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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Wenn sich ihrer ein Hochgestellter erbarmt, so ergeht es auch manchen Aus¬
drücken. Durch den Kaiser ist das Wort "Lehrmethode" nun auch in die
Gymnasien eiugefiihrt worden. Hier unterrichtete man bisher wissenschaftlich,
nicht methodisch. Die Methode überließ man gern den 6Ü8 nrinorum gcnckiuin.
Für diese ist äußerliche Ablichtung, Routine, Schablone, Schematismus, Mecha¬
nismus, Einzwängung der individuellen Freiheit -- dies alles steckt in dem
verpöntem Namen "Methode" -- sehr gut, sehr passend. Aber methodische
Schulung für den Lehrer an den höhern Schulen, vor allem an den Gymnasien
fordern, heißt ihre wissenschaftliche Tüchtigkeit untergraben, sie degradiren, ihre
Wirksamkeit in Frage stellen. Welche Unwissenheit und welche Thorheit!
Statt sich das Wesen der Lehrmethode klar zu machen, ereifert man sich an
ihren Zerrbildern. Erinnere man sich doch, daß die wahre Lehrmethode allein
gegründet ist ans die stetigen, in jeder normal angelegten Menschenseele in
gleicher Weise verlaufenden psychischen Vorgänge. Wie kann da von Schablone,
von Fesseln u. s. w. gesprochen werden, wo sich der Lehrer nach den natür¬
lichen Bedingungen des psychischen Geschehens richtet? Auch der pädagogische
Genius verirrt sich und gerät in Willkür, wenn er sie geringschätzt; er wird
wahrhaft frei, wenn er sich ihnen unterwirft.

Sind die Grundzüge dieser Lehrmethode festgesetzt? fragt der Kaiser. Gewiß,
soweit die psychologischen Kenntnisse reichen, soweit man Einblick in das psychische
Geschehen und in die besetze, die es regeln, gewonnen hat. Die nettere Didaktik
hat i>l dieser Beziehung anerkennenswerte Ergebnisse erarbeitet. Nur müßten sich
die Beteiligten darum kümmern und uicht eine so schauderhafte Unwissenheit in
ethischen und psychologischen Grundfragen zur Schau tragen. Mit dein wohlfeilen
Rezept, das kein Geringerer als Fr. A. Wolf einPfahl: Habe Geist und wisse
Geist zu, wecken! kommt man heutzutage nicht mehr durch. Das ist ungefähr
so, als wenn man zu einem Bettler sagen wollte: Habe eine Million und wisse
Millionen zu wecken. Die in Preußen eingerichteten Gymnasialseminare werden
ja mit der Zeit jene übel angebrachte Verachtung der philosophisch-didaktischen
Schulung beseitigen helfen. Mögen sie selbst (wie in dieser Zeitschrift 1890,
L. Heft dargelegt wurde) an sich eine Halbheit bedeuten, das Gute werden sie
haben, daß sie manchen Leiter und Lehrer aus einem Saulus in einen Paulus
umwandeln.

Die vierte Frage des Kaisers aber soll diesen Prozeß beschleunigen. Die
fünfte, die sich auf die Prüfungen bezieht, würden nicht wenige in einer Weise
beantworten wollen, die das Übel an der Wurzel anpackt. Sie würden näm¬
lich sagen: Der in deu Abgnugsprüfungeu zu Tage tretende Ballast wird um
besten und sichersten dadurch beseitigt, daß man die Prüfungen felbst aufhebt.
Allerdings fand dieser kräftige Schnitt im Berliner Schulparlament nicht die
genügende Unterstützung. Bei der Abstimmung sprachen sich alle gegen eine
Stimme für Beibehaltung der Abgangsprüfnng ans, allerdings einer Prüfung in


Wenn sich ihrer ein Hochgestellter erbarmt, so ergeht es auch manchen Aus¬
drücken. Durch den Kaiser ist das Wort „Lehrmethode" nun auch in die
Gymnasien eiugefiihrt worden. Hier unterrichtete man bisher wissenschaftlich,
nicht methodisch. Die Methode überließ man gern den 6Ü8 nrinorum gcnckiuin.
Für diese ist äußerliche Ablichtung, Routine, Schablone, Schematismus, Mecha¬
nismus, Einzwängung der individuellen Freiheit — dies alles steckt in dem
verpöntem Namen „Methode" — sehr gut, sehr passend. Aber methodische
Schulung für den Lehrer an den höhern Schulen, vor allem an den Gymnasien
fordern, heißt ihre wissenschaftliche Tüchtigkeit untergraben, sie degradiren, ihre
Wirksamkeit in Frage stellen. Welche Unwissenheit und welche Thorheit!
Statt sich das Wesen der Lehrmethode klar zu machen, ereifert man sich an
ihren Zerrbildern. Erinnere man sich doch, daß die wahre Lehrmethode allein
gegründet ist ans die stetigen, in jeder normal angelegten Menschenseele in
gleicher Weise verlaufenden psychischen Vorgänge. Wie kann da von Schablone,
von Fesseln u. s. w. gesprochen werden, wo sich der Lehrer nach den natür¬
lichen Bedingungen des psychischen Geschehens richtet? Auch der pädagogische
Genius verirrt sich und gerät in Willkür, wenn er sie geringschätzt; er wird
wahrhaft frei, wenn er sich ihnen unterwirft.

