Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.Neues von Wilhelm Raabe ja auf, Dichter zu sein. Nun ist es interessant, zu sehen, mit welcher erfinde¬ In "Stopfkuchen" uun ist Raabe noch einen Schritt weiter gegangen, Die eigentliche Mordgeschichte -- in der es sich um die Entdeckung des Greiizbolm 1l 13UI A)
Neues von Wilhelm Raabe ja auf, Dichter zu sein. Nun ist es interessant, zu sehen, mit welcher erfinde¬ In „Stopfkuchen" uun ist Raabe noch einen Schritt weiter gegangen, Die eigentliche Mordgeschichte — in der es sich um die Entdeckung des Greiizbolm 1l 13UI A)
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210024"/> <fw type="header" place="top"> Neues von Wilhelm Raabe</fw><lb/> <p xml:id="ID_406" prev="#ID_405"> ja auf, Dichter zu sein. Nun ist es interessant, zu sehen, mit welcher erfinde¬<lb/> rischen Art Raabe diese zwei Forderungen seiner Darstellungsweise zu erfüllen<lb/> und zu vereinigen bestrebt ist, wie sich seine Art, eine Geschichte zu erzählen,<lb/> von einem Buche zum andern immer künstlicher zeigt, wie keck er wird in dem<lb/> Spiele mit dem Leser, und wie er dieses Spiel doch nicht verliert. Aus dein<lb/> Bestreben nach höchster Freiheit kommt er zur analytischen Methode des Er¬<lb/> zählens. Er drohete gleichsam den fertigen Strumpf auf, stellt sich ans Ende<lb/> der Geschichte, überschaut sie also ganz, giebt sie in Form von Erinnerungen,<lb/> spricht aber mit gut gespielter Gleichgültigkeit gegen den Leser so, als müßte<lb/> dieser im Anfang schon alles das wissen, was er doch eigentlich erst im Verlauf<lb/> der Lektüre des Buches erfahren kann; er erzeugt damit eine hochgcsteigerte<lb/> Spannung, die deu Leser anfänglich etwas unwirsch macht, wickelt aber die<lb/> Vergangenheit nach und nach so geschickt, so berechnet, so stimmungsvoll auf, daß<lb/> er dadurch allein — also durch die reine Form der Erzählung — eine liebens¬<lb/> würdige Wirkung hervorruft. In dieser Methode ist das „Sommerferienheft"<lb/> „Pfisters Mühle" abgefaßt, ähnlich der „Lar."</p><lb/> <p xml:id="ID_407"> In „Stopfkuchen" uun ist Raabe noch einen Schritt weiter gegangen,<lb/> und zwar in wahrhaft künstlerischer Richtung. „Pfisters Mühle" erzählt der<lb/> Schreiber des Heftes; während der Erinnerung an die Vergangenheit macht<lb/> der Schreiber Bemerkungen über Dinge, die während seines Schreibens im<lb/> Garten geschehen, daß ihm z. B. seine Frau beim Schreiben zusieht, dieselbe<lb/> Frau, die als Mädchen in der eigentlichen Geschichte eine wichtige Rolle spielt,<lb/> und diese Bemerkungen dienen mit zu ihrer Charakteristik. Ähnlich ist der<lb/> äußere Nahmen von „Stvpfkuchen" gebildet. Auf dem Schiffe „Leonhard<lb/> Hagebucher" (es trägt merkwürdigerweise den Namen des Helden von „Abu<lb/> Telfau"), das sich auf der Fahrt von Hamburg nach dem Kaplande befindet,<lb/> sitzt der deutsche Arzt Eduard Tag für Tag zur Verwunderung des sämtlichen<lb/> Schiffspersonals am Schreibtisch der Kabine und zeichnet die Geschichte seines<lb/> Freundes Stopfkuchen auf. Oft wird er während der Erinnerung an Stopf-<lb/> knchen unterbrochen, einmal von der stürmischen Bewegung auf der See, ein<lb/> andermal von den Passagieren an Bord, und mitten in seine Erinnerungen,<lb/> die uns von Blatt zu Blatt mehr spannen, verzeichnet er die Beobachtungen<lb/> auf dein Schiffe, die uns eigentlich nur aufhalten und so lange ärgern, bis wir<lb/> den Humor der Sache merken und mitlachen. Das ist die eine Verzögerung.<lb/> Aber es ist noch eine größere vorhanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_408" next="#ID_409"> Die eigentliche Mordgeschichte — in der es sich um die Entdeckung des<lb/> wahren Mörders des Viehhändlers Kienbaum handelt, und zwar gar ernstlich<lb/> handelt, denn der Schwiegervater Heinrich Schanmanns, genannt Stopf-<lb/> knchen, der Bauer Quakatz von der roten Schanze, ist lange Jahre hindurch<lb/> ungerechterweise des an Kienbanm begangenen Mordes verdächtigt worden;<lb/> er hat furchtbar unter dieser Verlnumdung gelitten, sein halbes Leben ist ihm</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Greiizbolm 1l 13UI A)</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0157]
