Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

schlechtliche Verkehr sündhaft sei, gleichviel ob die Verkehrenden verheiratet
wären oder nicht, daß er aber trotzdem, der bessern Ordnung wegen und aus
wirtschaftlichen Gründen, die Einehe für das beste hielte. Ebenso erachte er
zwar auch mit seiner Sekte die Vergießung von Menschenblut unter nlleu
Umständen für unerlaubt, halte aber trotzdem die Hinrichtung der Verbrecher
für nützlich.

Wäre auch der Lebenswandel dieser Leute ganz exemplarisch gewesen, so
würden doch die zuletzt angedeuteten Grundsätze die Einmischung der Obrig¬
keit herausgefordert haben. Sowohl die Katharer wie die Waldenser erklärten
den Eidschwur, deu Kriegsdienst und die Verhängung von Todesurteilen für
unerlaubt. Zwischen beiden bestand nur der Unterschied, daß die Manichäer
das Alte Testament, in dem die Todesstrafe und überhaupt allerlei Zwangs¬
gesetze verordnet würden, für ein Werk des Teufels, und die Fürsten dieser
Welt für Werkzeuge des Fürsten dieser Welt erklärten, während die Waldenser
sagten, im Alten Testament seien jene Vorschriften gut und erlaubt gewesen,
Christus aber habe sie verboten, und seitdem seien sie unerlaubt. Sie wollten,
wie gesagt, gleich dem Grafen Tolstoi das bürgerliche Leben uach der Berg¬
predigt einrichten, was auch keine der heutigen Obrigkeiten gestatten würde.
Die Hierarchie versah also das Amt der bürgerlichen Obrigkeit im Kampfe
gegen die, wie man heute zu sagen Pflegt, staatsfeindlichen Elemente, und wo
sie feste bürgerliche Gewalten vorfand, da wirkte sie Hand in Hand mit ihnen,
sofern sie nicht dnrch Konkurrenzneid in Widerspruch mit ihnen verwickelt
wurde. Alle Achtung vor der Gelehrsamkeit Haupts und Hases, aber wenn
beide meinen, Kaiser Friedrich II. habe, bloß um sich mit dem Scheine der
Rechtgläubigkeit zu umgeben, seine Gesetze gegen die Ketzer erlassen, so stellen
sie diesen großen Mann tiefer, als er es verdient. In feinem Gesetzbuch für
Sizilien bilden sie einen unentbehrlichen Bestandteil, denn es ist ganz undenkbar,
daß in dem absoluten Polizeistaate, den er einrichtete, Leute hätten geduldet
werden können, die jeder Obrigkeit die Existenzberechtigung absprachen. Na¬
türlich mußte er solche Gesetze, sobald er Zeit hatte, sich ein wenig um Deutsch¬
land zu kümmern, auch hier einführe". Sie sind ein Ausfluß desselben Geistes,
dem das Verbot der städtischen Korporationen in Deutschland und der Kampf
gegen die italienischen Städterepnbliken entsprangen. Daß damit der Hier¬
archie ein Dienst geleistet, oder dem Volke die Rechtgläubigkeit des Kaisers
empfohlen werden konnte, ist vielleicht als Nebenerfolg in Betracht gezogen
worden.

(Schluß folgt)




schlechtliche Verkehr sündhaft sei, gleichviel ob die Verkehrenden verheiratet
wären oder nicht, daß er aber trotzdem, der bessern Ordnung wegen und aus
wirtschaftlichen Gründen, die Einehe für das beste hielte. Ebenso erachte er
zwar auch mit seiner Sekte die Vergießung von Menschenblut unter nlleu
Umständen für unerlaubt, halte aber trotzdem die Hinrichtung der Verbrecher
für nützlich.

