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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Gttokcir Lorenz

um dann Wieder neuen Platz zu macheu, die wieder durch drei Geschlechter
hindurch ihr Dasein erfüllen, und so fort. Und das wichtigste an dieser Be-
trachtungsweise ist, daß sie mit der rein äußerlichen Einteilung der Welt¬
geschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit ein Ende macht und ans dein
innern Wesen des geschichtlichen Lebens den Einteilungsgrund für die wissen¬
schaftliche Betrachtung holt.

Daß auch diese Lehre der Geschichte von keinem geringern als von Ranke
selbst aufgestellt worden ist, gereicht ihrem Begründer Lorenz zu keiner geringen
Genugthuung. Er sagt: "Im Jahre 1874 machte Ranke zu seinem Erstlings¬
werke, der Geschichte der romanischen und germanischen Völker, einen Zusatz,
der das langsam gereifte Thema als eine historiogmphische Aufgabe der
Zukunft erklärte. Er erachtete diesen Gedanken für bedeutend genug, um dein
einzigen Werke, das bis dahin nie umgearbeitet worden war, einen veränderten
Schluß zu geben. Vielleicht sprach er sich much deshalb gerade an dieser Stelle so
ans, damit sein Bekenntnis von niemand übersehen werden sollte, der sich mit
seinen Werken ernstlich beschäftigt." Er sagt: "Das Leben von Europa besteht
in der Energie der großen Gegensätze. Schon im Jahre 1512 nahm der
ritterlichste der französischen Könige den Kampf mit glänzendem Erfolge wieder
auf. Das gehörte aber gleichsam dazu, um die spanisch-österreichische Kom¬
bination zu voller Wirklichkeit zu bringen. Der Antagonismus bildet sich
aus, welcher die europäische Welt seitdem beherrscht hat. Gleich in den
nächsten Jahren erscheint die Generation, welche ihn am schärfsten und ge¬
waltigsten repräsentirt. Die Zeiten nehmen einen andern Lauf. Es wäre
vielleicht überhaupt eine Aufgabe, die Generationen, soweit es möglich ist,
nacheinander aufzuführen, wie sie auf dem Schauplatz der Weltgeschichte zusammen¬
gehören und sich von einander sondern. Man müßte einer jeden von ihnen
volle Gerechtigkeit widerfahre" lassen; man würde eine Reihe der glänzendsten
Gestalten darstellen können, die jedesmal unter einander die engsten Beziehungen
haben und in deren Gegensätzen die Welt weiter fortschreitet: die Ereignisse
sprechen ihre Natur aus."

Mit der Ausführung dieser lapidaren Sätze des großen Geschichtsdenkers
beschäftigt sich um der schöpferische Teil des Lvrenzschen Werkes. Er geleitet
uns von der Gegenwart durch die siebenundfünfzig Geschlechter zurück bis zu
Christi Geburt die neunzehn Jahrhunderte entlang und hebt mit der Meister¬
schaft dessen, der Gestalten mit wenigen Strichen charakterisiren kann, überall
die den verschiednen Perioden den Stempel abdruckenden führenden Männer
hervor. Das können wir hier natürlich nicht wiederholen, wir wollen nur daraus
verweisen, daß Lorenz sich nicht mit der Theorie und den Forderungen be¬
gnügt, sondern gleich selbst Hand ans Werk legt. In der feinsinnigsten Weise
beleuchtet er den Wert dieser in nautischen Geiste fortschaffenden Methode
der Geschichtsstndien. Sie ist vor allem deswegen so wertvoll, weil sie uns


Gttokcir Lorenz

um dann Wieder neuen Platz zu macheu, die wieder durch drei Geschlechter
hindurch ihr Dasein erfüllen, und so fort. Und das wichtigste an dieser Be-
trachtungsweise ist, daß sie mit der rein äußerlichen Einteilung der Welt¬
geschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit ein Ende macht und ans dein
innern Wesen des geschichtlichen Lebens den Einteilungsgrund für die wissen¬
schaftliche Betrachtung holt.

Daß auch diese Lehre der Geschichte von keinem geringern als von Ranke
selbst aufgestellt worden ist, gereicht ihrem Begründer Lorenz zu keiner geringen
Genugthuung. Er sagt: „Im Jahre 1874 machte Ranke zu seinem Erstlings¬
werke, der Geschichte der romanischen und germanischen Völker, einen Zusatz,
der das langsam gereifte Thema als eine historiogmphische Aufgabe der
Zukunft erklärte. Er erachtete diesen Gedanken für bedeutend genug, um dein
einzigen Werke, das bis dahin nie umgearbeitet worden war, einen veränderten
Schluß zu geben. Vielleicht sprach er sich much deshalb gerade an dieser Stelle so
ans, damit sein Bekenntnis von niemand übersehen werden sollte, der sich mit
seinen Werken ernstlich beschäftigt." Er sagt: „Das Leben von Europa besteht
in der Energie der großen Gegensätze. Schon im Jahre 1512 nahm der
ritterlichste der französischen Könige den Kampf mit glänzendem Erfolge wieder
auf. Das gehörte aber gleichsam dazu, um die spanisch-österreichische Kom¬
bination zu voller Wirklichkeit zu bringen. Der Antagonismus bildet sich
aus, welcher die europäische Welt seitdem beherrscht hat. Gleich in den
nächsten Jahren erscheint die Generation, welche ihn am schärfsten und ge¬
waltigsten repräsentirt. Die Zeiten nehmen einen andern Lauf. Es wäre
vielleicht überhaupt eine Aufgabe, die Generationen, soweit es möglich ist,
nacheinander aufzuführen, wie sie auf dem Schauplatz der Weltgeschichte zusammen¬
gehören und sich von einander sondern. Man müßte einer jeden von ihnen
volle Gerechtigkeit widerfahre» lassen; man würde eine Reihe der glänzendsten
Gestalten darstellen können, die jedesmal unter einander die engsten Beziehungen
haben und in deren Gegensätzen die Welt weiter fortschreitet: die Ereignisse
sprechen ihre Natur aus."

