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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Daseins grübelt und -- Schopenhauer liest. Ein für poetische Eindrücke
tief empfängliches Gemüt vollendet den Eindruck einer eigenartigen Persönlich¬
keit, die sich nun ganz ohne Schminke und Phrase in diesem Buche spiegelt.
Demgemäß kann auch dieses Buch mir originell sein, und es erleidet keinen
Vergleich mit frühern Reisewerken unsrer Litteratur. Manche werden viel¬
leicht an einen Vergleich mit Stanley denken, weil sich dessen rücksichtslose
Energie in Dr. Peters wiederholt. Aber nichts kann verschiedner sein als Beider
Auffassung und Stil. Stanley bis zur Unwahrheit wortreich, bombastisch,
aufdringlich, im tiefsten Grunde ungebildet; Peters die Aufrichtigkeit selbst,
fein, fast nervös in der Empfindung der Außenwelt, und dann zurückhaltend
in der Äußerung, geschichtlich und philosophisch durchgebildet. Stanley hat
vor seinen Afrikawerken nur Zeitungsartikel, Peters ein tiefgedachtes philo¬
sophisches Buch und eine Abhandlung, zur hohenstaufischen und Papstgcschichte
geschrieben. Peters findet einfache große Worte, wo Stanley seitenlange
Theaterreden dichtet. Jener "wehmütig schöne Freitag," an dem die Neera
im Nebel die Lücke in der Blockadelinie vergebens suchte, die Situation der
endlichen Landung am andern Tag: "Im Norden buchtet das Festland von
Afrika in kühnen Schlangenlinien; ein sanfter Regen rieselte nieder und hüllte
alles in ein geheimnisvolles Grau," die traurige Lage in Engatana: "So
saß ich brütend über meinem Schicksal und der Zukunft wochenlang in Engatana,
wahrend der Südwest um mein Zelt pfiff, und der Himmel aus trüben Wollen
Regenmassen auf unsre Expedition niedergoß," das öde, scheinbar altersgraue
Plateau von Leikipia: "Ein uraltes, runzliges Weib, lebensmüde und aus¬
gedörrt, bereit, lieber heute als morgen hinnnterzutauchen von neuem in den
erquickenden Abgrund des Todes," die Aschenebene am Fuße des Kenia:
"Gespensterhaft wirbelte der Wind, der von Norden über die schwarze Steppe
pfiff, Aschenmassen empor, welche gleich Gestalten der Unterwelt weithin sichtbar
über die Ebene dahinzogen. Melancholisch orgelte oder vielmehr jammerte
der Nordwind dnrch die halbverbrannten Flötenbäume eine geisterhafte Weise
zu dem Zuge dieser Aschenphautome" -- das alles zeigt eine ganz andre
Kraft und Warme als die weitausgesponneneu, absichtsvoller Naturschilderungen
Stanleys. Peters schildert die Natur gern, denn er liebt sie; aber er bedeckt
die Wände seiner Erzählung nicht mit Kolosfalbildern, sondern es sind die
wechselnden Spiegelungen der Außenwelt in seiner Seele, die er uns zeigt,
meist mehr andeutend, um die Szenerie zu veranschaulichen oder dem darum
sich rankenden Gedanken eine Stütze zu geben.

Das Buch wiederholt in seiner Eigentümlichkeit das Wesen der ungewöhn¬
lichen Expedition. Als sich zu deu Hemmungen und Verzögerungen die Beschlag¬
nahme der Güter, die die Reem zuführte, im Hafen von Lamu gesellten,
meist Tauschwaren, für die Landreise bestimmt, und die vou Sansibar nach¬
bezogenen Waren die Expedition nicht mehr erreichten, ebenso wenig wie die


Daseins grübelt und — Schopenhauer liest. Ein für poetische Eindrücke
tief empfängliches Gemüt vollendet den Eindruck einer eigenartigen Persönlich¬
keit, die sich nun ganz ohne Schminke und Phrase in diesem Buche spiegelt.
Demgemäß kann auch dieses Buch mir originell sein, und es erleidet keinen
Vergleich mit frühern Reisewerken unsrer Litteratur. Manche werden viel¬
leicht an einen Vergleich mit Stanley denken, weil sich dessen rücksichtslose
Energie in Dr. Peters wiederholt. Aber nichts kann verschiedner sein als Beider
Auffassung und Stil. Stanley bis zur Unwahrheit wortreich, bombastisch,
aufdringlich, im tiefsten Grunde ungebildet; Peters die Aufrichtigkeit selbst,
fein, fast nervös in der Empfindung der Außenwelt, und dann zurückhaltend
in der Äußerung, geschichtlich und philosophisch durchgebildet. Stanley hat
vor seinen Afrikawerken nur Zeitungsartikel, Peters ein tiefgedachtes philo¬
sophisches Buch und eine Abhandlung, zur hohenstaufischen und Papstgcschichte
geschrieben. Peters findet einfache große Worte, wo Stanley seitenlange
Theaterreden dichtet. Jener „wehmütig schöne Freitag," an dem die Neera
im Nebel die Lücke in der Blockadelinie vergebens suchte, die Situation der
endlichen Landung am andern Tag: „Im Norden buchtet das Festland von
Afrika in kühnen Schlangenlinien; ein sanfter Regen rieselte nieder und hüllte
alles in ein geheimnisvolles Grau," die traurige Lage in Engatana: „So
saß ich brütend über meinem Schicksal und der Zukunft wochenlang in Engatana,
wahrend der Südwest um mein Zelt pfiff, und der Himmel aus trüben Wollen
Regenmassen auf unsre Expedition niedergoß," das öde, scheinbar altersgraue
Plateau von Leikipia: „Ein uraltes, runzliges Weib, lebensmüde und aus¬
gedörrt, bereit, lieber heute als morgen hinnnterzutauchen von neuem in den
erquickenden Abgrund des Todes," die Aschenebene am Fuße des Kenia:
„Gespensterhaft wirbelte der Wind, der von Norden über die schwarze Steppe
pfiff, Aschenmassen empor, welche gleich Gestalten der Unterwelt weithin sichtbar
über die Ebene dahinzogen. Melancholisch orgelte oder vielmehr jammerte
der Nordwind dnrch die halbverbrannten Flötenbäume eine geisterhafte Weise
zu dem Zuge dieser Aschenphautome" — das alles zeigt eine ganz andre
Kraft und Warme als die weitausgesponneneu, absichtsvoller Naturschilderungen
Stanleys. Peters schildert die Natur gern, denn er liebt sie; aber er bedeckt
die Wände seiner Erzählung nicht mit Kolosfalbildern, sondern es sind die
wechselnden Spiegelungen der Außenwelt in seiner Seele, die er uns zeigt,
meist mehr andeutend, um die Szenerie zu veranschaulichen oder dem darum
sich rankenden Gedanken eine Stütze zu geben.

