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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Berlin und sein Hof im Jahre ^69^

sie die üble Angewohnheit haben, zu scharf zu fahren, infolge dessen sie ihre
weiten Ebnen gewissermaßen durchfliegen.

Der Landsitz Potsdam ist vier Meilen von Berlin entfernt; auf dem Wege
dahin kommt man durch eine sandige Ebne und durch einen Wald. Er (der
Landsitz) liegt in ebnem Gelände, in seiner Nähe befindet sich ein Marktflecken
und eine Insel, die von der Spree gebildet wird; diese erweitert sich nämlich
hier zu einem See, der an der breitesten Stelle gegen drei und an der längsten
gegen zwei Wegstunden ausgedehnt sein mag. Der Kurfürst besitzt ans diesem
vier Jachten, die in England gebaut und von Hamburg auf der Elbe und
dann auf dem genannten Flusse hergekommen sind, und fünf Galeeren von je
achtzehn Unterbauten. Diese Galeeren sind alle vergoldet und enthalten pracht¬
volle Räume im Hinterteil, die mit goldgestickten Sammetpolstern geschmückt
sind; kurz, es herrscht hier alle mögliche Pracht. Ich fuhr auf einer der ge¬
schilderten Jachten von Potsdam nach Cnpot, einem zweiten, eine gute Meile
entfernten Landhause des Kurfürsten, und dn wir günstigen Wind hatten,
zogen wir die Segel auf. Der Kurfürst bedient sich sowohl dieser Jachten,
wie der Galeeren zu Spazierfahrten. Die Jachten sind Fahrzeuge von der
Größe einer Tartaucz sie haben am Mittelmast ein Segel, wie unsre Felncken,
ferner das Besansegel am Hinterteil und das Bugsprictsegel am Vorderteil.

Das Schloß des Kurfürsten liegt dicht vor dem Flecken Potsdam, am
Ufer des Sees. Man sieht dort auch einen großen Hos, sowie einen schönen
Garten, worin die Kurfürstin abends vertraulich mit ihren Hofdamen und
Hofherren, desgleichen mit den Ausländern, mit denen sie oft Unterhaltung
pflegt, lustwandelt. Der Palast ist sehr groß; außer dem Erdgeschoß hat er
zwei Stockwerke und ist mit Tapeten und Gemälden prächtig ausgestattet,
doch ist sein Stil allzu modern. Die Treppen sind schön, ebenso ein weiter
Saal, dessen Decke Lampen trägt; Treppen und Saal zeigen bolognesischen
Charakter.

Während ich mich ungefähr fünf Tage lang in Potsdam aufhielt, hatte
ich die Ehre, viermal an der Morgeutafel des Kurfürsten und allabendlich an
der Tafel der K'urfürstin zu speisen, die die schon oben erwähnte Form hat,
und an der man einzig und allein auf ihre Gesundheit trinkt, indem man diese
gegen eine andre Person aufbringt. Wenn man ans das Wohl der andern
trinkt, giebt man ihnen einfach ein Zeichen; übrigens wird mir das Notwendige
getrunken. An der Tafel des Kurfürsten dagegen geht es anders zu, denn so
oft dieser trinkt, trinkt er auf das Wohl aller, die um der Tafel sitzen. Be¬
findet sich nun uuter diesen ein Fremder, der noch nie an der Tafel teil ge¬
nommen hat, und der Kurfürst trinkt auf dessen Gesundheit, so ist der den
Kurfürsten bedienende Page verpflichtet, sofort dem Fremden den "Willknm"
zu bringen, der in einem großen, vergoldeten, silbernen Becher von der Größe
eines italienischen Polaks besteht; diesen muß man leeren, wenn auch nicht in


Grenzboten I 18V1 10
Berlin und sein Hof im Jahre ^69^

sie die üble Angewohnheit haben, zu scharf zu fahren, infolge dessen sie ihre
weiten Ebnen gewissermaßen durchfliegen.

Der Landsitz Potsdam ist vier Meilen von Berlin entfernt; auf dem Wege
dahin kommt man durch eine sandige Ebne und durch einen Wald. Er (der
Landsitz) liegt in ebnem Gelände, in seiner Nähe befindet sich ein Marktflecken
und eine Insel, die von der Spree gebildet wird; diese erweitert sich nämlich
hier zu einem See, der an der breitesten Stelle gegen drei und an der längsten
gegen zwei Wegstunden ausgedehnt sein mag. Der Kurfürst besitzt ans diesem
vier Jachten, die in England gebaut und von Hamburg auf der Elbe und
dann auf dem genannten Flusse hergekommen sind, und fünf Galeeren von je
achtzehn Unterbauten. Diese Galeeren sind alle vergoldet und enthalten pracht¬
volle Räume im Hinterteil, die mit goldgestickten Sammetpolstern geschmückt
sind; kurz, es herrscht hier alle mögliche Pracht. Ich fuhr auf einer der ge¬
schilderten Jachten von Potsdam nach Cnpot, einem zweiten, eine gute Meile
entfernten Landhause des Kurfürsten, und dn wir günstigen Wind hatten,
zogen wir die Segel auf. Der Kurfürst bedient sich sowohl dieser Jachten,
wie der Galeeren zu Spazierfahrten. Die Jachten sind Fahrzeuge von der
Größe einer Tartaucz sie haben am Mittelmast ein Segel, wie unsre Felncken,
ferner das Besansegel am Hinterteil und das Bugsprictsegel am Vorderteil.

Das Schloß des Kurfürsten liegt dicht vor dem Flecken Potsdam, am
Ufer des Sees. Man sieht dort auch einen großen Hos, sowie einen schönen
Garten, worin die Kurfürstin abends vertraulich mit ihren Hofdamen und
Hofherren, desgleichen mit den Ausländern, mit denen sie oft Unterhaltung
pflegt, lustwandelt. Der Palast ist sehr groß; außer dem Erdgeschoß hat er
zwei Stockwerke und ist mit Tapeten und Gemälden prächtig ausgestattet,
doch ist sein Stil allzu modern. Die Treppen sind schön, ebenso ein weiter
Saal, dessen Decke Lampen trägt; Treppen und Saal zeigen bolognesischen
Charakter.

Während ich mich ungefähr fünf Tage lang in Potsdam aufhielt, hatte
ich die Ehre, viermal an der Morgeutafel des Kurfürsten und allabendlich an
der Tafel der K'urfürstin zu speisen, die die schon oben erwähnte Form hat,
und an der man einzig und allein auf ihre Gesundheit trinkt, indem man diese
gegen eine andre Person aufbringt. Wenn man ans das Wohl der andern
trinkt, giebt man ihnen einfach ein Zeichen; übrigens wird mir das Notwendige
getrunken. An der Tafel des Kurfürsten dagegen geht es anders zu, denn so
oft dieser trinkt, trinkt er auf das Wohl aller, die um der Tafel sitzen. Be¬
findet sich nun uuter diesen ein Fremder, der noch nie an der Tafel teil ge¬
nommen hat, und der Kurfürst trinkt auf dessen Gesundheit, so ist der den
Kurfürsten bedienende Page verpflichtet, sofort dem Fremden den „Willknm"
zu bringen, der in einem großen, vergoldeten, silbernen Becher von der Größe
eines italienischen Polaks besteht; diesen muß man leeren, wenn auch nicht in


Grenzboten I 18V1 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/81>, abgerufen am 22.07.2024.