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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Die sieben Schnlfragen des Kaisers

Diese wird gefährdet, je mehr man sie einzwängt in Formeln, Regeln und
Vorschriften; sie wird gedeihen, wenn man dem individuellen Werden und
Wachsen Luft und Licht gewährt, möglichst viel ursprüngliche Thätigkeit zu
wecken sucht, weniger Gewicht auf das Anhäufen toten Wortwissens legt, als
auf die Weckung einer selbständigen Gesinnung, die mit Wärme und Ent¬
schiedenheit für alle idealen Gitter unsers Volkes eintritt.

Der nivellirende und mechanisirende Einfluß bnreaukratischer Art ist
nirgends so gefährlich als auf dem Gebiete des Bildungswesens. Was soll
aus der Nation werden, wenn uuter denen, die bestimmt sind ihre Führer zu
sein, der geistige Schwung schon frühzeitig in eine wohlanständige Mittel¬
mäßigkeit verwandelt wird, die durch so und so viele Examina hindnrch-
getrieben gar nicht anders kann, als die Form für das zu halten, was des
Menschen Würde ausmacht? Ist es da zu verwundern, daß man so viel
Klagen über die geistige Impotenz der jüngern Generation hört und daß das
Gefühl der Unbehaglichkeit und Unzufriedenheit immer weiter greift?

Ohne Zweifel gehen starke pessimistische Strömungen durch unser Volk.
Das Gefühl, es gehe mit uns abwärts, breitet sich immer mehr aus. Ver¬
geblich kämpfen die Freunde des Vaterlandes dagegen an; immer wieder er¬
halten die deprimirenden Eindrücke die Oberhand. Denken wir aber an des
Kaisers Fragen, so vermag die Lektüre der Berliner Konferenzprotokolle diese
unbehagliche Stimmung nur zu vermehren. So viele Anläufe auch unternommen
worden sind, so unbefriedigend sind die Ergebnisse. Wozu so viel Pathos, so
viel Gelehrsamkeit, so viel guter Wille? Wenn nicht der Kaiser sich nochmals
der Beschlüsse annimmt und die Arbeit des Siebenerausschusses gründlich
prüft, wenn er nicht darauf dringt, daß die Wirkung seiner Fragen zur Gel¬
tung gelangen und nicht erstickt werden von übertriebener Ängstlichkeit und
einseitiger Engherzigkeit, dann weiß in der That niemand mehr, was werden
soll. Dann wühlt die Unzufriedenheit weiter und frißt am Mark des Volkes.
Das wärmste Wohlwollen und die beste Absicht schlägt dann ins Gegenteil
um und stiftet Unheil, wo sie bessern sollte.

Auch in den Kreisen der Lehrer an höhern Schulen herrscht starke Ver¬
bitterung. Zwar ist die Aussicht auf bessere Stellung in sozialer und
finanzieller Hinsicht eröffnet, aber die Hoffnung auf Erfüllung gering. Dabei
schmerzen die Vorwürfe, die den Gymnasien gemacht wurden, tief, und die
neuen Anforderungen, die an die Opferwilligkeit und Verufsfreudigkeit der
Lehrer gestellt werden, regen auf. So macht sich anch in diesem Teile der
Nation eine Unruhe geltend, der bisher als einer der festesten Stützen be¬
trachtet wurde.

Es heftet sich ein tragisches Geschick an die Arbeit des Berliner Schul¬
parlaments. Es verurteilt alles geistlose, mechanische Examenwerk. Trotzdem
wird der widerwärtige Apparat um eine weitere Prüfung vermehrt. Es ist


Die sieben Schnlfragen des Kaisers

Diese wird gefährdet, je mehr man sie einzwängt in Formeln, Regeln und
Vorschriften; sie wird gedeihen, wenn man dem individuellen Werden und
Wachsen Luft und Licht gewährt, möglichst viel ursprüngliche Thätigkeit zu
wecken sucht, weniger Gewicht auf das Anhäufen toten Wortwissens legt, als
auf die Weckung einer selbständigen Gesinnung, die mit Wärme und Ent¬
schiedenheit für alle idealen Gitter unsers Volkes eintritt.

Der nivellirende und mechanisirende Einfluß bnreaukratischer Art ist
nirgends so gefährlich als auf dem Gebiete des Bildungswesens. Was soll
aus der Nation werden, wenn uuter denen, die bestimmt sind ihre Führer zu
sein, der geistige Schwung schon frühzeitig in eine wohlanständige Mittel¬
mäßigkeit verwandelt wird, die durch so und so viele Examina hindnrch-
getrieben gar nicht anders kann, als die Form für das zu halten, was des
Menschen Würde ausmacht? Ist es da zu verwundern, daß man so viel
Klagen über die geistige Impotenz der jüngern Generation hört und daß das
Gefühl der Unbehaglichkeit und Unzufriedenheit immer weiter greift?

