwirkung auf den Sprachgebrauch könnte doch wohl nnr von
Fachleuten ausgehend gedacht werden; aber wo will man denn die Fachleute
finden, die solchem Ansinnen die Hand bieten möchten? Allerdings haben uns
unsre Grammatiker Regeln gegeben, aber doch nur die haben eine Wirkung
geübt, die sich an dem Sprachgebrauch ohne engherzige Strenge behutsam
nachhelfend angeschlossen und taktvoll herausgefühlt haben, nach welcher Rich¬
tung er sich bewegte. Und zudem hatten ihre Regeln keine Verbindlichkeit, wo
mau sie nicht billigte: Goethes Sprache ist doch eine Hauptgrundlage unsrer
Wörterbnchcirbeit geworden, wenngleich Adelung nie zugegeben hat, daß sie
ein gutes Deutsch sei. Die langsam sich vollziehende Einigung und Festigung
unsrer Schriftsprache hat nie des amtlichen Nachdrucks einer Akademie bedurft,
sie wird auch weiterhin, gefördert durch die Bildungsmüchte der Schule, der
Bühne und der Kanzel, der öffentlichen Beredsamkeit und der schriftstellerischen
Arbeit, ihren natürlichen Weg gehen müssen. Eine Akademie, die volle Eini¬
gung und zweifellose Negclrechtigleit — und die hat nicht einmal das Fran¬
zösische erreicht — auf künstlichem Wege durchsetzen wollte, würde viel mehr
Widerspruch als Nachfolge finden. Wollte sie aber bei Schwankungen des
Sprachgebrauchs, wie vielleicht andre wünschen, nnr empfehlen, was nach


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[0327] Der Gzdcmke einer deutschen Sprachakademie Allerdings ist unsre Schriftsprache in gewissem Sinne ein künstliches Ge¬ wächs: abgehoben von dem Mutterboden, an dem die Mundarten unmittelbar festhalten, find ihr gleichsam die Wurzeln des natürlichen Wachstums abhanden gekommen; sie bedarf also zu ihrer Entwicklung der sorgfältigen Pflege des Gärtners. Aber sollte eine solche Pflege wohl darin bestehen, daß man die Schwankungen des Sprachgebrauchs festzulegen sucht, indem man etwa in einem Falle, wo einem Worte ein mehrfaches Geschlecht zukommt, z. B. uur das männ¬ liche für zulässig erklärte, oder wo ein Zeitwort gleichzeitig stark und schwach gebraucht wird, nur für eins von beiden entschiede, oder wo eine Anzahl ver¬ schiedener Wortformen und Wortfügungen üblich sind, nur die eine gelten ließe, die man für die beste zu erkennen glaubt? Oder wollte man gar versuchen, die Mannichfaltigkeit der Wortbedeutungen einzuschränken, indem man etwa ein Wörterbuch zusammenstellte, worin jedem Worte eine ganz bestimmte Be¬ griffsfärbung zugewiesen wäre, in der es allein gebraucht werden dürfte? Es ist überflüssig, sich, etwa hinblickend ans Frankreich, dies und ähnliches aus¬ zumalen, denn es leuchtet ein, daß dergleichen in unserm heutigen Deutsch¬ land durchaus undurchführbar ist, und wir wollen dankbar sein, daß uns die Ungunst und Zerrissenheit unsrer ehemaligen politischen Zustände vor der Auf¬ richtung einer solchen Akademie bewahrt hat. Akademien, die uicht der Pflege der Wissenschaft als solcher dienen, sondern sich ein thätliches Eingreifen in den Lebensgang der Sprache zur Aufgabe stellen, sind überwundene Veran¬ staltungen eines ungeschichtlich denkenden Zeitalters, denn sie ruhen auf dem Grundirrtnm, daß man Entwicklungen künstlich „machen" könne. Und weiter: eine derartige Einwirkung auf den Sprachgebrauch könnte doch wohl nnr von Fachleuten ausgehend gedacht werden; aber wo will man denn die Fachleute finden, die solchem Ansinnen die Hand bieten möchten? Allerdings haben uns unsre Grammatiker Regeln gegeben, aber doch nur die haben eine Wirkung geübt, die sich an dem Sprachgebrauch ohne engherzige Strenge behutsam nachhelfend angeschlossen und taktvoll herausgefühlt haben, nach welcher Rich¬ tung er sich bewegte. Und zudem hatten ihre Regeln keine Verbindlichkeit, wo mau sie nicht billigte: Goethes Sprache ist doch eine Hauptgrundlage unsrer Wörterbnchcirbeit geworden, wenngleich Adelung nie zugegeben hat, daß sie ein gutes Deutsch sei. Die langsam sich vollziehende Einigung und Festigung unsrer Schriftsprache hat nie des amtlichen Nachdrucks einer Akademie bedurft, sie wird auch weiterhin, gefördert durch die Bildungsmüchte der Schule, der Bühne und der Kanzel, der öffentlichen Beredsamkeit und der schriftstellerischen Arbeit, ihren natürlichen Weg gehen müssen. Eine Akademie, die volle Eini¬ gung und zweifellose Negclrechtigleit — und die hat nicht einmal das Fran¬ zösische erreicht — auf künstlichem Wege durchsetzen wollte, würde viel mehr Widerspruch als Nachfolge finden. Wollte sie aber bei Schwankungen des Sprachgebrauchs, wie vielleicht andre wünschen, nnr empfehlen, was nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/327>, abgerufen am 24.07.2024.