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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiten

andern hierhergehörigen Fall besprechen, nämlich die unnatürliche Stellung,
die man jetzt den persönlichen Fürwörtern giebt. Wieder handelt sichs um
eine Erscheinung, die unsäglich häßlich ist, und doch jetzt die größte Ver¬
breitung hat, also offenbar allgemein für eine besondre Schönheit gehalten wird.
Um die Sache recht deutlich zu machen, will ich zunächst den häufigsten und
auffälligsten Fall vornehmen.

Wenn das Verbum eines Satzes ein Reflexionen ist, gleichviel ob das
reflexive Verhältnis den Dativ oder deu Akkusativ hat (sich entschließen, sich
einbilden), so erscheint in der lebendigen Sprache das reflexive Pronomen
sich stets so zeitig als möglich im Satze. Ju Nebensätzen wird es stets un¬
mittelbar hinter das erste Wort gestellt, hinter das Relationen, hinter die
Konjunktion u. s. w. (der sich, wo sich, wobei sich, da sich, obgleich
sich, als sich, daß sich, wenn sich, wie sich, als ob sich n. s. w.); erst
dann folgt das Subjekt des Satzes. Nur wenn das Subjekt selber ein per¬
sönliches Fürwort ist, geht dieses dem sich noch voran (da er sich, wenn
sie sich, die es sich.") In Hauptsätzen steht das sich stets unmittelbar
hinter dem Verbum (hat sich, zeigt sich, wird sich finden), bei ab¬
hängigen Infinitiven steht es an der Spitze der Jnfiuitivkonstruktion, mag
das Verbum noch so reich mit Objekten, adverbialen Bestimmungen u. dergl.
bekleidet sein. Man beobachte sich selbst, man beobachte andre, wie sie im
natürlichen Gespräch reden, man wird nicht einer einzigen Abweichung vou
dieseni Gesetze begegnen.

Nun vergleiche man einmal damit, wie jetzt geschrieben wird, ganz all¬
gemein geschrieben wird, und sehe, wo da das sich hingesetzt wird; ich will die
Stelle, wohin es wirklich gehört, jedesmal durch leere Klammern bezeichnen.
Da heißt es in Hauptsätzen: selten hat ^ j eine Darstellung so rasch in der
Litteratur sich eingebürgert -- diese hielten ^ ohne Erlaubnis der Re¬
gierung in diesen Gegenden sich ans -- der heftige Seelenschmerz löste > j in
ein krampfhaftes Schluchzen sich auf u. f. w.; beim Infinitiv: die Photo¬
graphie scheint > j in Rom wirklich bis an die Grenze echter Kunst sich zu
erheben -- bald begannen jj Menschen in dem Walde sich anzu¬
sammeln -- der Name dürfte ^ ans den ganzen Gebirgszug sich be¬
ziehe" -- mit dieser Verteilung können j j nur diejenigen sich zufrieden
erklären -- man mußte ^ j in entsetzlichen Postknrren, von Ungeziefer halb
verzehrt, unter Hunger und Durst, in jene allerschönsten Gegenden sich durch¬
arbeiten -- es ist leicht, > j diese Kenntnis sich anzueignen -- das Recht,
j j an der friedlichen Kulturarbeit frei sich zu beteiligen u. s. w.; in Neben-



Die Stellung es sich ist freilich auch wieder häßlich; die lebendige Sprache kennt
nur sichs: schwer begreift sichs (nicht: schwer begreift es sich) -- eine dritte Gruppe, um
die sichs hier handelt (nicht: um die es sich hier handelt).
Allerhand Sprachdummheiten

andern hierhergehörigen Fall besprechen, nämlich die unnatürliche Stellung,
die man jetzt den persönlichen Fürwörtern giebt. Wieder handelt sichs um
eine Erscheinung, die unsäglich häßlich ist, und doch jetzt die größte Ver¬
breitung hat, also offenbar allgemein für eine besondre Schönheit gehalten wird.
Um die Sache recht deutlich zu machen, will ich zunächst den häufigsten und
auffälligsten Fall vornehmen.

Wenn das Verbum eines Satzes ein Reflexionen ist, gleichviel ob das
reflexive Verhältnis den Dativ oder deu Akkusativ hat (sich entschließen, sich
einbilden), so erscheint in der lebendigen Sprache das reflexive Pronomen
sich stets so zeitig als möglich im Satze. Ju Nebensätzen wird es stets un¬
mittelbar hinter das erste Wort gestellt, hinter das Relationen, hinter die
Konjunktion u. s. w. (der sich, wo sich, wobei sich, da sich, obgleich
sich, als sich, daß sich, wenn sich, wie sich, als ob sich n. s. w.); erst
dann folgt das Subjekt des Satzes. Nur wenn das Subjekt selber ein per¬
sönliches Fürwort ist, geht dieses dem sich noch voran (da er sich, wenn
sie sich, die es sich.") In Hauptsätzen steht das sich stets unmittelbar
hinter dem Verbum (hat sich, zeigt sich, wird sich finden), bei ab¬
hängigen Infinitiven steht es an der Spitze der Jnfiuitivkonstruktion, mag
das Verbum noch so reich mit Objekten, adverbialen Bestimmungen u. dergl.
bekleidet sein. Man beobachte sich selbst, man beobachte andre, wie sie im
natürlichen Gespräch reden, man wird nicht einer einzigen Abweichung vou
dieseni Gesetze begegnen.