Neues von Wilhelm Raabe
ja auf, Dichter zu sein. Nun ist es interessant, zu sehen, mit welcher erfinde¬
rischen Art Raabe diese zwei Forderungen seiner Darstellungsweise zu erfüllen
und zu vereinigen bestrebt ist, wie sich seine Art, eine Geschichte zu erzählen,
von einem Buche zum andern immer künstlicher zeigt, wie keck er wird in dem
Spiele mit dem Leser, und wie er dieses Spiel doch nicht verliert. Aus dein
Bestreben nach höchster Freiheit kommt er zur analytischen Methode des Er¬
zählens. Er drohete gleichsam den fertigen Strumpf auf, stellt sich ans Ende
der Geschichte, überschaut sie also ganz, giebt sie in Form von Erinnerungen,
spricht aber mit gut gespielter Gleichgültigkeit gegen den Leser so, als müßte
dieser im Anfang schon alles das wissen, was er doch eigentlich erst im Verlauf
der Lektüre des Buches erfahren kann; er erzeugt damit eine hochgcsteigerte
Spannung, die deu Leser anfänglich etwas unwirsch macht, wickelt aber die
Vergangenheit nach und nach so geschickt, so berechnet, so stimmungsvoll auf, daß
er dadurch allein — also durch die reine Form der Erzählung — eine liebens¬
würdige Wirkung hervorruft. In dieser Methode ist das „Sommerferienheft"
„Pfisters Mühle" abgefaßt, ähnlich der „Lar."
In „Stopfkuchen" uun ist Raabe noch einen Schritt weiter gegangen,
und zwar in wahrhaft künstlerischer Richtung. „Pfisters Mühle" erzählt der
Schreiber des Heftes; während der Erinnerung an die Vergangenheit macht
der Schreiber Bemerkungen über Dinge, die während seines Schreibens im
Garten geschehen, daß ihm z. B. seine Frau beim Schreiben zusieht, dieselbe
Frau, die als Mädchen in der eigentlichen Geschichte eine wichtige Rolle spielt,
und diese Bemerkungen dienen mit zu ihrer Charakteristik. Ähnlich ist der
äußere Nahmen von „Stvpfkuchen" gebildet. Auf dem Schiffe „Leonhard
Hagebucher" (es trägt merkwürdigerweise den Namen des Helden von „Abu
Telfau"), das sich auf der Fahrt von Hamburg nach dem Kaplande befindet,
sitzt der deutsche Arzt Eduard Tag für Tag zur Verwunderung des sämtlichen
Schiffspersonals am Schreibtisch der Kabine und zeichnet die Geschichte seines
Freundes Stopfkuchen auf. Oft wird er während der Erinnerung an Stopf-
knchen unterbrochen, einmal von der stürmischen Bewegung auf der See, ein
andermal von den Passagieren an Bord, und mitten in seine Erinnerungen,
die uns von Blatt zu Blatt mehr spannen, verzeichnet er die Beobachtungen
auf dein Schiffe, die uns eigentlich nur aufhalten und so lange ärgern, bis wir
den Humor der Sache merken und mitlachen. Das ist die eine Verzögerung.
Aber es ist noch eine größere vorhanden.
Die eigentliche Mordgeschichte — in der es sich um die Entdeckung des
wahren Mörders des Viehhändlers Kienbaum handelt, und zwar gar ernstlich
handelt, denn der Schwiegervater Heinrich Schanmanns, genannt Stopf-
knchen, der Bauer Quakatz von der roten Schanze, ist lange Jahre hindurch
ungerechterweise des an Kienbanm begangenen Mordes verdächtigt worden;
er hat furchtbar unter dieser Verlnumdung gelitten, sein halbes Leben ist ihm
Greiizbolm 1l 13UI A)
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