Das Buch wiederholt in seiner Eigentümlichkeit das Wesen der ungewöhn¬
lichen Expedition. Als sich zu deu Hemmungen und Verzögerungen die Beschlag¬
nahme der Güter, die die Reem zuführte, im Hafen von Lamu gesellten,
meist Tauschwaren, für die Landreise bestimmt, und die vou Sansibar nach¬
bezogenen Waren die Expedition nicht mehr erreichten, ebenso wenig wie die


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[0610] Daseins grübelt und — Schopenhauer liest. Ein für poetische Eindrücke tief empfängliches Gemüt vollendet den Eindruck einer eigenartigen Persönlich¬ keit, die sich nun ganz ohne Schminke und Phrase in diesem Buche spiegelt. Demgemäß kann auch dieses Buch mir originell sein, und es erleidet keinen Vergleich mit frühern Reisewerken unsrer Litteratur. Manche werden viel¬ leicht an einen Vergleich mit Stanley denken, weil sich dessen rücksichtslose Energie in Dr. Peters wiederholt. Aber nichts kann verschiedner sein als Beider Auffassung und Stil. Stanley bis zur Unwahrheit wortreich, bombastisch, aufdringlich, im tiefsten Grunde ungebildet; Peters die Aufrichtigkeit selbst, fein, fast nervös in der Empfindung der Außenwelt, und dann zurückhaltend in der Äußerung, geschichtlich und philosophisch durchgebildet. Stanley hat vor seinen Afrikawerken nur Zeitungsartikel, Peters ein tiefgedachtes philo¬ sophisches Buch und eine Abhandlung, zur hohenstaufischen und Papstgcschichte geschrieben. Peters findet einfache große Worte, wo Stanley seitenlange Theaterreden dichtet. Jener „wehmütig schöne Freitag," an dem die Neera im Nebel die Lücke in der Blockadelinie vergebens suchte, die Situation der endlichen Landung am andern Tag: „Im Norden buchtet das Festland von Afrika in kühnen Schlangenlinien; ein sanfter Regen rieselte nieder und hüllte alles in ein geheimnisvolles Grau," die traurige Lage in Engatana: „So saß ich brütend über meinem Schicksal und der Zukunft wochenlang in Engatana, wahrend der Südwest um mein Zelt pfiff, und der Himmel aus trüben Wollen Regenmassen auf unsre Expedition niedergoß," das öde, scheinbar altersgraue Plateau von Leikipia: „Ein uraltes, runzliges Weib, lebensmüde und aus¬ gedörrt, bereit, lieber heute als morgen hinnnterzutauchen von neuem in den erquickenden Abgrund des Todes," die Aschenebene am Fuße des Kenia: „Gespensterhaft wirbelte der Wind, der von Norden über die schwarze Steppe pfiff, Aschenmassen empor, welche gleich Gestalten der Unterwelt weithin sichtbar über die Ebene dahinzogen. Melancholisch orgelte oder vielmehr jammerte der Nordwind dnrch die halbverbrannten Flötenbäume eine geisterhafte Weise zu dem Zuge dieser Aschenphautome" — das alles zeigt eine ganz andre Kraft und Warme als die weitausgesponneneu, absichtsvoller Naturschilderungen Stanleys. Peters schildert die Natur gern, denn er liebt sie; aber er bedeckt die Wände seiner Erzählung nicht mit Kolosfalbildern, sondern es sind die wechselnden Spiegelungen der Außenwelt in seiner Seele, die er uns zeigt, meist mehr andeutend, um die Szenerie zu veranschaulichen oder dem darum sich rankenden Gedanken eine Stütze zu geben. Das Buch wiederholt in seiner Eigentümlichkeit das Wesen der ungewöhn¬ lichen Expedition. Als sich zu deu Hemmungen und Verzögerungen die Beschlag¬ nahme der Güter, die die Reem zuführte, im Hafen von Lamu gesellten, meist Tauschwaren, für die Landreise bestimmt, und die vou Sansibar nach¬ bezogenen Waren die Expedition nicht mehr erreichten, ebenso wenig wie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/610>, abgerufen am 23.07.2024.