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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Wie wird aber jetzt geschrieben? Trotzdem Camerarius den Aufgeklärten
spielte -- trotzdem die Arbeiten im Innern des Hauses noch nicht beendigt
sind -- trotzdem es an gleichzeitigen Festlichkeiten nicht mangelte u. s. w.
Warum nicht obgleich, obwohl, obschon? Kennt das gar niemand mehr?
Hinter zumal wagt zwar noch niemand ein wenn oder wo wegzulassen, aber
das da oder weil glaubt man sich fast allgemein jetzt schenken zu dürfen und
schreibt: der Zuziehung von Fachmännern wird es nicht bedürfen, zumal in
der Litteratur schon einschlägige Werke genug vorhanden sind -- es ist nötig,
konfessionelle Mittelschulen einzurichten, zumal der Staat dadurch vielfach
entlastet wird -- seine Angaben können nicht erfunden sein, zumal er sich
durchaus darauf beschränkt -- schließlich ließ sich die Angelegenheit nicht länger
aufschieben, zumal sich auch die Aussicht eröffnete u. s. w. Was würde der
Lehrer des Lateinischen dazu sagen, wenn der Junge im Extemporale Miö-
8vrtiin schreiben wollte, wo prAosortiln oum stehen muß? Wird in der
Schule vielleicht schon gelehrt: xriiösörtiin oum heißt auf Deutsch: zumal?

Und nun zu dir, du Stolz aller Kanzlisten und Reporter, du Juwel der
deutschen Amts- und Zeituugssprache, du höchster Triumph der Bilduugs-
philisterlogik, mein innig geliebtes bezw.! Was hast du mir schon für Ver¬
gnügen bereitet, wie oft hast dn mir schon die Stirnfalten geglättet! Wenn
ich Zeile für Zeile auf die ärgsten Sprachdummheiten stieß, sodaß ich das
Buch oder die Zeitung manchmal am liebsten untern Tisch geworfen hätte -- da
nahtest du, und aller Zorn war verraucht.

Vor dreißig Jahren gab es noch im Deutschen das schöne Wort respec-
tive, geschrieben: resp. Da sagte man z. B.: der Vater resp. Vormund
hat dafür zu sorgen, daß u. s. w. Was wollte man mit dem schönen Worte?
Warum sagte mau uicht: der Vater oder Vormund? Hätte man das
vielleicht nicht verstanden? I nun, der gesunde Menschenverstand des Volkes
hätte es schon verstanden, aber der große Logiker, der Kanzleimensch, sagte
sich: ein Kind kann doch unmöglich zugleich einen Vater und einen Vormund
haben, es kann doch mir entweder einen Vater oder (oder aber! sagte der
Kanzleimensch) einen Vormund haben. Das kann und darf ich aber nicht mit
dem bloßen oder ausdrücken; für dieses feine, bedingte oder: der Vater
oder (wenn nämlich das Kind keinen Vater mehr haben sollte) Vormund,
für dieses oder (wenn) giebt es im Deutschen überhaupt kein Wort, das
läßt sich nur durch -- respective ausdrücken, dadurch aber auch "voll und
ganz."

Als man nnn auch im Kanzleistil deu Fremdwörterzopf abzuschneiden
anfing, da erfand man als Übersetzung von respective das schöne Wort be¬
ziehungsweise: be--zieh--ungs --wei --se! Das war natürlich etwas
zu lang, um es immer zu schreiben und zu drucken, und so wurde es denu
abgekürzt zu bezw. Daß das Wörtchen oder auch nur vier Buchstaben


Wie wird aber jetzt geschrieben? Trotzdem Camerarius den Aufgeklärten
spielte — trotzdem die Arbeiten im Innern des Hauses noch nicht beendigt
sind — trotzdem es an gleichzeitigen Festlichkeiten nicht mangelte u. s. w.
Warum nicht obgleich, obwohl, obschon? Kennt das gar niemand mehr?
Hinter zumal wagt zwar noch niemand ein wenn oder wo wegzulassen, aber
das da oder weil glaubt man sich fast allgemein jetzt schenken zu dürfen und
schreibt: der Zuziehung von Fachmännern wird es nicht bedürfen, zumal in
der Litteratur schon einschlägige Werke genug vorhanden sind — es ist nötig,
konfessionelle Mittelschulen einzurichten, zumal der Staat dadurch vielfach
entlastet wird — seine Angaben können nicht erfunden sein, zumal er sich
durchaus darauf beschränkt — schließlich ließ sich die Angelegenheit nicht länger
aufschieben, zumal sich auch die Aussicht eröffnete u. s. w. Was würde der
Lehrer des Lateinischen dazu sagen, wenn der Junge im Extemporale Miö-
8vrtiin schreiben wollte, wo prAosortiln oum stehen muß? Wird in der
Schule vielleicht schon gelehrt: xriiösörtiin oum heißt auf Deutsch: zumal?

Und nun zu dir, du Stolz aller Kanzlisten und Reporter, du Juwel der
deutschen Amts- und Zeituugssprache, du höchster Triumph der Bilduugs-
philisterlogik, mein innig geliebtes bezw.! Was hast du mir schon für Ver¬
gnügen bereitet, wie oft hast dn mir schon die Stirnfalten geglättet! Wenn
ich Zeile für Zeile auf die ärgsten Sprachdummheiten stieß, sodaß ich das
Buch oder die Zeitung manchmal am liebsten untern Tisch geworfen hätte — da
nahtest du, und aller Zorn war verraucht.

Vor dreißig Jahren gab es noch im Deutschen das schöne Wort respec-
tive, geschrieben: resp. Da sagte man z. B.: der Vater resp. Vormund
hat dafür zu sorgen, daß u. s. w. Was wollte man mit dem schönen Worte?
Warum sagte mau uicht: der Vater oder Vormund? Hätte man das
vielleicht nicht verstanden? I nun, der gesunde Menschenverstand des Volkes
hätte es schon verstanden, aber der große Logiker, der Kanzleimensch, sagte
sich: ein Kind kann doch unmöglich zugleich einen Vater und einen Vormund
haben, es kann doch mir entweder einen Vater oder (oder aber! sagte der
Kanzleimensch) einen Vormund haben. Das kann und darf ich aber nicht mit
dem bloßen oder ausdrücken; für dieses feine, bedingte oder: der Vater
oder (wenn nämlich das Kind keinen Vater mehr haben sollte) Vormund,
für dieses oder (wenn) giebt es im Deutschen überhaupt kein Wort, das
läßt sich nur durch — respective ausdrücken, dadurch aber auch „voll und
ganz."

Als man nnn auch im Kanzleistil deu Fremdwörterzopf abzuschneiden
anfing, da erfand man als Übersetzung von respective das schöne Wort be¬
ziehungsweise: be—zieh—ungs —wei —se! Das war natürlich etwas
zu lang, um es immer zu schreiben und zu drucken, und so wurde es denu
abgekürzt zu bezw. Daß das Wörtchen oder auch nur vier Buchstaben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/108>, abgerufen am 04.07.2024.