Sind die Grundzüge dieser Lehrmethode festgesetzt? fragt der Kaiser. Gewiß,
soweit die psychologischen Kenntnisse reichen, soweit man Einblick in das psychische
Geschehen und in die besetze, die es regeln, gewonnen hat. Die nettere Didaktik
hat i>l dieser Beziehung anerkennenswerte Ergebnisse erarbeitet. Nur müßten sich
die Beteiligten darum kümmern und uicht eine so schauderhafte Unwissenheit in
ethischen und psychologischen Grundfragen zur Schau tragen. Mit dein wohlfeilen
Rezept, das kein Geringerer als Fr. A. Wolf einPfahl: Habe Geist und wisse
Geist zu, wecken! kommt man heutzutage nicht mehr durch. Das ist ungefähr
so, als wenn man zu einem Bettler sagen wollte: Habe eine Million und wisse
Millionen zu wecken. Die in Preußen eingerichteten Gymnasialseminare werden
ja mit der Zeit jene übel angebrachte Verachtung der philosophisch-didaktischen
Schulung beseitigen helfen. Mögen sie selbst (wie in dieser Zeitschrift 1890,
L. Heft dargelegt wurde) an sich eine Halbheit bedeuten, das Gute werden sie
haben, daß sie manchen Leiter und Lehrer aus einem Saulus in einen Paulus
umwandeln.

Die vierte Frage des Kaisers aber soll diesen Prozeß beschleunigen. Die
fünfte, die sich auf die Prüfungen bezieht, würden nicht wenige in einer Weise
beantworten wollen, die das Übel an der Wurzel anpackt. Sie würden näm¬
lich sagen: Der in deu Abgnugsprüfungeu zu Tage tretende Ballast wird um
besten und sichersten dadurch beseitigt, daß man die Prüfungen felbst aufhebt.
Allerdings fand dieser kräftige Schnitt im Berliner Schulparlament nicht die
genügende Unterstützung. Bei der Abstimmung sprachen sich alle gegen eine
Stimme für Beibehaltung der Abgangsprüfnng ans, allerdings einer Prüfung in


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[0227] Wenn sich ihrer ein Hochgestellter erbarmt, so ergeht es auch manchen Aus¬ drücken. Durch den Kaiser ist das Wort „Lehrmethode" nun auch in die Gymnasien eiugefiihrt worden. Hier unterrichtete man bisher wissenschaftlich, nicht methodisch. Die Methode überließ man gern den 6Ü8 nrinorum gcnckiuin. Für diese ist äußerliche Ablichtung, Routine, Schablone, Schematismus, Mecha¬ nismus, Einzwängung der individuellen Freiheit — dies alles steckt in dem verpöntem Namen „Methode" — sehr gut, sehr passend. Aber methodische Schulung für den Lehrer an den höhern Schulen, vor allem an den Gymnasien fordern, heißt ihre wissenschaftliche Tüchtigkeit untergraben, sie degradiren, ihre Wirksamkeit in Frage stellen. Welche Unwissenheit und welche Thorheit! Statt sich das Wesen der Lehrmethode klar zu machen, ereifert man sich an ihren Zerrbildern. Erinnere man sich doch, daß die wahre Lehrmethode allein gegründet ist ans die stetigen, in jeder normal angelegten Menschenseele in gleicher Weise verlaufenden psychischen Vorgänge. Wie kann da von Schablone, von Fesseln u. s. w. gesprochen werden, wo sich der Lehrer nach den natür¬ lichen Bedingungen des psychischen Geschehens richtet? Auch der pädagogische Genius verirrt sich und gerät in Willkür, wenn er sie geringschätzt; er wird wahrhaft frei, wenn er sich ihnen unterwirft. Sind die Grundzüge dieser Lehrmethode festgesetzt? fragt der Kaiser. Gewiß, soweit die psychologischen Kenntnisse reichen, soweit man Einblick in das psychische Geschehen und in die besetze, die es regeln, gewonnen hat. Die nettere Didaktik hat i>l dieser Beziehung anerkennenswerte Ergebnisse erarbeitet. Nur müßten sich die Beteiligten darum kümmern und uicht eine so schauderhafte Unwissenheit in ethischen und psychologischen Grundfragen zur Schau tragen. Mit dein wohlfeilen Rezept, das kein Geringerer als Fr. A. Wolf einPfahl: Habe Geist und wisse Geist zu, wecken! kommt man heutzutage nicht mehr durch. Das ist ungefähr so, als wenn man zu einem Bettler sagen wollte: Habe eine Million und wisse Millionen zu wecken. Die in Preußen eingerichteten Gymnasialseminare werden ja mit der Zeit jene übel angebrachte Verachtung der philosophisch-didaktischen Schulung beseitigen helfen. Mögen sie selbst (wie in dieser Zeitschrift 1890, L. Heft dargelegt wurde) an sich eine Halbheit bedeuten, das Gute werden sie haben, daß sie manchen Leiter und Lehrer aus einem Saulus in einen Paulus umwandeln. Die vierte Frage des Kaisers aber soll diesen Prozeß beschleunigen. Die fünfte, die sich auf die Prüfungen bezieht, würden nicht wenige in einer Weise beantworten wollen, die das Übel an der Wurzel anpackt. Sie würden näm¬ lich sagen: Der in deu Abgnugsprüfungeu zu Tage tretende Ballast wird um besten und sichersten dadurch beseitigt, daß man die Prüfungen felbst aufhebt. Allerdings fand dieser kräftige Schnitt im Berliner Schulparlament nicht die genügende Unterstützung. Bei der Abstimmung sprachen sich alle gegen eine Stimme für Beibehaltung der Abgangsprüfnng ans, allerdings einer Prüfung in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/227>, abgerufen am 24.07.2024.