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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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einigte, konnten um so mehr diesem Zwecke dienen, als es im eigensten Interesse
der Verbündeten Deutschlands lag, einen zweiten französischen Krieg zu ver¬
hindern; denn der Friede Deutschlands bedeutete den Frieden der Welt. Als
dann Nußland sich allmählich dem Dreikaiserbnnde entfremdete, und die Be¬
gehrlichkeit des Panslawismus der französischen Nevauchelust die Hände reichte,
trat jenes zweite Bündnis ins Leben, das seinen treffenden Namen: Friedens¬
liga zum Heile Europas bewährt hat. Schien trotzdem zu Anfang des
Jahres 1887 der Krieg uach zwei Seiten unvermeidlich, und hat nur eine
neue militärische Kraftanstrengung des deutschen Reiches ihn verhindert, so
wurde doch dadurch der Gedanke der mitteleuropäischen Friedensliga nur in¬
sofern berührt, als man sich genötigt sah, der stärkern Rüstung und der schlecht
verhehlten Aktionslnst von Ost und West durch verstärkte militärische Gegen¬
maßregeln zu antworten.

So lagen die Dinge noch im März des vorigen Jahres, und sie sind in
ihren politischen Voraussetzungen auch heute nicht anders geworden. Wohl
aber ist ein wirtschaftlicher Gesichtspunkt von allergrößter Tragweite nen hin¬
zugekommen. Der sittliche Gedanke, der dein Staatsleben seine ideelle Kraft
giebt, liegt darin, daß, wenn er seine Aufgabe richtig erkennt, nicht die vorüber¬
gehenden Interessen des Augenblicks sein Handeln bestimmen, sondern die be¬
wußte und verantwortliche Fürsorge für das Geschlecht der Zukunft. Nun
hat das letzte Jahr eine bereits geahnte Entwicklung auf die erste Stufe ihrer
Vollendung gebracht, die für Europa eine ungeheure wirtschaftliche Gefahr be¬
deutet. Die durch deu Staatssekretär der Vereinigten Staaten, Mr. Blaine,
ius Leben gerufene panamerikanische Idee geht ihrer Verwirklichung entgegen.
Die neue Welt, bisher der ungemessene Absatzmarkt Europas, hat sich durch
die Mac-Kiuley-Viti mit einem Gürtel fast unübersteiglicher Zollschranken um¬
gebe" und durch die mit den mittel- und südamerikanischen Staaten abge¬
schlossenen Gegenseitigkeitsverträge den Anfang gemacht, uns auch den süd-
amerikanischen Markt zu entziehen. Gleichzeitig damit hat auf rassischem
Boden eine nicht minder feindselige Zollpolitik, gegen die sich ein jahrelang
geführter Getreidezollkrieg ohnmächtig erwies, eine chinesische Mauer an unsrer
Ostgrenze errichtet. Es ist, als wollten diese beiden Konkurrenten Mitteleuropa
gewissermaßen aushungern.

Welches ist nun die Politik unsrer Negierung dieser doppelte" Feindseligkeit,
der kriegerischen Frankreichs und Rußlands und der wirtschaftlichen Rußlands
und Amerikas gegenüber gewesen? Politisch ist als Bundesgenosse, wenn auch
uicht in den Formen eines Vertrages, der dem gleich wäre, welcher uns mit
Österreich-Ungarn und Italien verbindet, England getreten, dessen mächtige
Flotte Italien in seiner Stellung im Mittelmeere schützt und sehr wesentlich
entlastet. Wir haben uns zu diesem Zweck zu nicht unwesentlichen Zugeständ¬
nissen auf afrikanischen Boden verstanden, und es mag hier unerörtert bleiben,


einigte, konnten um so mehr diesem Zwecke dienen, als es im eigensten Interesse
der Verbündeten Deutschlands lag, einen zweiten französischen Krieg zu ver¬
hindern; denn der Friede Deutschlands bedeutete den Frieden der Welt. Als
dann Nußland sich allmählich dem Dreikaiserbnnde entfremdete, und die Be¬
gehrlichkeit des Panslawismus der französischen Nevauchelust die Hände reichte,
trat jenes zweite Bündnis ins Leben, das seinen treffenden Namen: Friedens¬
liga zum Heile Europas bewährt hat. Schien trotzdem zu Anfang des
Jahres 1887 der Krieg uach zwei Seiten unvermeidlich, und hat nur eine
neue militärische Kraftanstrengung des deutschen Reiches ihn verhindert, so
wurde doch dadurch der Gedanke der mitteleuropäischen Friedensliga nur in¬
sofern berührt, als man sich genötigt sah, der stärkern Rüstung und der schlecht
verhehlten Aktionslnst von Ost und West durch verstärkte militärische Gegen¬
maßregeln zu antworten.

So lagen die Dinge noch im März des vorigen Jahres, und sie sind in
ihren politischen Voraussetzungen auch heute nicht anders geworden. Wohl
aber ist ein wirtschaftlicher Gesichtspunkt von allergrößter Tragweite nen hin¬
zugekommen. Der sittliche Gedanke, der dein Staatsleben seine ideelle Kraft
giebt, liegt darin, daß, wenn er seine Aufgabe richtig erkennt, nicht die vorüber¬
gehenden Interessen des Augenblicks sein Handeln bestimmen, sondern die be¬
wußte und verantwortliche Fürsorge für das Geschlecht der Zukunft. Nun
hat das letzte Jahr eine bereits geahnte Entwicklung auf die erste Stufe ihrer
Vollendung gebracht, die für Europa eine ungeheure wirtschaftliche Gefahr be¬
deutet. Die durch deu Staatssekretär der Vereinigten Staaten, Mr. Blaine,
ius Leben gerufene panamerikanische Idee geht ihrer Verwirklichung entgegen.
Die neue Welt, bisher der ungemessene Absatzmarkt Europas, hat sich durch
die Mac-Kiuley-Viti mit einem Gürtel fast unübersteiglicher Zollschranken um¬
gebe« und durch die mit den mittel- und südamerikanischen Staaten abge¬
schlossenen Gegenseitigkeitsverträge den Anfang gemacht, uns auch den süd-
amerikanischen Markt zu entziehen. Gleichzeitig damit hat auf rassischem
Boden eine nicht minder feindselige Zollpolitik, gegen die sich ein jahrelang
geführter Getreidezollkrieg ohnmächtig erwies, eine chinesische Mauer an unsrer
Ostgrenze errichtet. Es ist, als wollten diese beiden Konkurrenten Mitteleuropa
gewissermaßen aushungern.

Welches ist nun die Politik unsrer Negierung dieser doppelte» Feindseligkeit,
der kriegerischen Frankreichs und Rußlands und der wirtschaftlichen Rußlands
und Amerikas gegenüber gewesen? Politisch ist als Bundesgenosse, wenn auch
uicht in den Formen eines Vertrages, der dem gleich wäre, welcher uns mit
Österreich-Ungarn und Italien verbindet, England getreten, dessen mächtige
Flotte Italien in seiner Stellung im Mittelmeere schützt und sehr wesentlich
entlastet. Wir haben uns zu diesem Zweck zu nicht unwesentlichen Zugeständ¬
nissen auf afrikanischen Boden verstanden, und es mag hier unerörtert bleiben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/10>, abgerufen am 24.07.2024.