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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Wörterbuchs, dem anregenden akademischen Lehrer verdanken; aber Hildebrands
Bedeutung geht weit über die Grenzen der Fachwissenschaft und auch über
die Hörsäle der Hochschule hinaus. Und das ist uicht allein eine Folge der
Treue, mit der dieser Gelehrte auch während seiner akademischen Thätigkeit
stets an seiner ersten Wirkungsstätte, nu der Schule, gehangen hat, sondern
der Eigenart seines Wesens überhaupt, seines ganzen Denkens und Forschens.
Wenn es je einer der berufenen Hüter der Wissenschaft verstanden hat, sich
inmitten mühseliger Einzelarbeit auf den vielfach verschlungnen Forschnngs-
pfaden durch die Trümmer vergangener Jahrhunderte hindurch stets des un¬
mittelbaren Zusammenhanges mit der lebendigen Gegenwart bewußt zu bleiben
und sich keinen Augenblick in der Vergangenheit zu verlieren, so kann man
dies von Hildebrand sagen. Das verdankt er zum Teil gewiß dem Gegen¬
stande seiner Forschung, in weit höherm Maße aber der eigentümlichen Auf¬
fassung seiner Aufgabe, auch dem eignen Bedürfnis, über dem Einzelnen stets
das Ganze im Auge zu behalten und alles von Zeit zu Zeit "von einem
höhern Standpunkt aus zu betrachten." Das, was Hildebrand in dem ersten
der vorliegenden Aufsätze -- es ist eine akademische Antrittsvorlesung aus
dein Jahre 186!" -- von dem Plane und den Aufgaben des Grimmschen
Wörterbuchs sagt, das bezeichnet gewissermaßen auch die Richtung und Auf¬
fassung seiner eignen Lebensarbeit. "Das Werk hat wesentlich eine doppelte
Bedeutung, eine wissenschaftliche und eine nationale, und die Eigen¬
heit des Werkes ist es, daß eben beide, eigentlich unscheidbar, sich ver¬
flechten." Genau so geht es uns mit der Persönlichkeit Hildebrands,
wie sie dem Leser in dein trefflichen Vnche über den deutschen Sprachunterricht
und auch in dieser Sammlung überall entgegentritt; wir können den gründ¬
lichen, scharfsinnigen Gelehrten nicht von dem warmfühlenden Deutschen trennen,
der in der Gegenwart und für diese arbeitet. Und wirklich, wer dem
Forscher mit Vertrauen und empfänglichen Sinn ans seineu Wanderungen
durch die verschiedensten Gebiete des deutschen Altertums folgt, dem wird es
dabei zu Mute, als könnte es gar nicht anders sein, als zwänge jede Ent¬
deckung auch in dem entlegensten Winkel von selbst dazu, nach dem verbindenden
Faden zu suche", der das zeitlich Ferne mit der bunten Erscheinungswelt
der Gegenwart verknüpft. Das ist -- meinen wir - vor allem das Vor¬
bildliche an Hildebrands Forschungs- und Darstellungsweise überhaupt. Ihm
ist die deutsche Philologie (wie er es am Schlüsse des erwähnten Aussatzes
so schön ausspricht) "nicht bloß eine Wissenschaft, sie ist zugleich eine Arbeiterin
für das Heil der Nation, wie freilich jede Wissenschaft im höhern Sinne;
aber die deutsche Philologie ist das näher und unmittelbarer als jede andre.
Ich darf wohl hinzufügen, das wars, was mich fast wider Willen und von
andern Zielen ab zu ihr hinzog."

Sprachgeschichte ist Kulturgeschichte. Die Sprache ist die Trägerin fast


Wörterbuchs, dem anregenden akademischen Lehrer verdanken; aber Hildebrands
Bedeutung geht weit über die Grenzen der Fachwissenschaft und auch über
die Hörsäle der Hochschule hinaus. Und das ist uicht allein eine Folge der
Treue, mit der dieser Gelehrte auch während seiner akademischen Thätigkeit
stets an seiner ersten Wirkungsstätte, nu der Schule, gehangen hat, sondern
der Eigenart seines Wesens überhaupt, seines ganzen Denkens und Forschens.
Wenn es je einer der berufenen Hüter der Wissenschaft verstanden hat, sich
inmitten mühseliger Einzelarbeit auf den vielfach verschlungnen Forschnngs-
pfaden durch die Trümmer vergangener Jahrhunderte hindurch stets des un¬
mittelbaren Zusammenhanges mit der lebendigen Gegenwart bewußt zu bleiben
und sich keinen Augenblick in der Vergangenheit zu verlieren, so kann man
dies von Hildebrand sagen. Das verdankt er zum Teil gewiß dem Gegen¬
stande seiner Forschung, in weit höherm Maße aber der eigentümlichen Auf¬
fassung seiner Aufgabe, auch dem eignen Bedürfnis, über dem Einzelnen stets
das Ganze im Auge zu behalten und alles von Zeit zu Zeit „von einem
höhern Standpunkt aus zu betrachten." Das, was Hildebrand in dem ersten
der vorliegenden Aufsätze — es ist eine akademische Antrittsvorlesung aus
dein Jahre 186!» — von dem Plane und den Aufgaben des Grimmschen
Wörterbuchs sagt, das bezeichnet gewissermaßen auch die Richtung und Auf¬
fassung seiner eignen Lebensarbeit. „Das Werk hat wesentlich eine doppelte
Bedeutung, eine wissenschaftliche und eine nationale, und die Eigen¬
heit des Werkes ist es, daß eben beide, eigentlich unscheidbar, sich ver¬
flechten." Genau so geht es uns mit der Persönlichkeit Hildebrands,
wie sie dem Leser in dein trefflichen Vnche über den deutschen Sprachunterricht
und auch in dieser Sammlung überall entgegentritt; wir können den gründ¬
lichen, scharfsinnigen Gelehrten nicht von dem warmfühlenden Deutschen trennen,
der in der Gegenwart und für diese arbeitet. Und wirklich, wer dem
Forscher mit Vertrauen und empfänglichen Sinn ans seineu Wanderungen
durch die verschiedensten Gebiete des deutschen Altertums folgt, dem wird es
dabei zu Mute, als könnte es gar nicht anders sein, als zwänge jede Ent¬
deckung auch in dem entlegensten Winkel von selbst dazu, nach dem verbindenden
Faden zu suche«, der das zeitlich Ferne mit der bunten Erscheinungswelt
der Gegenwart verknüpft. Das ist — meinen wir - vor allem das Vor¬
bildliche an Hildebrands Forschungs- und Darstellungsweise überhaupt. Ihm
ist die deutsche Philologie (wie er es am Schlüsse des erwähnten Aussatzes
so schön ausspricht) „nicht bloß eine Wissenschaft, sie ist zugleich eine Arbeiterin
für das Heil der Nation, wie freilich jede Wissenschaft im höhern Sinne;
aber die deutsche Philologie ist das näher und unmittelbarer als jede andre.
Ich darf wohl hinzufügen, das wars, was mich fast wider Willen und von
andern Zielen ab zu ihr hinzog."

