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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Schopenhauer le<^Iivivu8

Sache mit dem Unternehme" des Dr. Brasch, der den Gebildeten die vergriffenen
Hauptwerke Schopenhauers in einer neuen Ausgabe darbietet, die ihrer ganzen
Einrichtung nach kein Volksbuch werde" kau", obwohl der Preis (10 Mary
auch uicht hoch ist. Den" daß Schopenhauer ein gründlicher und origineller
Denker, ein scharfer Beobachter und ein glänzender Stilist war, bestreitet ihm
niemand. Demnach bilden seine Arbeiten einen Teil unsers Nationalschatzes,
der den hoher Gebildeten aller Zeiten zugänglich bleiben muß. Einige Er¬
gebnisse seiner Denkarbeit, wie das, was er über den Satz vom zureichenden
Grunde sagt, und was er in seiner Untersuchung der Willensfreiheit gefunden
hat, sind bereits Gemeingut der philosophisch Gebildeten geworden. Andre
verdienten, es zu werden. Dahin rechnen wir vorzüglich seine entschied"" und
überzeugende Widerlegung der anmaßenden Einbildung, daß.die Natur durch
die Physik erklärt werdeu könne. Sodan" die Aufdeckung der Thatsache, das;
es in der ganzen Welt n"r eine Kraft giebt, die wir durch und durch keimen:
unsern eignen Wille"; daß daher der Wille nicht als eine Art von Kraft,
sonder" vielmehr jede Kraft n"r als el"e Art vo" Willensäußerung zu
definiren ist. Denselben Begriff der Kraft findet man nur noch bei Lotze, von
dem wir nicht wissen, ob er ihn Schopenhauer entlehnt oder selbständig ge¬
funden hat. Auf den schlechten Gebrauch, deu Schopenhauer vou dieser schonen
Entdeckung gemacht hat, kommen wir noch zurück. Nicht so unzweifelhaft
richtig, aber doch ernster Beachtung wert ist Schopenhauers Ästhetik; seiue
Darstellung der Natur des Lichtes und des Wesens der Musik wäre eines
Plato oder Goethe würdig. In Beziehung ans den zweiten Gegenstand wollen
wir doch die schöne Abhandlung von Fuchs über Schopenhauer und Richard
Wagner in deu vorjährigen Grenzboten (2. Quartal, S. 4<>1) durch die kleine
Aemerknng ergänzen, daß eigentlich weder Richard Wagner noch Ibsen das
Necht hat, sich auf Schopenhauer zu berufen, wenigstens nicht auf dessen
ästhetische Gruudsütze, die mit dem Pessimismus nur sehr lose zusammenhängen.
Bon der Oper sagt Schopenhauer, daß ihr Text seine untergeordnete Stellung
nie verlassen sollte, um sich zur Hauptsache nud die Musik zum bloßen Mittel
ihres Ausdruckes zu machen, "als welches ein großer Mißgriff und eine arge
Verkehrtheit ist." Damit wäre ja das Wagnersche "Mnsikdrama" gerichtet.
Nicht weniger entschieden verwirft er die Grundsätze des zu seiner Zeit erst
W bescheidnen Anfängen vorhandnen Naturalismus in der Kunst. Nur das
Schöne läßt er als Gegenstand der Kunst gelten, definirt den Genuß des
Natur- und Kunstschönen als die "Seligkeit des willenlosen Anschauens" und
erklärt daher alles, was reizt, für ungeeignet zur künstlerischen Darstellung,
wäg es deu Willen als Lüsternes zum Begehren oder als Ekelhaftes (negativ
Reizendes) zum Verabscheuen bewegen.

Sehr nützlich zu lesen sind serner die Beiträge ,,zur Lebensweisheit" (die
wirkliche Lebensweisheit, und zwar epikureische enthalten, also das gerade


Schopenhauer le<^Iivivu8

Sache mit dem Unternehme» des Dr. Brasch, der den Gebildeten die vergriffenen
Hauptwerke Schopenhauers in einer neuen Ausgabe darbietet, die ihrer ganzen
Einrichtung nach kein Volksbuch werde» kau», obwohl der Preis (10 Mary
auch uicht hoch ist. Den» daß Schopenhauer ein gründlicher und origineller
Denker, ein scharfer Beobachter und ein glänzender Stilist war, bestreitet ihm
niemand. Demnach bilden seine Arbeiten einen Teil unsers Nationalschatzes,
der den hoher Gebildeten aller Zeiten zugänglich bleiben muß. Einige Er¬
gebnisse seiner Denkarbeit, wie das, was er über den Satz vom zureichenden
Grunde sagt, und was er in seiner Untersuchung der Willensfreiheit gefunden
hat, sind bereits Gemeingut der philosophisch Gebildeten geworden. Andre
verdienten, es zu werden. Dahin rechnen wir vorzüglich seine entschied»» und
überzeugende Widerlegung der anmaßenden Einbildung, daß.die Natur durch
die Physik erklärt werdeu könne. Sodan» die Aufdeckung der Thatsache, das;
es in der ganzen Welt n»r eine Kraft giebt, die wir durch und durch keimen:
unsern eignen Wille»; daß daher der Wille nicht als eine Art von Kraft,
sonder» vielmehr jede Kraft n»r als el»e Art vo» Willensäußerung zu
definiren ist. Denselben Begriff der Kraft findet man nur noch bei Lotze, von
dem wir nicht wissen, ob er ihn Schopenhauer entlehnt oder selbständig ge¬
funden hat. Auf den schlechten Gebrauch, deu Schopenhauer vou dieser schonen
Entdeckung gemacht hat, kommen wir noch zurück. Nicht so unzweifelhaft
richtig, aber doch ernster Beachtung wert ist Schopenhauers Ästhetik; seiue
Darstellung der Natur des Lichtes und des Wesens der Musik wäre eines
Plato oder Goethe würdig. In Beziehung ans den zweiten Gegenstand wollen
wir doch die schöne Abhandlung von Fuchs über Schopenhauer und Richard
Wagner in deu vorjährigen Grenzboten (2. Quartal, S. 4<>1) durch die kleine
Aemerknng ergänzen, daß eigentlich weder Richard Wagner noch Ibsen das
Necht hat, sich auf Schopenhauer zu berufen, wenigstens nicht auf dessen
ästhetische Gruudsütze, die mit dem Pessimismus nur sehr lose zusammenhängen.
Bon der Oper sagt Schopenhauer, daß ihr Text seine untergeordnete Stellung
nie verlassen sollte, um sich zur Hauptsache nud die Musik zum bloßen Mittel
ihres Ausdruckes zu machen, „als welches ein großer Mißgriff und eine arge
Verkehrtheit ist." Damit wäre ja das Wagnersche „Mnsikdrama" gerichtet.
Nicht weniger entschieden verwirft er die Grundsätze des zu seiner Zeit erst
W bescheidnen Anfängen vorhandnen Naturalismus in der Kunst. Nur das
Schöne läßt er als Gegenstand der Kunst gelten, definirt den Genuß des
Natur- und Kunstschönen als die „Seligkeit des willenlosen Anschauens" und
erklärt daher alles, was reizt, für ungeeignet zur künstlerischen Darstellung,
wäg es deu Willen als Lüsternes zum Begehren oder als Ekelhaftes (negativ
Reizendes) zum Verabscheuen bewegen.

