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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Endlich war die französische Kriegserkläriuig überstürzt, die Kriegsvorbereitungen
nicht beendet, die Mobilmachung und der Aufmarsch vollzogen sich langsam,
überall zeigten sich Mängel und Unordnung, die Armirung der Greuzfestungen
verzögerte sich, und die Armecführer erwiesen sich ihrer Stellung nicht gewachsen.

Ebensowenig wie die Landarmee, war die Marine für den Krieg vorbe¬
reitet. Eine Flotte von vierzehn Panzerschiffen mit einem starken Lnnduugs-
korps sollte in die Ostsee einlaufen; bis zum 24. Juli Ware" aber nur sechs
Panzerschiffe, eine Panzerkorvette und ein Aviso unter Admiral Bvuet-Villanmez
zum Auslaufen bereit. Während diese in See gingen, nahm die Ausrüstung
der übrigen Fahrzeuge noch längere Zeit in Anspruch.

Inzwischen hatten die deutschen Armeen die französischen Grenzen über¬
schritten. Es folgten die Augustschlachteu mit dem großen Erfolge der deutschen
Waffen, mit der schweren moralischen und materiellen Niederlage und den
starken Verlusten auf Seiten der Franzosen. An die Absendung der geplanten
Expedition gegen die deutscheu Küsten war daher nicht mehr zu denken.

Es würde vermessen sein, wenn wir an die Möglichkeit denken wollten,
daß sich die militärische Lage nochmals so günstig für uns gestalten könnte,
wie im Jahre 1870. Hieran wird weder der Dreibund uoch vielleicht der
Anschluß Englands, selbst eiues Teiles der Valkaustaaten etwas ändern können.
Immer werden wir mit der Wahrscheinlichkeit zu rechnen haben, daß mindestens
ein Teil unsrer Landarmee an unsrer Ostgrenze festgehalten, ein andrer Teil
für den Küstenschutz verwendet werden muß, sobald unsre Flotte nicht stark
genug ist, die Küsten selbständig zu sichern.

Frankreich hat weder Geld noch Mühe und Arbeit gespart, um ein
starkes, schlagfertiges, alleu Anforderungen der heutigen Kriegführung ent¬
sprechendes Heer bereit zu stelle", dessen Mobilmachung und Aufmarsch an
der Ostgrenze sorgfältig vorbereitet und nach allen Nachrichten annähernd in
derselben Zeit sicher gestellt ist, wie dies von der deutschem Armee angenommen
wird. Mit unerhörtem Kostenaufwande sind seine Ostgrenzen dnrch einen
dreifachen Festungsgürtel und zahllose Sperrforts geschützt, hinter denen die
Mobilmachung und die Versammlung der Heeresteile mittelst eines hoch ent¬
wickelten Schieneunetzes zu zwei, drei, ja selbst vier Geleisen in nächster Nähe
der Grenze ungestört stattfinden kaun. Kurz, die Möglichkeit, gleich bei Be¬
ginn des Krieges durch schnelle Erfolge auf unsrer Seite die Entsendung eines
Landnngskvrps in die Ostsee, wie im Jahre 1870, zu vereiteln, ist gänzlich
ausgeschlossen.

Aber auch die Flotte ist uicht weniger kriegsbereit. Alle nicht in Dienst
gestellten Kriegsschiffe sind in drei Klassen eingeteilt, von denen die erste
einen Teil der Vorräte und Mannschaften stets all Bord hat und binnen acht¬
undvierzig Stunden zum Auslaufen bereit sein muß. Die zweite Klasse ist
hinsichtlich des Materials vollständig seebereit, sie hat ein Fünftel ihrer Manu-


Endlich war die französische Kriegserkläriuig überstürzt, die Kriegsvorbereitungen
nicht beendet, die Mobilmachung und der Aufmarsch vollzogen sich langsam,
überall zeigten sich Mängel und Unordnung, die Armirung der Greuzfestungen
verzögerte sich, und die Armecführer erwiesen sich ihrer Stellung nicht gewachsen.

Ebensowenig wie die Landarmee, war die Marine für den Krieg vorbe¬
reitet. Eine Flotte von vierzehn Panzerschiffen mit einem starken Lnnduugs-
korps sollte in die Ostsee einlaufen; bis zum 24. Juli Ware» aber nur sechs
Panzerschiffe, eine Panzerkorvette und ein Aviso unter Admiral Bvuet-Villanmez
zum Auslaufen bereit. Während diese in See gingen, nahm die Ausrüstung
der übrigen Fahrzeuge noch längere Zeit in Anspruch.

Inzwischen hatten die deutschen Armeen die französischen Grenzen über¬
schritten. Es folgten die Augustschlachteu mit dem großen Erfolge der deutschen
Waffen, mit der schweren moralischen und materiellen Niederlage und den
starken Verlusten auf Seiten der Franzosen. An die Absendung der geplanten
Expedition gegen die deutscheu Küsten war daher nicht mehr zu denken.

Es würde vermessen sein, wenn wir an die Möglichkeit denken wollten,
daß sich die militärische Lage nochmals so günstig für uns gestalten könnte,
wie im Jahre 1870. Hieran wird weder der Dreibund uoch vielleicht der
Anschluß Englands, selbst eiues Teiles der Valkaustaaten etwas ändern können.
Immer werden wir mit der Wahrscheinlichkeit zu rechnen haben, daß mindestens
ein Teil unsrer Landarmee an unsrer Ostgrenze festgehalten, ein andrer Teil
für den Küstenschutz verwendet werden muß, sobald unsre Flotte nicht stark
genug ist, die Küsten selbständig zu sichern.

Frankreich hat weder Geld noch Mühe und Arbeit gespart, um ein
starkes, schlagfertiges, alleu Anforderungen der heutigen Kriegführung ent¬
sprechendes Heer bereit zu stelle», dessen Mobilmachung und Aufmarsch an
der Ostgrenze sorgfältig vorbereitet und nach allen Nachrichten annähernd in
derselben Zeit sicher gestellt ist, wie dies von der deutschem Armee angenommen
wird. Mit unerhörtem Kostenaufwande sind seine Ostgrenzen dnrch einen
dreifachen Festungsgürtel und zahllose Sperrforts geschützt, hinter denen die
Mobilmachung und die Versammlung der Heeresteile mittelst eines hoch ent¬
wickelten Schieneunetzes zu zwei, drei, ja selbst vier Geleisen in nächster Nähe
der Grenze ungestört stattfinden kaun. Kurz, die Möglichkeit, gleich bei Be¬
ginn des Krieges durch schnelle Erfolge auf unsrer Seite die Entsendung eines
Landnngskvrps in die Ostsee, wie im Jahre 1870, zu vereiteln, ist gänzlich
ausgeschlossen.

Aber auch die Flotte ist uicht weniger kriegsbereit. Alle nicht in Dienst
gestellten Kriegsschiffe sind in drei Klassen eingeteilt, von denen die erste
einen Teil der Vorräte und Mannschaften stets all Bord hat und binnen acht¬
undvierzig Stunden zum Auslaufen bereit sein muß. Die zweite Klasse ist
hinsichtlich des Materials vollständig seebereit, sie hat ein Fünftel ihrer Manu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/166>, abgerufen am 24.07.2024.