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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Die sieben Schulfragen des Kaisers

ein ausgesprochener Feind alles Bureaukratisnms. Trotzdem Null es ihn
"och ausbreiten, stärken und kräftigen. Endlich macht es einen radikalen
Schnitt in die Schnlorganisation und löst die Realgymnasien auf, läßt aber
sofort eine Hinterthür offen, durch die das verpönte Latein in aller Gemüts¬
ruhe wieder hereinspazieren kann.

So bemerkenswerte Gedanken im einzelnen geäußert wurden, so bedeutet
das Ganze doch nur eine große Halbheit. Trüben Blickes sieht der Freund
einer auf freie Bewegung gcgriindeteu Erziehung in die Zukunft.

Denn Freiheit, Spielraum für eine frohe Bethätigung der Geister ist das,
was uns not thut. Das fühlten auch uicht wenige der Kouferenzmitglieder,
und sie sprachen es unumwunden aus. Aber die Konsequenzen scheuten sie
sich zu ziehen. Wenn es zur Abstimmung kam, da legte sich die Gewohnheit,
das Hergebrachte, wie ein Ring um die aufstrebende,? Gedanken nud schloß
sie ein, drängte sie zurück. Ju der übertriebenen Angst, vou dem Ererbten
etwas zu verlieren, scheute man vor jedem kräftigen Einschnitt zurück. Daß
die Realgymnasien theoretisch aufgegeben wurden, das war uicht des Schul¬
parlaments, sondern des Kaisers Verdienst. Das Schulpfaffentum wird schon
dafür sorgen, daß sie praktisch weiter leben. Es ist ja so ein süßes Gefühl,
alles bevormunde" zu müssen, um es vor sicherm Untergange zu bewahren;
alles hübsch einzuzwäugeu in Formen, Grenzen und Regeln, damit niemand
strauchle! Welch entzückender Anblick, wenn das ganze Bildungs- und Er-
ziehungswesen einer wohleingerichteten Baumschule gleicht, in der alles fein
beschnitten, fest angebunden, wohl gerichtet und gesichtet, durch genau bestimmte
Stationen hindurch getrieben, von allen Auswüchsen befreit, unter steter Be¬
vormundung veredelt und gehoben dasteht! Dann kann sich die Nation be¬
glückwünschen und vor dem Schulpfaffentum deu Hut abnehmen, daß es die
Sache so herrlich weit geführt hat.

Die Beantwortung der sieben Kaiserfragen hat uns zu trüben Betrach¬
tungen geführt. Aber mau kann sich ihrer kaum erwehren, sie liegen in der
Luft. Und doch würde man sie mit Leichtigkeit bekämpfen, wäre der Ausblick
sonst erfreulich. Wir wollen damit nicht sagen, daß wir an einem glücklichen
Ansgcing verzweifelten; das sei ferne. Aber das Geschick scheint gerade uns
Deutsche dazu ausersehen zu haben, eine Illustration zu dem Satze zu liefern:
die Götter setzten vor den Lohn den Schweiß.

Gewiß stehen die Ereignisse, die wir auf dem Gebiete des Bildungswesens
erleben, in innerm Zusammenhange mit den geistigen Strömungen überhaupt,
die die Nation bewegen. Im Erziehungswesen drängt alles auf freie Bewe¬
gung hin, aber der Staat scheint hier uicht bloß schützend, fördernd, über¬
wachend, sondern im eigentlichen Sinne schöpferisch auftreten und seine
Schöpfungen dem Volke aufzwäugeu zu wollen. Das kann zu keinen: guten
Ende führen, es sei denn, daß sich die Neuschöpfungen deckten mit dem, was


Die sieben Schulfragen des Kaisers

ein ausgesprochener Feind alles Bureaukratisnms. Trotzdem Null es ihn
»och ausbreiten, stärken und kräftigen. Endlich macht es einen radikalen
Schnitt in die Schnlorganisation und löst die Realgymnasien auf, läßt aber
sofort eine Hinterthür offen, durch die das verpönte Latein in aller Gemüts¬
ruhe wieder hereinspazieren kann.

So bemerkenswerte Gedanken im einzelnen geäußert wurden, so bedeutet
das Ganze doch nur eine große Halbheit. Trüben Blickes sieht der Freund
einer auf freie Bewegung gcgriindeteu Erziehung in die Zukunft.

Denn Freiheit, Spielraum für eine frohe Bethätigung der Geister ist das,
was uns not thut. Das fühlten auch uicht wenige der Kouferenzmitglieder,
und sie sprachen es unumwunden aus. Aber die Konsequenzen scheuten sie
sich zu ziehen. Wenn es zur Abstimmung kam, da legte sich die Gewohnheit,
das Hergebrachte, wie ein Ring um die aufstrebende,? Gedanken nud schloß
sie ein, drängte sie zurück. Ju der übertriebenen Angst, vou dem Ererbten
etwas zu verlieren, scheute man vor jedem kräftigen Einschnitt zurück. Daß
die Realgymnasien theoretisch aufgegeben wurden, das war uicht des Schul¬
parlaments, sondern des Kaisers Verdienst. Das Schulpfaffentum wird schon
dafür sorgen, daß sie praktisch weiter leben. Es ist ja so ein süßes Gefühl,
alles bevormunde« zu müssen, um es vor sicherm Untergange zu bewahren;
alles hübsch einzuzwäugeu in Formen, Grenzen und Regeln, damit niemand
strauchle! Welch entzückender Anblick, wenn das ganze Bildungs- und Er-
ziehungswesen einer wohleingerichteten Baumschule gleicht, in der alles fein
beschnitten, fest angebunden, wohl gerichtet und gesichtet, durch genau bestimmte
Stationen hindurch getrieben, von allen Auswüchsen befreit, unter steter Be¬
vormundung veredelt und gehoben dasteht! Dann kann sich die Nation be¬
glückwünschen und vor dem Schulpfaffentum deu Hut abnehmen, daß es die
Sache so herrlich weit geführt hat.