Sehr nützlich zu lesen sind serner die Beiträge ,,zur Lebensweisheit" (die
wirkliche Lebensweisheit, und zwar epikureische enthalten, also das gerade


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[0031] Schopenhauer le<^Iivivu8 Sache mit dem Unternehme» des Dr. Brasch, der den Gebildeten die vergriffenen Hauptwerke Schopenhauers in einer neuen Ausgabe darbietet, die ihrer ganzen Einrichtung nach kein Volksbuch werde» kau», obwohl der Preis (10 Mary auch uicht hoch ist. Den» daß Schopenhauer ein gründlicher und origineller Denker, ein scharfer Beobachter und ein glänzender Stilist war, bestreitet ihm niemand. Demnach bilden seine Arbeiten einen Teil unsers Nationalschatzes, der den hoher Gebildeten aller Zeiten zugänglich bleiben muß. Einige Er¬ gebnisse seiner Denkarbeit, wie das, was er über den Satz vom zureichenden Grunde sagt, und was er in seiner Untersuchung der Willensfreiheit gefunden hat, sind bereits Gemeingut der philosophisch Gebildeten geworden. Andre verdienten, es zu werden. Dahin rechnen wir vorzüglich seine entschied»» und überzeugende Widerlegung der anmaßenden Einbildung, daß.die Natur durch die Physik erklärt werdeu könne. Sodan» die Aufdeckung der Thatsache, das; es in der ganzen Welt n»r eine Kraft giebt, die wir durch und durch keimen: unsern eignen Wille»; daß daher der Wille nicht als eine Art von Kraft, sonder» vielmehr jede Kraft n»r als el»e Art vo» Willensäußerung zu definiren ist. Denselben Begriff der Kraft findet man nur noch bei Lotze, von dem wir nicht wissen, ob er ihn Schopenhauer entlehnt oder selbständig ge¬ funden hat. Auf den schlechten Gebrauch, deu Schopenhauer vou dieser schonen Entdeckung gemacht hat, kommen wir noch zurück. Nicht so unzweifelhaft richtig, aber doch ernster Beachtung wert ist Schopenhauers Ästhetik; seiue Darstellung der Natur des Lichtes und des Wesens der Musik wäre eines Plato oder Goethe würdig. In Beziehung ans den zweiten Gegenstand wollen wir doch die schöne Abhandlung von Fuchs über Schopenhauer und Richard Wagner in deu vorjährigen Grenzboten (2. Quartal, S. 4<>1) durch die kleine Aemerknng ergänzen, daß eigentlich weder Richard Wagner noch Ibsen das Necht hat, sich auf Schopenhauer zu berufen, wenigstens nicht auf dessen ästhetische Gruudsütze, die mit dem Pessimismus nur sehr lose zusammenhängen. Bon der Oper sagt Schopenhauer, daß ihr Text seine untergeordnete Stellung nie verlassen sollte, um sich zur Hauptsache nud die Musik zum bloßen Mittel ihres Ausdruckes zu machen, „als welches ein großer Mißgriff und eine arge Verkehrtheit ist." Damit wäre ja das Wagnersche „Mnsikdrama" gerichtet. Nicht weniger entschieden verwirft er die Grundsätze des zu seiner Zeit erst W bescheidnen Anfängen vorhandnen Naturalismus in der Kunst. Nur das Schöne läßt er als Gegenstand der Kunst gelten, definirt den Genuß des Natur- und Kunstschönen als die „Seligkeit des willenlosen Anschauens" und erklärt daher alles, was reizt, für ungeeignet zur künstlerischen Darstellung, wäg es deu Willen als Lüsternes zum Begehren oder als Ekelhaftes (negativ Reizendes) zum Verabscheuen bewegen. Sehr nützlich zu lesen sind serner die Beiträge ,,zur Lebensweisheit" (die wirkliche Lebensweisheit, und zwar epikureische enthalten, also das gerade

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/31>, abgerufen am 24.07.2024.