Wäre auch der Lebenswandel dieser Leute ganz exemplarisch gewesen, so
würden doch die zuletzt angedeuteten Grundsätze die Einmischung der Obrig¬
keit herausgefordert haben. Sowohl die Katharer wie die Waldenser erklärten
den Eidschwur, deu Kriegsdienst und die Verhängung von Todesurteilen für
unerlaubt. Zwischen beiden bestand nur der Unterschied, daß die Manichäer
das Alte Testament, in dem die Todesstrafe und überhaupt allerlei Zwangs¬
gesetze verordnet würden, für ein Werk des Teufels, und die Fürsten dieser
Welt für Werkzeuge des Fürsten dieser Welt erklärten, während die Waldenser
sagten, im Alten Testament seien jene Vorschriften gut und erlaubt gewesen,
Christus aber habe sie verboten, und seitdem seien sie unerlaubt. Sie wollten,
wie gesagt, gleich dem Grafen Tolstoi das bürgerliche Leben uach der Berg¬
predigt einrichten, was auch keine der heutigen Obrigkeiten gestatten würde.
Die Hierarchie versah also das Amt der bürgerlichen Obrigkeit im Kampfe
gegen die, wie man heute zu sagen Pflegt, staatsfeindlichen Elemente, und wo
sie feste bürgerliche Gewalten vorfand, da wirkte sie Hand in Hand mit ihnen,
sofern sie nicht dnrch Konkurrenzneid in Widerspruch mit ihnen verwickelt
wurde. Alle Achtung vor der Gelehrsamkeit Haupts und Hases, aber wenn
beide meinen, Kaiser Friedrich II. habe, bloß um sich mit dem Scheine der
Rechtgläubigkeit zu umgeben, seine Gesetze gegen die Ketzer erlassen, so stellen
sie diesen großen Mann tiefer, als er es verdient. In feinem Gesetzbuch für
Sizilien bilden sie einen unentbehrlichen Bestandteil, denn es ist ganz undenkbar,
daß in dem absoluten Polizeistaate, den er einrichtete, Leute hätten geduldet
werden können, die jeder Obrigkeit die Existenzberechtigung absprachen. Na¬
türlich mußte er solche Gesetze, sobald er Zeit hatte, sich ein wenig um Deutsch¬
land zu kümmern, auch hier einführe«. Sie sind ein Ausfluß desselben Geistes,
dem das Verbot der städtischen Korporationen in Deutschland und der Kampf
gegen die italienischen Städterepnbliken entsprangen. Daß damit der Hier¬
archie ein Dienst geleistet, oder dem Volke die Rechtgläubigkeit des Kaisers
empfohlen werden konnte, ist vielleicht als Nebenerfolg in Betracht gezogen
worden.

