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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Andre sind höherer Art, deuten ans eine für das ganze Vaterland folgenreiche,
ja zuweilen noch weitere Kreise ziehende Begebenheit, Zu diesen gehört das
Andenken nu die Gründung der herzoglichen, jetzt großherzoglichen Weimarischen
Hofbühne. Aber wenn wir uns auch mit voller Seele an der Jubelfeier
von Jlmathen beteiligen, das man neuerdings in seltsamer Weise neben das
politische Berlin als wahren Lebenspuukt der ganzen sonstigen deutschen Bildung
hat verherrlichen Wollen, so gilt es doch auch hier die den Teutschen so wohl
stehende Tugend redlichen Ernstes nicht zu verleugnen. Goethe hat diese auch
bei der Weimarischen Vühue treu bewährt, die ihm bei manchen hohen Freuden
schönsten Erfolges auch äußerst empfindliche Schmerzen gebracht hat.

Vor allem müssen wir uns vor einer Übertreibung des Lobes vou Goethes
Theaterleitung hüten, wie sie in der neuesten Arbeit des um die Weimarische
Theatergeschichte nach Pasquo, Weber und Gotthardi verdienten Nrchivdirektvrs
Burkhardt "Das Repertorium der Weimarischen Bühne unter Goethes
Leitung" zu Tage tritt. Burkhardt schreibt einzelnes Goethe zu, was dieser schon
vorfand, und übersieht, daß ihm eine tüchtige Verwaltungskraft in dem Lnnd-
kammerrat Assessor Kirms zur Seite stand, wogegen er mancher dem Dichter
entgegentretenden Hindernisse nicht gedenkt. Unbedenklich weist er Goethe allein
die "Initiative" der Begründung des Hoftheaters zu, weil jeder Nachweis
über die Entstehung desselben fehle. Und doch steht es fest, daß der erste
Gedanke daran dem Herzog angehört. Das frühere fürstliche Theater, ans
dem die tüchtige Seylersche Gesellschaft unter der Regentschaft der Herzvgiu-
Mutter mit großem Beifall spielte, war im Mai 1774 mit dein Schlosse
niedergebrannt, an dessen Neubau zunächst nicht zu denken war. Seyler fand
bei dem Herzog von Gotha Aufnahme, der ein Hoftheater gründete; doch dieses
ging schon nach fünf Jahren wieder ein. In Weimar behalf man sich mit
einem bürgerlichen Liebhabertheater und einem adlichen des Hofes; die Leitung
des letztem wurde Goethe vom Herzog übertragen. Er war es auch, der deu
Plan zu dem 1779 begonnenen, im folgenden Jahre vollendeten Kvmödien-
uud Redvntenhause machte, das, meist von Geldern der Negierung erbaut,
bald ganz in deren Besitz überging. Aber je mehr Goethes Amtsgeschäfte zu¬
nahmen, umso mehr erkaltete seine Theaterlnst, und so begrüßte man es mit
Freude", als der Herzog Ende 178!! auf drei Jahre das Theater mit Ge¬
währung eines Zuschusses der Wandergesellschaft des Wieners Bellomo über¬
trug. Während Goethes italienischer Reise (1787) wurde der Vertrag auf
drei Jahre erneuert. Aber die Gesellschaft genügte immer weniger, sodaß
mau sie gern abziehen sah. Schon als der Herzog anfangs 1790 in Berlin
war, zog ihn das Theater mächtig an, und er tauschte seine Ansichten
darüber mit dem Kapellmeister Reichardt aus, der vou der nächsten Zukunft die
Hebung der deutschen Bühne erwartete. Dagegen hatte Goethe, der bei seiner
Rückkehr aus Italien das Theater der Verwilderung und gemeiner Rührung


Andre sind höherer Art, deuten ans eine für das ganze Vaterland folgenreiche,
ja zuweilen noch weitere Kreise ziehende Begebenheit, Zu diesen gehört das
Andenken nu die Gründung der herzoglichen, jetzt großherzoglichen Weimarischen
Hofbühne. Aber wenn wir uns auch mit voller Seele an der Jubelfeier
von Jlmathen beteiligen, das man neuerdings in seltsamer Weise neben das
politische Berlin als wahren Lebenspuukt der ganzen sonstigen deutschen Bildung
hat verherrlichen Wollen, so gilt es doch auch hier die den Teutschen so wohl
stehende Tugend redlichen Ernstes nicht zu verleugnen. Goethe hat diese auch
bei der Weimarischen Vühue treu bewährt, die ihm bei manchen hohen Freuden
schönsten Erfolges auch äußerst empfindliche Schmerzen gebracht hat.

Vor allem müssen wir uns vor einer Übertreibung des Lobes vou Goethes
Theaterleitung hüten, wie sie in der neuesten Arbeit des um die Weimarische
Theatergeschichte nach Pasquo, Weber und Gotthardi verdienten Nrchivdirektvrs
Burkhardt „Das Repertorium der Weimarischen Bühne unter Goethes
Leitung" zu Tage tritt. Burkhardt schreibt einzelnes Goethe zu, was dieser schon
vorfand, und übersieht, daß ihm eine tüchtige Verwaltungskraft in dem Lnnd-
kammerrat Assessor Kirms zur Seite stand, wogegen er mancher dem Dichter
entgegentretenden Hindernisse nicht gedenkt. Unbedenklich weist er Goethe allein
die „Initiative" der Begründung des Hoftheaters zu, weil jeder Nachweis
über die Entstehung desselben fehle. Und doch steht es fest, daß der erste
Gedanke daran dem Herzog angehört. Das frühere fürstliche Theater, ans
dem die tüchtige Seylersche Gesellschaft unter der Regentschaft der Herzvgiu-
Mutter mit großem Beifall spielte, war im Mai 1774 mit dein Schlosse
niedergebrannt, an dessen Neubau zunächst nicht zu denken war. Seyler fand
bei dem Herzog von Gotha Aufnahme, der ein Hoftheater gründete; doch dieses
ging schon nach fünf Jahren wieder ein. In Weimar behalf man sich mit
einem bürgerlichen Liebhabertheater und einem adlichen des Hofes; die Leitung
des letztem wurde Goethe vom Herzog übertragen. Er war es auch, der deu
Plan zu dem 1779 begonnenen, im folgenden Jahre vollendeten Kvmödien-
uud Redvntenhause machte, das, meist von Geldern der Negierung erbaut,
bald ganz in deren Besitz überging. Aber je mehr Goethes Amtsgeschäfte zu¬
nahmen, umso mehr erkaltete seine Theaterlnst, und so begrüßte man es mit
Freude», als der Herzog Ende 178!! auf drei Jahre das Theater mit Ge¬
währung eines Zuschusses der Wandergesellschaft des Wieners Bellomo über¬
trug. Während Goethes italienischer Reise (1787) wurde der Vertrag auf
drei Jahre erneuert. Aber die Gesellschaft genügte immer weniger, sodaß
mau sie gern abziehen sah. Schon als der Herzog anfangs 1790 in Berlin
war, zog ihn das Theater mächtig an, und er tauschte seine Ansichten
darüber mit dem Kapellmeister Reichardt aus, der vou der nächsten Zukunft die
Hebung der deutschen Bühne erwartete. Dagegen hatte Goethe, der bei seiner
Rückkehr aus Italien das Theater der Verwilderung und gemeiner Rührung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/184>, abgerufen am 24.07.2024.