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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Zuschauer mit hinreißender Gewalt; die Freimaurer freilich fühlten sich durch
seinen "Grvßkophta" verletzt. Zum Beginne der Vorstellungen und zur
Wende des Jahres hatte er selbst Prolog und Epilog gedichtet; den letztem
sprach die liebliche Christiane, von vielen Kindern umgeben. Mit frischem
Eifer ward das neue Jahr angetreten, das am Geburtstage der Herzogin
Mozarts bedeutendste Oper brachte. Schon zwei Tage vorher hatte Goethe
gewagt, den ganzen "Hamlet," statt der Schröderschen Bearbeitung, zu geben;
es folgten außer "König Johann" sogar der erste und der zweite Teil von
"Heinrich IV." Von ihm selbst erschienen außer dem "Grvßkophta" "Clavigo"
und die "Geschwister" (den unter Bellomo verunglückten "Egmont" wagte er
uicht), von Schiller die neue Bearbeitung des "Karlos" und der Liebling der
Studenten, die "Räuber." Als er die Vorstellungen am 11. Juni mit einem
wieder von der Neumann gesprochenen Epilog schloß, durste er sich sagen, daß
er sich redlich bemüht und daß seine Bühne tüchtiges geleistet habe. Leider
war der Kassencrfolg kein günstiger, obgleich das Theater nicht schlecht besucht
worden war. Der Herzog mußte einen außerordentlichen Zuschuß leisten, was
er aller gern that, ja er bot auch die Mittel zu einer Vorschußkasse.

Aber leider waren die friedlichen Zeiten vorüber. Nicht allein zog der
Herzog als preußischer General in die Champagne, sondern er bestimmte auch
den Leiter seines Theaters, ihm dorthin zu folgen. Erst Mitte Dezember
kehrte der Dichter zurück, nachdem man seit dem 4. Oktober wieder in Weimar
gespielt hatte. Kurz nach seiner Rückkunft kündigten mehrere Schauspieler,
unter ihnen auch der tüchtige Regisseur. Wie eifrig auch Goethe seine Pflicht zu
thun bereit war, die Freude des Schaffens war vorüber, weil ihm wieder neue
Mühe mit der Anwerbung andrer Schauspieler drohte, er auch sah, wie er
immer von neuem anfangen mußte, statt stetig fortwirken zu können, da die
Verträge immer nur ans ein Jahr lauten sollten. Dazu kam, daß der Herzog
seine Ausgaben beschränken und Goethe auffordern mußte, zu sehen, wie
er ohne außerordentlichen Zuschuß zurechtkäme. Neues konnte er wenig
bringen; er gab Lessings "Minna" und "Emilia," freilich anders, als sie unter
Bellomo erschienen waren, und er konnte sich noch des Beifalls freuen, mit
dem sein eigner lustiger "Vürgergeneral" aufgenommen wurde; denn noch ehe
die ueuangewvrbenen Schauspieler alle eingetroffen und von ihm eingeführt
waren, mußte er dem Herzog zur Belagerung von Mainz folgen. Vor der
Abreise hatte er die Einrichtung getroffen, daß die Regie von verschiednen
Schauspielern geführt wurde, die wöchentlich wechselten, was freilich nicht ohne
Nachteil bleiben konnte, aber er wollte nicht von der Laune eines herrschenden
Regisseurs abhängig sein, dessen Abgang große Störung hervorbringe. Zu
den mancherlei Übelständen der knappen Mittel gehörte anch der Mangel eines
stehenden Chores, den noch immer, wie zu Bellomos Zeiten, unschicklich genug,
Gymnasiasten und Seminaristen bildeten.


Zuschauer mit hinreißender Gewalt; die Freimaurer freilich fühlten sich durch
seinen „Grvßkophta" verletzt. Zum Beginne der Vorstellungen und zur
Wende des Jahres hatte er selbst Prolog und Epilog gedichtet; den letztem
sprach die liebliche Christiane, von vielen Kindern umgeben. Mit frischem
Eifer ward das neue Jahr angetreten, das am Geburtstage der Herzogin
Mozarts bedeutendste Oper brachte. Schon zwei Tage vorher hatte Goethe
gewagt, den ganzen „Hamlet," statt der Schröderschen Bearbeitung, zu geben;
es folgten außer „König Johann" sogar der erste und der zweite Teil von
„Heinrich IV." Von ihm selbst erschienen außer dem „Grvßkophta" „Clavigo"
und die „Geschwister" (den unter Bellomo verunglückten „Egmont" wagte er
uicht), von Schiller die neue Bearbeitung des „Karlos" und der Liebling der
Studenten, die „Räuber." Als er die Vorstellungen am 11. Juni mit einem
wieder von der Neumann gesprochenen Epilog schloß, durste er sich sagen, daß
er sich redlich bemüht und daß seine Bühne tüchtiges geleistet habe. Leider
war der Kassencrfolg kein günstiger, obgleich das Theater nicht schlecht besucht
worden war. Der Herzog mußte einen außerordentlichen Zuschuß leisten, was
er aller gern that, ja er bot auch die Mittel zu einer Vorschußkasse.

Aber leider waren die friedlichen Zeiten vorüber. Nicht allein zog der
Herzog als preußischer General in die Champagne, sondern er bestimmte auch
den Leiter seines Theaters, ihm dorthin zu folgen. Erst Mitte Dezember
kehrte der Dichter zurück, nachdem man seit dem 4. Oktober wieder in Weimar
gespielt hatte. Kurz nach seiner Rückkunft kündigten mehrere Schauspieler,
unter ihnen auch der tüchtige Regisseur. Wie eifrig auch Goethe seine Pflicht zu
thun bereit war, die Freude des Schaffens war vorüber, weil ihm wieder neue
Mühe mit der Anwerbung andrer Schauspieler drohte, er auch sah, wie er
immer von neuem anfangen mußte, statt stetig fortwirken zu können, da die
Verträge immer nur ans ein Jahr lauten sollten. Dazu kam, daß der Herzog
seine Ausgaben beschränken und Goethe auffordern mußte, zu sehen, wie
er ohne außerordentlichen Zuschuß zurechtkäme. Neues konnte er wenig
bringen; er gab Lessings „Minna" und „Emilia," freilich anders, als sie unter
Bellomo erschienen waren, und er konnte sich noch des Beifalls freuen, mit
dem sein eigner lustiger „Vürgergeneral" aufgenommen wurde; denn noch ehe
die ueuangewvrbenen Schauspieler alle eingetroffen und von ihm eingeführt
waren, mußte er dem Herzog zur Belagerung von Mainz folgen. Vor der
Abreise hatte er die Einrichtung getroffen, daß die Regie von verschiednen
Schauspielern geführt wurde, die wöchentlich wechselten, was freilich nicht ohne
Nachteil bleiben konnte, aber er wollte nicht von der Laune eines herrschenden
Regisseurs abhängig sein, dessen Abgang große Störung hervorbringe. Zu
den mancherlei Übelständen der knappen Mittel gehörte anch der Mangel eines
stehenden Chores, den noch immer, wie zu Bellomos Zeiten, unschicklich genug,
Gymnasiasten und Seminaristen bildeten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/187>, abgerufen am 24.07.2024.