(Schluß folgt)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0241" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210108"/>
          <p xml:id="ID_653" prev="#ID_652"> schlechtliche Verkehr sündhaft sei, gleichviel ob die Verkehrenden verheiratet<lb/>
wären oder nicht, daß er aber trotzdem, der bessern Ordnung wegen und aus<lb/>
wirtschaftlichen Gründen, die Einehe für das beste hielte. Ebenso erachte er<lb/>
zwar auch mit seiner Sekte die Vergießung von Menschenblut unter nlleu<lb/>
Umständen für unerlaubt, halte aber trotzdem die Hinrichtung der Verbrecher<lb/>
für nützlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_654"> Wäre auch der Lebenswandel dieser Leute ganz exemplarisch gewesen, so<lb/>
würden doch die zuletzt angedeuteten Grundsätze die Einmischung der Obrig¬<lb/>
keit herausgefordert haben. Sowohl die Katharer wie die Waldenser erklärten<lb/>
den Eidschwur, deu Kriegsdienst und die Verhängung von Todesurteilen für<lb/>
unerlaubt. Zwischen beiden bestand nur der Unterschied, daß die Manichäer<lb/>
das Alte Testament, in dem die Todesstrafe und überhaupt allerlei Zwangs¬<lb/>
gesetze verordnet würden, für ein Werk des Teufels, und die Fürsten dieser<lb/>
Welt für Werkzeuge des Fürsten dieser Welt erklärten, während die Waldenser<lb/>
sagten, im Alten Testament seien jene Vorschriften gut und erlaubt gewesen,<lb/>
Christus aber habe sie verboten, und seitdem seien sie unerlaubt. Sie wollten,<lb/>
wie gesagt, gleich dem Grafen Tolstoi das bürgerliche Leben uach der Berg¬<lb/>
predigt einrichten, was auch keine der heutigen Obrigkeiten gestatten würde.<lb/>
Die Hierarchie versah also das Amt der bürgerlichen Obrigkeit im Kampfe<lb/>
gegen die, wie man heute zu sagen Pflegt, staatsfeindlichen Elemente, und wo<lb/>
sie feste bürgerliche Gewalten vorfand, da wirkte sie Hand in Hand mit ihnen,<lb/>
sofern sie nicht dnrch Konkurrenzneid in Widerspruch mit ihnen verwickelt<lb/>
wurde. Alle Achtung vor der Gelehrsamkeit Haupts und Hases, aber wenn<lb/>
beide meinen, Kaiser Friedrich II. habe, bloß um sich mit dem Scheine der<lb/>
Rechtgläubigkeit zu umgeben, seine Gesetze gegen die Ketzer erlassen, so stellen<lb/>
sie diesen großen Mann tiefer, als er es verdient. In feinem Gesetzbuch für<lb/>
Sizilien bilden sie einen unentbehrlichen Bestandteil, denn es ist ganz undenkbar,<lb/>
daß in dem absoluten Polizeistaate, den er einrichtete, Leute hätten geduldet<lb/>
werden können, die jeder Obrigkeit die Existenzberechtigung absprachen. Na¬<lb/>
türlich mußte er solche Gesetze, sobald er Zeit hatte, sich ein wenig um Deutsch¬<lb/>
land zu kümmern, auch hier einführe«. Sie sind ein Ausfluß desselben Geistes,<lb/>
dem das Verbot der städtischen Korporationen in Deutschland und der Kampf<lb/>
gegen die italienischen Städterepnbliken entsprangen. Daß damit der Hier¬<lb/>
archie ein Dienst geleistet, oder dem Volke die Rechtgläubigkeit des Kaisers<lb/>
empfohlen werden konnte, ist vielleicht als Nebenerfolg in Betracht gezogen<lb/>
worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_655"> (Schluß folgt)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0241] schlechtliche Verkehr sündhaft sei, gleichviel ob die Verkehrenden verheiratet wären oder nicht, daß er aber trotzdem, der bessern Ordnung wegen und aus wirtschaftlichen Gründen, die Einehe für das beste hielte. Ebenso erachte er zwar auch mit seiner Sekte die Vergießung von Menschenblut unter nlleu Umständen für unerlaubt, halte aber trotzdem die Hinrichtung der Verbrecher für nützlich. Wäre auch der Lebenswandel dieser Leute ganz exemplarisch gewesen, so würden doch die zuletzt angedeuteten Grundsätze die Einmischung der Obrig¬ keit herausgefordert haben. Sowohl die Katharer wie die Waldenser erklärten den Eidschwur, deu Kriegsdienst und die Verhängung von Todesurteilen für unerlaubt. Zwischen beiden bestand nur der Unterschied, daß die Manichäer das Alte Testament, in dem die Todesstrafe und überhaupt allerlei Zwangs¬ gesetze verordnet würden, für ein Werk des Teufels, und die Fürsten dieser Welt für Werkzeuge des Fürsten dieser Welt erklärten, während die Waldenser sagten, im Alten Testament seien jene Vorschriften gut und erlaubt gewesen, Christus aber habe sie verboten, und seitdem seien sie unerlaubt. Sie wollten, wie gesagt, gleich dem Grafen Tolstoi das bürgerliche Leben uach der Berg¬ predigt einrichten, was auch keine der heutigen Obrigkeiten gestatten würde. Die Hierarchie versah also das Amt der bürgerlichen Obrigkeit im Kampfe gegen die, wie man heute zu sagen Pflegt, staatsfeindlichen Elemente, und wo sie feste bürgerliche Gewalten vorfand, da wirkte sie Hand in Hand mit ihnen, sofern sie nicht dnrch Konkurrenzneid in Widerspruch mit ihnen verwickelt wurde. Alle Achtung vor der Gelehrsamkeit Haupts und Hases, aber wenn beide meinen, Kaiser Friedrich II. habe, bloß um sich mit dem Scheine der Rechtgläubigkeit zu umgeben, seine Gesetze gegen die Ketzer erlassen, so stellen sie diesen großen Mann tiefer, als er es verdient. In feinem Gesetzbuch für Sizilien bilden sie einen unentbehrlichen Bestandteil, denn es ist ganz undenkbar, daß in dem absoluten Polizeistaate, den er einrichtete, Leute hätten geduldet werden können, die jeder Obrigkeit die Existenzberechtigung absprachen. Na¬ türlich mußte er solche Gesetze, sobald er Zeit hatte, sich ein wenig um Deutsch¬ land zu kümmern, auch hier einführe«. Sie sind ein Ausfluß desselben Geistes, dem das Verbot der städtischen Korporationen in Deutschland und der Kampf gegen die italienischen Städterepnbliken entsprangen. Daß damit der Hier¬ archie ein Dienst geleistet, oder dem Volke die Rechtgläubigkeit des Kaisers empfohlen werden konnte, ist vielleicht als Nebenerfolg in Betracht gezogen worden. (Schluß folgt)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/241
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/241>, abgerufen am 24.07.2024.