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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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der Deutsche liebt es zwar, Musik zu hören, und truü darüber sogar das
Biertrinken vergessen, und doch ist er nicht fähig, feinere musikalische Unter¬
schiede zu machen. Kann man doch in den besten Konzerten auf den Pro¬
grammen neben Symphonien von Beethoven und Schumann Walzer von Suppl;
sehen, die mit gleichem Beifall belohnt werden. Auch die Ausführung der
Konzerte ist mittelmäßig; ,,der Deutsche liebt eben die Musik, aber ohne Ver¬
ständnis dafür zu haben." Am geringsten ist aber der Gesichtsinn ausgebildet.
Gebäude, Luden, Kleidung, alles hat das geschulte Auge des Franzose" be¬
leidigt. Die Kleidung zumal wird in geradezu unerhörter Weise vernachlässigt.
Feine Damen lassen zwar ihre Kleider in Paris anfertigen, doch merkwürdig,
sobald sie nach Dentschland kommen, "sehen sie ganz anders aus, als in Paris."
Auch der Gang der Deutschen gefällt dein Franzosen nicht. ,,Er ist schwer¬
fällig, ungeschickt, verlegen." Sogar im Tanzen hat sich ihr Ruf nicht bewährt,
und "französische Herzoginnen können trotz Musset doch anmutiger tanzen, als
die deutschen Ochseuknechte."

Diesem Maugel an Feinheit der Sinneswerkzeuge, den unser Psycholog
in so schlagender Weise nachgewiesen hat, entspringt der hervorragendste Zug
deutscher Ungeschliffenheit und Roheit: "die tiefe, anhaltende, unveränderliche
Mißachtung der Frau von feiten des Mannes." "Die Frau ist dem Deutschen
ein untergeordnetes Wesen und wird im Zustande vollkommner Unterwürfigkeit
gehalten." Verschiedene Beispiele der lächerlichsten Art sollen auch das beweisen.

Nach diesen hervorragenden psychologischen Entdeckungen kommt er
"aus jenen poetischen Charakterzug zu sprechen, den die Deutschen Gemüt
nennen." Sehen wir, was er darunter versteht. An einem schönen Sommer¬
abend fährt er bei Mondenschein auf einer Führe über den Rhein nach Bonn
und beobachtet ein junges Liebespaar, das Hand in Hand, ohne ein Wort zu
sagen, bald einander in die Angen, bald in die vom bleichen Licht des Mondes
übergossenen Wellen des Flusses sieht. "Sicherlich hatten sie vorher in einem
Wirtshaus der Umgegend reichlich gegessen und getrunken und ließen nun,
nachdem sie den Magen gesättigt hatten, der Seele ihren wöchentlichen Anteil
an Träumen und Poesie zukommen." Das ist Gemüt. Auch in der Sprache
und vielen Sitten und Gebräuchen giebt sich das Gemüt der Deutschen kund.
"Merkwürdig ist es, daß selbst ungebildete Bauern bei jeder Gelegenheit von
den Vögeln, Blumen und Sternen sprechen." Vielfach haben sich alte Sitten
erhalten, z. V. die, daß zwei junge Leute, wenn sie verlobt sind, vor ihrer
Hochzeit eine gewisse Anzahl Mondscheinspaziergänge macheu müssen! Junge
Mädchen schwärmen fast uur für Offiziere. Da jedoch wegen der vom Militär¬
gesetz verlangten hohen Mitgift eine Heirat zwischen einer Bürgerstochter und
einem Offizier nur selten sein soll, so ziehen die Professoren ihren Nutzen daraus;
es soll vorgekommen sein, daß "Professoren hübsche junge Madchen geheiratet
haben, die sich, ohne sie gesehen zu haben, in sie verliebten."


der Deutsche liebt es zwar, Musik zu hören, und truü darüber sogar das
Biertrinken vergessen, und doch ist er nicht fähig, feinere musikalische Unter¬
schiede zu machen. Kann man doch in den besten Konzerten auf den Pro¬
grammen neben Symphonien von Beethoven und Schumann Walzer von Suppl;
sehen, die mit gleichem Beifall belohnt werden. Auch die Ausführung der
Konzerte ist mittelmäßig; ,,der Deutsche liebt eben die Musik, aber ohne Ver¬
ständnis dafür zu haben." Am geringsten ist aber der Gesichtsinn ausgebildet.
Gebäude, Luden, Kleidung, alles hat das geschulte Auge des Franzose» be¬
leidigt. Die Kleidung zumal wird in geradezu unerhörter Weise vernachlässigt.
Feine Damen lassen zwar ihre Kleider in Paris anfertigen, doch merkwürdig,
sobald sie nach Dentschland kommen, „sehen sie ganz anders aus, als in Paris."
Auch der Gang der Deutschen gefällt dein Franzosen nicht. ,,Er ist schwer¬
fällig, ungeschickt, verlegen." Sogar im Tanzen hat sich ihr Ruf nicht bewährt,
und „französische Herzoginnen können trotz Musset doch anmutiger tanzen, als
die deutschen Ochseuknechte."

Diesem Maugel an Feinheit der Sinneswerkzeuge, den unser Psycholog
in so schlagender Weise nachgewiesen hat, entspringt der hervorragendste Zug
deutscher Ungeschliffenheit und Roheit: „die tiefe, anhaltende, unveränderliche
Mißachtung der Frau von feiten des Mannes." „Die Frau ist dem Deutschen
ein untergeordnetes Wesen und wird im Zustande vollkommner Unterwürfigkeit
gehalten." Verschiedene Beispiele der lächerlichsten Art sollen auch das beweisen.

Nach diesen hervorragenden psychologischen Entdeckungen kommt er
„aus jenen poetischen Charakterzug zu sprechen, den die Deutschen Gemüt
nennen." Sehen wir, was er darunter versteht. An einem schönen Sommer¬
abend fährt er bei Mondenschein auf einer Führe über den Rhein nach Bonn
und beobachtet ein junges Liebespaar, das Hand in Hand, ohne ein Wort zu
sagen, bald einander in die Angen, bald in die vom bleichen Licht des Mondes
übergossenen Wellen des Flusses sieht. „Sicherlich hatten sie vorher in einem
Wirtshaus der Umgegend reichlich gegessen und getrunken und ließen nun,
nachdem sie den Magen gesättigt hatten, der Seele ihren wöchentlichen Anteil
an Träumen und Poesie zukommen." Das ist Gemüt. Auch in der Sprache
und vielen Sitten und Gebräuchen giebt sich das Gemüt der Deutschen kund.
„Merkwürdig ist es, daß selbst ungebildete Bauern bei jeder Gelegenheit von
den Vögeln, Blumen und Sternen sprechen." Vielfach haben sich alte Sitten
erhalten, z. V. die, daß zwei junge Leute, wenn sie verlobt sind, vor ihrer
Hochzeit eine gewisse Anzahl Mondscheinspaziergänge macheu müssen! Junge
Mädchen schwärmen fast uur für Offiziere. Da jedoch wegen der vom Militär¬
gesetz verlangten hohen Mitgift eine Heirat zwischen einer Bürgerstochter und
einem Offizier nur selten sein soll, so ziehen die Professoren ihren Nutzen daraus;
es soll vorgekommen sein, daß „Professoren hübsche junge Madchen geheiratet
haben, die sich, ohne sie gesehen zu haben, in sie verliebten."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/264>, abgerufen am 24.07.2024.