Mit der Ausführung dieser lapidaren Sätze des großen Geschichtsdenkers
beschäftigt sich um der schöpferische Teil des Lvrenzschen Werkes. Er geleitet
uns von der Gegenwart durch die siebenundfünfzig Geschlechter zurück bis zu
Christi Geburt die neunzehn Jahrhunderte entlang und hebt mit der Meister¬
schaft dessen, der Gestalten mit wenigen Strichen charakterisiren kann, überall
die den verschiednen Perioden den Stempel abdruckenden führenden Männer
hervor. Das können wir hier natürlich nicht wiederholen, wir wollen nur daraus
verweisen, daß Lorenz sich nicht mit der Theorie und den Forderungen be¬
gnügt, sondern gleich selbst Hand ans Werk legt. In der feinsinnigsten Weise
beleuchtet er den Wert dieser in nautischen Geiste fortschaffenden Methode
der Geschichtsstndien. Sie ist vor allem deswegen so wertvoll, weil sie uns


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[0146] Gttokcir Lorenz um dann Wieder neuen Platz zu macheu, die wieder durch drei Geschlechter hindurch ihr Dasein erfüllen, und so fort. Und das wichtigste an dieser Be- trachtungsweise ist, daß sie mit der rein äußerlichen Einteilung der Welt¬ geschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit ein Ende macht und ans dein innern Wesen des geschichtlichen Lebens den Einteilungsgrund für die wissen¬ schaftliche Betrachtung holt. Daß auch diese Lehre der Geschichte von keinem geringern als von Ranke selbst aufgestellt worden ist, gereicht ihrem Begründer Lorenz zu keiner geringen Genugthuung. Er sagt: „Im Jahre 1874 machte Ranke zu seinem Erstlings¬ werke, der Geschichte der romanischen und germanischen Völker, einen Zusatz, der das langsam gereifte Thema als eine historiogmphische Aufgabe der Zukunft erklärte. Er erachtete diesen Gedanken für bedeutend genug, um dein einzigen Werke, das bis dahin nie umgearbeitet worden war, einen veränderten Schluß zu geben. Vielleicht sprach er sich much deshalb gerade an dieser Stelle so ans, damit sein Bekenntnis von niemand übersehen werden sollte, der sich mit seinen Werken ernstlich beschäftigt." Er sagt: „Das Leben von Europa besteht in der Energie der großen Gegensätze. Schon im Jahre 1512 nahm der ritterlichste der französischen Könige den Kampf mit glänzendem Erfolge wieder auf. Das gehörte aber gleichsam dazu, um die spanisch-österreichische Kom¬ bination zu voller Wirklichkeit zu bringen. Der Antagonismus bildet sich aus, welcher die europäische Welt seitdem beherrscht hat. Gleich in den nächsten Jahren erscheint die Generation, welche ihn am schärfsten und ge¬ waltigsten repräsentirt. Die Zeiten nehmen einen andern Lauf. Es wäre vielleicht überhaupt eine Aufgabe, die Generationen, soweit es möglich ist, nacheinander aufzuführen, wie sie auf dem Schauplatz der Weltgeschichte zusammen¬ gehören und sich von einander sondern. Man müßte einer jeden von ihnen volle Gerechtigkeit widerfahre» lassen; man würde eine Reihe der glänzendsten Gestalten darstellen können, die jedesmal unter einander die engsten Beziehungen haben und in deren Gegensätzen die Welt weiter fortschreitet: die Ereignisse sprechen ihre Natur aus." Mit der Ausführung dieser lapidaren Sätze des großen Geschichtsdenkers beschäftigt sich um der schöpferische Teil des Lvrenzschen Werkes. Er geleitet uns von der Gegenwart durch die siebenundfünfzig Geschlechter zurück bis zu Christi Geburt die neunzehn Jahrhunderte entlang und hebt mit der Meister¬ schaft dessen, der Gestalten mit wenigen Strichen charakterisiren kann, überall die den verschiednen Perioden den Stempel abdruckenden führenden Männer hervor. Das können wir hier natürlich nicht wiederholen, wir wollen nur daraus verweisen, daß Lorenz sich nicht mit der Theorie und den Forderungen be¬ gnügt, sondern gleich selbst Hand ans Werk legt. In der feinsinnigsten Weise beleuchtet er den Wert dieser in nautischen Geiste fortschaffenden Methode der Geschichtsstndien. Sie ist vor allem deswegen so wertvoll, weil sie uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/146>, abgerufen am 24.07.2024.