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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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^euch von Wilhelm Rcicibo

verbittert worden, er hat sich mit Gott und aller Welt deswegen entzweit; es
ist also vom höchsten Interesse, den wahren Übelthäter zu entdecken -- diese
Geschichte erzählt uns aber nicht der schreibende Deutsch - Afrikaner selbst,
sondern er berichtet uns nur mit Gewissenhaftigkeit, wie sie ihm sein alter
Schulkamerad Stvpfkucheu erzählt hat. Dieser Stvpfkuchen, rse-eg Heinrich
Schaumann, ist ein seltsames humoristisches Original von dem Schlage des
Christoph Pensum und des Leonhard Hagebucher. Auch er ist ein Charakter,
der sich nur pflanzenartig entfalten, aber nicht erzogen hat werden können;
auch er hat widerwillig die Universität bezogen und ist aus der Schule bei
der erste" besten Gelegenheit davongelaufen, wie Hagebucher und Pensum. Er
ist ein Dickkopf, aber ein in seiner scheinbaren Beschränktheit kluger und gemüt¬
voller Mensch mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Er hat nur dann etwas
gelernt, wenn unmittelbar ein praktischer Zweck damit verbunden war: das
sind die Naturen, die Raabe den abstrakten deutschen Philistern in hnmor-
vollem Ernst als die liebenswürdigen vor Augen stellt. Dieser feiste, schwer¬
fällige, eigensinnige und doch wieder auch so kluge lateinische Bauer Stvpf-
knchen erzählt nun die Geschichte des Baners Quakatz und seiner Entdeckung
des wahren Mörders mit einer Breite und Behaglichkeit, die seine Zuhörer,
Frau Valentine Schaumaun geborene Quakatz und den Freund aus Afrika
und -- uns Leser geradezu auf die Folter spannt. Aber der Dichter, Wilhelm
Raabe, ist an dieser Qual vollkommen unschuldig, er zuckt mit den Achseln
und verbirgt sein Lachen: Stvpfkuchen kann ja gar nicht anders, als mit der
ganzen Behaglichkeit seines feisten Wesens erzählen, und wir müssen uns in
Geduld fügen. In diesem Kunstgriff Raabes, seine eigne Manier so zu ver¬
gegenständlichen, daß sie als die einem bestimmten Charakter eigentümliche
Redeweise erscheint, finden wir den Fortschritt seines künstlerischen Stils.

Gegen den Schluß hin nimmt die Erzählung dramatische Bewegung und
Lebhaftigkeit an. Die Spannung wird noch dadurch gesteigert, daß nicht bloß
der Schulfreund, sondern auch Stvpfkuchens eigne Frau, Quakatzens un¬
beteiligte Tochter, bis zur Stunde den wahren Mörder Kienbaums nicht kennt,
und ihr Mann will ihn ihr auch zunächst nicht verraten; in sehr feinfühliger Weise
hütet er sich davor. Die ganze Erzählung von dem Bauer Qunkatz auf der
roten Schanze geschieht auf diesem Bauerhöfe felbst, im Schatten einer Linde,
beim gemütlichen Zusammensein des Gastes ans Afrika mit seinem Schulfreund.
Als es endlich zur Lösung des Rätsels kommt, da verläßt Stvpfkucheu mit
Eduard das Haus und steigt mit ihm ins nahe Städtchen hinab zu dem
soeben gestorbenen alten Briefträger Störzer, der beiden Freunden von
Kindesbeinen an sehr wohl bekannt war. Dieser Störzer ist der Mörder
Kienbaums und ist schlecht genug gewesen, den Bauer Quakatz unter dem
unseligen Verdachte zwanzig Jahre lang leiden zu lassen, ohne sich selbst dem
Gerichte zu stellen. Stopfkuchen hat diese Thatsache entdeckt, aber erst als


^euch von Wilhelm Rcicibo

verbittert worden, er hat sich mit Gott und aller Welt deswegen entzweit; es
ist also vom höchsten Interesse, den wahren Übelthäter zu entdecken — diese
Geschichte erzählt uns aber nicht der schreibende Deutsch - Afrikaner selbst,
sondern er berichtet uns nur mit Gewissenhaftigkeit, wie sie ihm sein alter
Schulkamerad Stvpfkucheu erzählt hat. Dieser Stvpfkuchen, rse-eg Heinrich
Schaumann, ist ein seltsames humoristisches Original von dem Schlage des
Christoph Pensum und des Leonhard Hagebucher. Auch er ist ein Charakter,
der sich nur pflanzenartig entfalten, aber nicht erzogen hat werden können;
auch er hat widerwillig die Universität bezogen und ist aus der Schule bei
der erste« besten Gelegenheit davongelaufen, wie Hagebucher und Pensum. Er
ist ein Dickkopf, aber ein in seiner scheinbaren Beschränktheit kluger und gemüt¬
voller Mensch mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Er hat nur dann etwas
gelernt, wenn unmittelbar ein praktischer Zweck damit verbunden war: das
sind die Naturen, die Raabe den abstrakten deutschen Philistern in hnmor-
vollem Ernst als die liebenswürdigen vor Augen stellt. Dieser feiste, schwer¬
fällige, eigensinnige und doch wieder auch so kluge lateinische Bauer Stvpf-
knchen erzählt nun die Geschichte des Baners Quakatz und seiner Entdeckung
des wahren Mörders mit einer Breite und Behaglichkeit, die seine Zuhörer,
Frau Valentine Schaumaun geborene Quakatz und den Freund aus Afrika
und — uns Leser geradezu auf die Folter spannt. Aber der Dichter, Wilhelm
Raabe, ist an dieser Qual vollkommen unschuldig, er zuckt mit den Achseln
und verbirgt sein Lachen: Stvpfkuchen kann ja gar nicht anders, als mit der
ganzen Behaglichkeit seines feisten Wesens erzählen, und wir müssen uns in
Geduld fügen. In diesem Kunstgriff Raabes, seine eigne Manier so zu ver¬
gegenständlichen, daß sie als die einem bestimmten Charakter eigentümliche
Redeweise erscheint, finden wir den Fortschritt seines künstlerischen Stils.

Gegen den Schluß hin nimmt die Erzählung dramatische Bewegung und
Lebhaftigkeit an. Die Spannung wird noch dadurch gesteigert, daß nicht bloß
der Schulfreund, sondern auch Stvpfkuchens eigne Frau, Quakatzens un¬
beteiligte Tochter, bis zur Stunde den wahren Mörder Kienbaums nicht kennt,
und ihr Mann will ihn ihr auch zunächst nicht verraten; in sehr feinfühliger Weise
hütet er sich davor. Die ganze Erzählung von dem Bauer Qunkatz auf der
roten Schanze geschieht auf diesem Bauerhöfe felbst, im Schatten einer Linde,
beim gemütlichen Zusammensein des Gastes ans Afrika mit seinem Schulfreund.
Als es endlich zur Lösung des Rätsels kommt, da verläßt Stvpfkucheu mit
Eduard das Haus und steigt mit ihm ins nahe Städtchen hinab zu dem
soeben gestorbenen alten Briefträger Störzer, der beiden Freunden von
Kindesbeinen an sehr wohl bekannt war. Dieser Störzer ist der Mörder
Kienbaums und ist schlecht genug gewesen, den Bauer Quakatz unter dem
unseligen Verdachte zwanzig Jahre lang leiden zu lassen, ohne sich selbst dem
Gerichte zu stellen. Stopfkuchen hat diese Thatsache entdeckt, aber erst als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/158>, abgerufen am 23.06.2024.