Sprachgeschichte ist Kulturgeschichte. Die Sprache ist die Trägerin fast


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[0148] Wörterbuchs, dem anregenden akademischen Lehrer verdanken; aber Hildebrands Bedeutung geht weit über die Grenzen der Fachwissenschaft und auch über die Hörsäle der Hochschule hinaus. Und das ist uicht allein eine Folge der Treue, mit der dieser Gelehrte auch während seiner akademischen Thätigkeit stets an seiner ersten Wirkungsstätte, nu der Schule, gehangen hat, sondern der Eigenart seines Wesens überhaupt, seines ganzen Denkens und Forschens. Wenn es je einer der berufenen Hüter der Wissenschaft verstanden hat, sich inmitten mühseliger Einzelarbeit auf den vielfach verschlungnen Forschnngs- pfaden durch die Trümmer vergangener Jahrhunderte hindurch stets des un¬ mittelbaren Zusammenhanges mit der lebendigen Gegenwart bewußt zu bleiben und sich keinen Augenblick in der Vergangenheit zu verlieren, so kann man dies von Hildebrand sagen. Das verdankt er zum Teil gewiß dem Gegen¬ stande seiner Forschung, in weit höherm Maße aber der eigentümlichen Auf¬ fassung seiner Aufgabe, auch dem eignen Bedürfnis, über dem Einzelnen stets das Ganze im Auge zu behalten und alles von Zeit zu Zeit „von einem höhern Standpunkt aus zu betrachten." Das, was Hildebrand in dem ersten der vorliegenden Aufsätze — es ist eine akademische Antrittsvorlesung aus dein Jahre 186!» — von dem Plane und den Aufgaben des Grimmschen Wörterbuchs sagt, das bezeichnet gewissermaßen auch die Richtung und Auf¬ fassung seiner eignen Lebensarbeit. „Das Werk hat wesentlich eine doppelte Bedeutung, eine wissenschaftliche und eine nationale, und die Eigen¬ heit des Werkes ist es, daß eben beide, eigentlich unscheidbar, sich ver¬ flechten." Genau so geht es uns mit der Persönlichkeit Hildebrands, wie sie dem Leser in dein trefflichen Vnche über den deutschen Sprachunterricht und auch in dieser Sammlung überall entgegentritt; wir können den gründ¬ lichen, scharfsinnigen Gelehrten nicht von dem warmfühlenden Deutschen trennen, der in der Gegenwart und für diese arbeitet. Und wirklich, wer dem Forscher mit Vertrauen und empfänglichen Sinn ans seineu Wanderungen durch die verschiedensten Gebiete des deutschen Altertums folgt, dem wird es dabei zu Mute, als könnte es gar nicht anders sein, als zwänge jede Ent¬ deckung auch in dem entlegensten Winkel von selbst dazu, nach dem verbindenden Faden zu suche«, der das zeitlich Ferne mit der bunten Erscheinungswelt der Gegenwart verknüpft. Das ist — meinen wir - vor allem das Vor¬ bildliche an Hildebrands Forschungs- und Darstellungsweise überhaupt. Ihm ist die deutsche Philologie (wie er es am Schlüsse des erwähnten Aussatzes so schön ausspricht) „nicht bloß eine Wissenschaft, sie ist zugleich eine Arbeiterin für das Heil der Nation, wie freilich jede Wissenschaft im höhern Sinne; aber die deutsche Philologie ist das näher und unmittelbarer als jede andre. Ich darf wohl hinzufügen, das wars, was mich fast wider Willen und von andern Zielen ab zu ihr hinzog." Sprachgeschichte ist Kulturgeschichte. Die Sprache ist die Trägerin fast

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/148>, abgerufen am 04.07.2024.