Nun vergleiche man einmal damit, wie jetzt geschrieben wird, ganz all¬
gemein geschrieben wird, und sehe, wo da das sich hingesetzt wird; ich will die
Stelle, wohin es wirklich gehört, jedesmal durch leere Klammern bezeichnen.
Da heißt es in Hauptsätzen: selten hat ^ j eine Darstellung so rasch in der
Litteratur sich eingebürgert — diese hielten ^ ohne Erlaubnis der Re¬
gierung in diesen Gegenden sich ans — der heftige Seelenschmerz löste > j in
ein krampfhaftes Schluchzen sich auf u. f. w.; beim Infinitiv: die Photo¬
graphie scheint > j in Rom wirklich bis an die Grenze echter Kunst sich zu
erheben — bald begannen jj Menschen in dem Walde sich anzu¬
sammeln — der Name dürfte ^ ans den ganzen Gebirgszug sich be¬
ziehe« — mit dieser Verteilung können j j nur diejenigen sich zufrieden
erklären — man mußte ^ j in entsetzlichen Postknrren, von Ungeziefer halb
verzehrt, unter Hunger und Durst, in jene allerschönsten Gegenden sich durch¬
arbeiten — es ist leicht, > j diese Kenntnis sich anzueignen — das Recht,
j j an der friedlichen Kulturarbeit frei sich zu beteiligen u. s. w.; in Neben-



Die Stellung es sich ist freilich auch wieder häßlich; die lebendige Sprache kennt
nur sichs: schwer begreift sichs (nicht: schwer begreift es sich) — eine dritte Gruppe, um
die sichs hier handelt (nicht: um die es sich hier handelt).
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[0251] Allerhand Sprachdummheiten andern hierhergehörigen Fall besprechen, nämlich die unnatürliche Stellung, die man jetzt den persönlichen Fürwörtern giebt. Wieder handelt sichs um eine Erscheinung, die unsäglich häßlich ist, und doch jetzt die größte Ver¬ breitung hat, also offenbar allgemein für eine besondre Schönheit gehalten wird. Um die Sache recht deutlich zu machen, will ich zunächst den häufigsten und auffälligsten Fall vornehmen. Wenn das Verbum eines Satzes ein Reflexionen ist, gleichviel ob das reflexive Verhältnis den Dativ oder deu Akkusativ hat (sich entschließen, sich einbilden), so erscheint in der lebendigen Sprache das reflexive Pronomen sich stets so zeitig als möglich im Satze. Ju Nebensätzen wird es stets un¬ mittelbar hinter das erste Wort gestellt, hinter das Relationen, hinter die Konjunktion u. s. w. (der sich, wo sich, wobei sich, da sich, obgleich sich, als sich, daß sich, wenn sich, wie sich, als ob sich n. s. w.); erst dann folgt das Subjekt des Satzes. Nur wenn das Subjekt selber ein per¬ sönliches Fürwort ist, geht dieses dem sich noch voran (da er sich, wenn sie sich, die es sich.") In Hauptsätzen steht das sich stets unmittelbar hinter dem Verbum (hat sich, zeigt sich, wird sich finden), bei ab¬ hängigen Infinitiven steht es an der Spitze der Jnfiuitivkonstruktion, mag das Verbum noch so reich mit Objekten, adverbialen Bestimmungen u. dergl. bekleidet sein. Man beobachte sich selbst, man beobachte andre, wie sie im natürlichen Gespräch reden, man wird nicht einer einzigen Abweichung vou dieseni Gesetze begegnen. Nun vergleiche man einmal damit, wie jetzt geschrieben wird, ganz all¬ gemein geschrieben wird, und sehe, wo da das sich hingesetzt wird; ich will die Stelle, wohin es wirklich gehört, jedesmal durch leere Klammern bezeichnen. Da heißt es in Hauptsätzen: selten hat ^ j eine Darstellung so rasch in der Litteratur sich eingebürgert — diese hielten ^ ohne Erlaubnis der Re¬ gierung in diesen Gegenden sich ans — der heftige Seelenschmerz löste > j in ein krampfhaftes Schluchzen sich auf u. f. w.; beim Infinitiv: die Photo¬ graphie scheint > j in Rom wirklich bis an die Grenze echter Kunst sich zu erheben — bald begannen jj Menschen in dem Walde sich anzu¬ sammeln — der Name dürfte ^ ans den ganzen Gebirgszug sich be¬ ziehe« — mit dieser Verteilung können j j nur diejenigen sich zufrieden erklären — man mußte ^ j in entsetzlichen Postknrren, von Ungeziefer halb verzehrt, unter Hunger und Durst, in jene allerschönsten Gegenden sich durch¬ arbeiten — es ist leicht, > j diese Kenntnis sich anzueignen — das Recht, j j an der friedlichen Kulturarbeit frei sich zu beteiligen u. s. w.; in Neben- Die Stellung es sich ist freilich auch wieder häßlich; die lebendige Sprache kennt nur sichs: schwer begreift sichs (nicht: schwer begreift es sich) — eine dritte Gruppe, um die sichs hier handelt (nicht: um die es sich hier handelt).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/251>, abgerufen am 24.07.2024.