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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Vie Uberbiirdung

meinem Wörterbuche gestrichen, und so widerlegte ich mich selbst durch eine"
Fortschritt in der psychologische!! Erfahrung.

Immerhin ließen diese zwei Unfälle in meinem Herzen einen Stachel
zurück; ich konnte zu den beiden Lehrern, die die Strafe über mich verhängt
hatten, niemals Zuneigung fassen, wobei allerdings noch andre Gründe mit¬
wirkten. Der eine der Herren war der Mathematiker, ein guter und liebens¬
würdiger, aber reizbarer junger Mensch und damals wenigstens der Aufgabe,
die Jugend in die Geheimnisse der Mathematik einzuführen, noch nicht ge¬
wachsen. Später um eine Gewerbeschule versetzt, soll er ein sehr tüchtiger
Lehrer geworden sein. Ich ließ ihn fühle", das; ich diese Dinge trotz seiner
Erklärung verstand, er aber konnte mir nichts anhaben, weil ich der einzige
in der blasse war und beinahe blieb (mit der Zeit entwickelte sich in einem
Schüler unsers Jahrganges mathematisches Genie, und der wurde dann des
Dr. F. Liebling), der von Mathematik einen Begriff hatte. So bildete sich zwischen
uns ein Kriegsstaud aus, der bis zur Abitnrienteuprüfuug, wenn auch durch
gegenseitiges höfliches Benehmen verdeckt, unverändert fortdauerte. Bei den
schriftlichen Arbeiten für die Abgaugsprüfuug reichte mir der erwähnte Mit¬
schüler, der vor mir faß, sein Konzept zur Vergleichung der Resultate,
^r. F. erspähte es und schoß wie ein Habicht auf mich zu; ich reichte ihm
lächelnd meine eigne fertige Arbeit, und so kam er um die letzte Aussicht auf
einen Triumph.

Der andre war der Grieche, das unübertreffliche Muster eines philo¬
logischen Pedanten. Einst stand er neben mir, während ich schrieb, und ent¬
deckte einen Aeeentfehler. "Du flink-madig fauler Kerl!" brüllte er mich mit
seiner Löwenstimme an, "ich werde dir aufs Fell steigen!" Im Benehmen
nämlich hatte er nichts Pedantisches, souderu war el" ganz urwüchsiger Wilder.
Ungekämmt und ungewaschen, die uugebürsteteu Kleider gar nicht oder schief
zugeknöpft, so kam er in die Klasse gestürzt. Seine meist urkomischen Be¬
wegungen kennzeichneten sich als Wirkungen nnnbgeschwächter animalischer
Antriebe und standen nur ganz im allgemeinen unter der Oberleitung eines
zwecksetzenden vernünftigen Willens. Hatte man nur erst deu anfängliche"
Schrecken überstanden, so bildete dann die nbwechslungsvolle wunderliche Er¬
scheinung einen nie versiegenden Quell täglicher Unterhaltung; bei jedem neuen
Tableau, das er darbot, stießen wir einander, das Lachen verbeißend, leise
an, und so standen sich beide Teile gut, dem, er legte die seiner Person ge¬
widmete Aufmerksamkeit als Interesse für deu LM'nuiz irspvr aus und nahm
sie mit wohlgefälligem Schmunzeln entgegen. Zu leiden hatte man ja weiter
nichts, wenn man sein tägliches Pensum erledigte, was für die Begabtern
keine Hexerei war; die Schwächer!" freilich mußten viel nachsitzen und Stras-
arbciteu machen, bei der Versetzung war er es meistens, der ihnen das
Genick brach.


Vie Uberbiirdung

meinem Wörterbuche gestrichen, und so widerlegte ich mich selbst durch eine»
Fortschritt in der psychologische!! Erfahrung.

Immerhin ließen diese zwei Unfälle in meinem Herzen einen Stachel
zurück; ich konnte zu den beiden Lehrern, die die Strafe über mich verhängt
hatten, niemals Zuneigung fassen, wobei allerdings noch andre Gründe mit¬
wirkten. Der eine der Herren war der Mathematiker, ein guter und liebens¬
würdiger, aber reizbarer junger Mensch und damals wenigstens der Aufgabe,
die Jugend in die Geheimnisse der Mathematik einzuführen, noch nicht ge¬
wachsen. Später um eine Gewerbeschule versetzt, soll er ein sehr tüchtiger
Lehrer geworden sein. Ich ließ ihn fühle», das; ich diese Dinge trotz seiner
Erklärung verstand, er aber konnte mir nichts anhaben, weil ich der einzige
in der blasse war und beinahe blieb (mit der Zeit entwickelte sich in einem
Schüler unsers Jahrganges mathematisches Genie, und der wurde dann des
Dr. F. Liebling), der von Mathematik einen Begriff hatte. So bildete sich zwischen
uns ein Kriegsstaud aus, der bis zur Abitnrienteuprüfuug, wenn auch durch
gegenseitiges höfliches Benehmen verdeckt, unverändert fortdauerte. Bei den
schriftlichen Arbeiten für die Abgaugsprüfuug reichte mir der erwähnte Mit¬
schüler, der vor mir faß, sein Konzept zur Vergleichung der Resultate,
^r. F. erspähte es und schoß wie ein Habicht auf mich zu; ich reichte ihm
lächelnd meine eigne fertige Arbeit, und so kam er um die letzte Aussicht auf
einen Triumph.

Der andre war der Grieche, das unübertreffliche Muster eines philo¬
logischen Pedanten. Einst stand er neben mir, während ich schrieb, und ent¬
deckte einen Aeeentfehler. „Du flink-madig fauler Kerl!" brüllte er mich mit
seiner Löwenstimme an, „ich werde dir aufs Fell steigen!" Im Benehmen
nämlich hatte er nichts Pedantisches, souderu war el» ganz urwüchsiger Wilder.
Ungekämmt und ungewaschen, die uugebürsteteu Kleider gar nicht oder schief
zugeknöpft, so kam er in die Klasse gestürzt. Seine meist urkomischen Be¬
wegungen kennzeichneten sich als Wirkungen nnnbgeschwächter animalischer
Antriebe und standen nur ganz im allgemeinen unter der Oberleitung eines
zwecksetzenden vernünftigen Willens. Hatte man nur erst deu anfängliche»
Schrecken überstanden, so bildete dann die nbwechslungsvolle wunderliche Er¬
scheinung einen nie versiegenden Quell täglicher Unterhaltung; bei jedem neuen
Tableau, das er darbot, stießen wir einander, das Lachen verbeißend, leise
an, und so standen sich beide Teile gut, dem, er legte die seiner Person ge¬
widmete Aufmerksamkeit als Interesse für deu LM'nuiz irspvr aus und nahm
sie mit wohlgefälligem Schmunzeln entgegen. Zu leiden hatte man ja weiter
nichts, wenn man sein tägliches Pensum erledigte, was für die Begabtern
keine Hexerei war; die Schwächer!« freilich mußten viel nachsitzen und Stras-
arbciteu machen, bei der Versetzung war er es meistens, der ihnen das
Genick brach.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/69>, abgerufen am 25.08.2024.