Ohne Zweifel gehen starke pessimistische Strömungen durch unser Volk.
Das Gefühl, es gehe mit uns abwärts, breitet sich immer mehr aus. Ver¬
geblich kämpfen die Freunde des Vaterlandes dagegen an; immer wieder er¬
halten die deprimirenden Eindrücke die Oberhand. Denken wir aber an des
Kaisers Fragen, so vermag die Lektüre der Berliner Konferenzprotokolle diese
unbehagliche Stimmung nur zu vermehren. So viele Anläufe auch unternommen
worden sind, so unbefriedigend sind die Ergebnisse. Wozu so viel Pathos, so
viel Gelehrsamkeit, so viel guter Wille? Wenn nicht der Kaiser sich nochmals
der Beschlüsse annimmt und die Arbeit des Siebenerausschusses gründlich
prüft, wenn er nicht darauf dringt, daß die Wirkung seiner Fragen zur Gel¬
tung gelangen und nicht erstickt werden von übertriebener Ängstlichkeit und
einseitiger Engherzigkeit, dann weiß in der That niemand mehr, was werden
soll. Dann wühlt die Unzufriedenheit weiter und frißt am Mark des Volkes.
Das wärmste Wohlwollen und die beste Absicht schlägt dann ins Gegenteil
um und stiftet Unheil, wo sie bessern sollte.

Auch in den Kreisen der Lehrer an höhern Schulen herrscht starke Ver¬
bitterung. Zwar ist die Aussicht auf bessere Stellung in sozialer und
finanzieller Hinsicht eröffnet, aber die Hoffnung auf Erfüllung gering. Dabei
schmerzen die Vorwürfe, die den Gymnasien gemacht wurden, tief, und die
neuen Anforderungen, die an die Opferwilligkeit und Verufsfreudigkeit der
Lehrer gestellt werden, regen auf. So macht sich anch in diesem Teile der
Nation eine Unruhe geltend, der bisher als einer der festesten Stützen be¬
trachtet wurde.

Es heftet sich ein tragisches Geschick an die Arbeit des Berliner Schul¬
parlaments. Es verurteilt alles geistlose, mechanische Examenwerk. Trotzdem
wird der widerwärtige Apparat um eine weitere Prüfung vermehrt. Es ist


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[0231] Die sieben Schnlfragen des Kaisers Diese wird gefährdet, je mehr man sie einzwängt in Formeln, Regeln und Vorschriften; sie wird gedeihen, wenn man dem individuellen Werden und Wachsen Luft und Licht gewährt, möglichst viel ursprüngliche Thätigkeit zu wecken sucht, weniger Gewicht auf das Anhäufen toten Wortwissens legt, als auf die Weckung einer selbständigen Gesinnung, die mit Wärme und Ent¬ schiedenheit für alle idealen Gitter unsers Volkes eintritt. Der nivellirende und mechanisirende Einfluß bnreaukratischer Art ist nirgends so gefährlich als auf dem Gebiete des Bildungswesens. Was soll aus der Nation werden, wenn uuter denen, die bestimmt sind ihre Führer zu sein, der geistige Schwung schon frühzeitig in eine wohlanständige Mittel¬ mäßigkeit verwandelt wird, die durch so und so viele Examina hindnrch- getrieben gar nicht anders kann, als die Form für das zu halten, was des Menschen Würde ausmacht? Ist es da zu verwundern, daß man so viel Klagen über die geistige Impotenz der jüngern Generation hört und daß das Gefühl der Unbehaglichkeit und Unzufriedenheit immer weiter greift? Ohne Zweifel gehen starke pessimistische Strömungen durch unser Volk. Das Gefühl, es gehe mit uns abwärts, breitet sich immer mehr aus. Ver¬ geblich kämpfen die Freunde des Vaterlandes dagegen an; immer wieder er¬ halten die deprimirenden Eindrücke die Oberhand. Denken wir aber an des Kaisers Fragen, so vermag die Lektüre der Berliner Konferenzprotokolle diese unbehagliche Stimmung nur zu vermehren. So viele Anläufe auch unternommen worden sind, so unbefriedigend sind die Ergebnisse. Wozu so viel Pathos, so viel Gelehrsamkeit, so viel guter Wille? Wenn nicht der Kaiser sich nochmals der Beschlüsse annimmt und die Arbeit des Siebenerausschusses gründlich prüft, wenn er nicht darauf dringt, daß die Wirkung seiner Fragen zur Gel¬ tung gelangen und nicht erstickt werden von übertriebener Ängstlichkeit und einseitiger Engherzigkeit, dann weiß in der That niemand mehr, was werden soll. Dann wühlt die Unzufriedenheit weiter und frißt am Mark des Volkes. Das wärmste Wohlwollen und die beste Absicht schlägt dann ins Gegenteil um und stiftet Unheil, wo sie bessern sollte. Auch in den Kreisen der Lehrer an höhern Schulen herrscht starke Ver¬ bitterung. Zwar ist die Aussicht auf bessere Stellung in sozialer und finanzieller Hinsicht eröffnet, aber die Hoffnung auf Erfüllung gering. Dabei schmerzen die Vorwürfe, die den Gymnasien gemacht wurden, tief, und die neuen Anforderungen, die an die Opferwilligkeit und Verufsfreudigkeit der Lehrer gestellt werden, regen auf. So macht sich anch in diesem Teile der Nation eine Unruhe geltend, der bisher als einer der festesten Stützen be¬ trachtet wurde. Es heftet sich ein tragisches Geschick an die Arbeit des Berliner Schul¬ parlaments. Es verurteilt alles geistlose, mechanische Examenwerk. Trotzdem wird der widerwärtige Apparat um eine weitere Prüfung vermehrt. Es ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/231>, abgerufen am 24.07.2024.