Die Beantwortung der sieben Kaiserfragen hat uns zu trüben Betrach¬
tungen geführt. Aber mau kann sich ihrer kaum erwehren, sie liegen in der
Luft. Und doch würde man sie mit Leichtigkeit bekämpfen, wäre der Ausblick
sonst erfreulich. Wir wollen damit nicht sagen, daß wir an einem glücklichen
Ansgcing verzweifelten; das sei ferne. Aber das Geschick scheint gerade uns
Deutsche dazu ausersehen zu haben, eine Illustration zu dem Satze zu liefern:
die Götter setzten vor den Lohn den Schweiß.

Gewiß stehen die Ereignisse, die wir auf dem Gebiete des Bildungswesens
erleben, in innerm Zusammenhange mit den geistigen Strömungen überhaupt,
die die Nation bewegen. Im Erziehungswesen drängt alles auf freie Bewe¬
gung hin, aber der Staat scheint hier uicht bloß schützend, fördernd, über¬
wachend, sondern im eigentlichen Sinne schöpferisch auftreten und seine
Schöpfungen dem Volke aufzwäugeu zu wollen. Das kann zu keinen: guten
Ende führen, es sei denn, daß sich die Neuschöpfungen deckten mit dem, was


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[0232] Die sieben Schulfragen des Kaisers ein ausgesprochener Feind alles Bureaukratisnms. Trotzdem Null es ihn »och ausbreiten, stärken und kräftigen. Endlich macht es einen radikalen Schnitt in die Schnlorganisation und löst die Realgymnasien auf, läßt aber sofort eine Hinterthür offen, durch die das verpönte Latein in aller Gemüts¬ ruhe wieder hereinspazieren kann. So bemerkenswerte Gedanken im einzelnen geäußert wurden, so bedeutet das Ganze doch nur eine große Halbheit. Trüben Blickes sieht der Freund einer auf freie Bewegung gcgriindeteu Erziehung in die Zukunft. Denn Freiheit, Spielraum für eine frohe Bethätigung der Geister ist das, was uns not thut. Das fühlten auch uicht wenige der Kouferenzmitglieder, und sie sprachen es unumwunden aus. Aber die Konsequenzen scheuten sie sich zu ziehen. Wenn es zur Abstimmung kam, da legte sich die Gewohnheit, das Hergebrachte, wie ein Ring um die aufstrebende,? Gedanken nud schloß sie ein, drängte sie zurück. Ju der übertriebenen Angst, vou dem Ererbten etwas zu verlieren, scheute man vor jedem kräftigen Einschnitt zurück. Daß die Realgymnasien theoretisch aufgegeben wurden, das war uicht des Schul¬ parlaments, sondern des Kaisers Verdienst. Das Schulpfaffentum wird schon dafür sorgen, daß sie praktisch weiter leben. Es ist ja so ein süßes Gefühl, alles bevormunde« zu müssen, um es vor sicherm Untergange zu bewahren; alles hübsch einzuzwäugeu in Formen, Grenzen und Regeln, damit niemand strauchle! Welch entzückender Anblick, wenn das ganze Bildungs- und Er- ziehungswesen einer wohleingerichteten Baumschule gleicht, in der alles fein beschnitten, fest angebunden, wohl gerichtet und gesichtet, durch genau bestimmte Stationen hindurch getrieben, von allen Auswüchsen befreit, unter steter Be¬ vormundung veredelt und gehoben dasteht! Dann kann sich die Nation be¬ glückwünschen und vor dem Schulpfaffentum deu Hut abnehmen, daß es die Sache so herrlich weit geführt hat. Die Beantwortung der sieben Kaiserfragen hat uns zu trüben Betrach¬ tungen geführt. Aber mau kann sich ihrer kaum erwehren, sie liegen in der Luft. Und doch würde man sie mit Leichtigkeit bekämpfen, wäre der Ausblick sonst erfreulich. Wir wollen damit nicht sagen, daß wir an einem glücklichen Ansgcing verzweifelten; das sei ferne. Aber das Geschick scheint gerade uns Deutsche dazu ausersehen zu haben, eine Illustration zu dem Satze zu liefern: die Götter setzten vor den Lohn den Schweiß. Gewiß stehen die Ereignisse, die wir auf dem Gebiete des Bildungswesens erleben, in innerm Zusammenhange mit den geistigen Strömungen überhaupt, die die Nation bewegen. Im Erziehungswesen drängt alles auf freie Bewe¬ gung hin, aber der Staat scheint hier uicht bloß schützend, fördernd, über¬ wachend, sondern im eigentlichen Sinne schöpferisch auftreten und seine Schöpfungen dem Volke aufzwäugeu zu wollen. Das kann zu keinen: guten Ende führen, es sei denn, daß sich die Neuschöpfungen deckten mit dem, was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/232>, abgerufen am 24.07.2024.