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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdummheiten

Ein andrer, eben so gemeiner Fehler ist es, wenn man zwei Relativ¬
sätze mit einander verbindet, ohne das Relativpronomen zu wiederholen, obwohl
der eine der beiden Sätze mit dem Akkusativ, der andere mit dein Nominativ
anfangt, z. B. die diesjährige Festschrift, die G. Bötticher verfaßt hat und
von Klcinmichel mit entsprechenden Schildereien versehen worden ist -- die
Veranlassung zu dem Titel ist dem kleinen Gedicht entnommen, das man ans
S. W findet und hier angeführt sein möge. Der Fehler gehört in die große
Klasse jener Dummheiten, die dadurch entstehen, das; ein Wort gar nicht als
etwas Lebendiges, Sinn- lind Inhaltsvolles, sondern blos; als eine Reihe von
Buchstabe" angesehen wird -- also kurz gesagt: durch das Papierdeutsch. Es
giebt solche gedankenlose Zusammenziehungen der verschiedensten Art. Da ver¬
bindet einer ein aktives Plusquamperfektum mit einem hatte, das den Besitz
ausdruckt: Er hatte sich aus kleinen Verhältnissen emporgearbeitet nud wirklich
das Zeug zu einem tüchtigen Künstler -- ein andrer ein passives Plusquam¬
perfektum mit einem war, das eine Eigenschaft angiebt: er war vor kurzem
ins Dorf gezogen und ein kleiner, kugelrunder Mann, ein dritter ein
Femininum mit einem Plural: die Analyse der Gestalten und Kunst Shake¬
speares -- im Kreise seiner Gattin und Kinder -- durch ihre Thaten und
Hingebung an das Vaterland -- die Bühne, die keine Dekoration und Kulissen
kannte -- zur Erforschung vaterländischer Sprache und Altertümer --
trotz der fremdländischen Szenerie und Lebensverhältnisse u. s. w. Alle
solche Verbindungen sind Anzeichen einer so unentwickelten Logik, daß jeder
leidliche Quintaner darüber hinaussein müßte. Und doch kündigte dieser Tage
ein Universitätsprofessor einen Vortrag an über die Verbreitung und
Ursachen der Lungenschwindsucht!")

Mit Widerstreben wende ich mich von den Relativsätzen zu einigen
andern Arten von Nebensätzen. Denn was mir da zuerst entgegentritt, ist
ja die entsetzliche und geradezu schmachvolle Verwirrung, die jetzt im Deutschen
in dem Gebrauche der beiden Modi herrscht: des Indikativs und des Kon¬
junktivs. Auf nichts wird in dem Sprachunterricht unsrer höhern Schulen
so viel Zeit verwendet, wie ans die Moduslehre im Lateinischen und im
Griechischen. Wie werden die Jungen geqnült durch Spezimina und Ex¬
temporalien, jahrelang, bis sie alle Finessen in der Anwendung der lateinischen
und griechischen Modi begriffen haben! Wie viel Hunderte vou Beispielen
müssen sie dazu übersetzen! Aber in seiner ganzen Schulzeit, von der Sexta
bis hinauf zur Prima, erfährt der Junge nicht ein einzigesmal etwas Ordent¬
liches darüber, wo er in seiner Muttersprache eiuen Indikativ zu setzen habe,



Derartige Verbindungen sind nicht an ein Haar besser, als: geo- und arithmetisch,
oder: teils aus Frömmig-, teils ?um Zeitvertreib, oder: das wird mir ewig denk-
uud gegenwärtig bleiben.
Allerhand Sprachdummheiten

Ein andrer, eben so gemeiner Fehler ist es, wenn man zwei Relativ¬
sätze mit einander verbindet, ohne das Relativpronomen zu wiederholen, obwohl
der eine der beiden Sätze mit dem Akkusativ, der andere mit dein Nominativ
anfangt, z. B. die diesjährige Festschrift, die G. Bötticher verfaßt hat und
von Klcinmichel mit entsprechenden Schildereien versehen worden ist — die
Veranlassung zu dem Titel ist dem kleinen Gedicht entnommen, das man ans
S. W findet und hier angeführt sein möge. Der Fehler gehört in die große
Klasse jener Dummheiten, die dadurch entstehen, das; ein Wort gar nicht als
etwas Lebendiges, Sinn- lind Inhaltsvolles, sondern blos; als eine Reihe von
Buchstabe» angesehen wird — also kurz gesagt: durch das Papierdeutsch. Es
giebt solche gedankenlose Zusammenziehungen der verschiedensten Art. Da ver¬
bindet einer ein aktives Plusquamperfektum mit einem hatte, das den Besitz
ausdruckt: Er hatte sich aus kleinen Verhältnissen emporgearbeitet nud wirklich
das Zeug zu einem tüchtigen Künstler — ein andrer ein passives Plusquam¬
perfektum mit einem war, das eine Eigenschaft angiebt: er war vor kurzem
ins Dorf gezogen und ein kleiner, kugelrunder Mann, ein dritter ein
Femininum mit einem Plural: die Analyse der Gestalten und Kunst Shake¬
speares — im Kreise seiner Gattin und Kinder — durch ihre Thaten und
Hingebung an das Vaterland — die Bühne, die keine Dekoration und Kulissen
kannte — zur Erforschung vaterländischer Sprache und Altertümer —
trotz der fremdländischen Szenerie und Lebensverhältnisse u. s. w. Alle
solche Verbindungen sind Anzeichen einer so unentwickelten Logik, daß jeder
leidliche Quintaner darüber hinaussein müßte. Und doch kündigte dieser Tage
ein Universitätsprofessor einen Vortrag an über die Verbreitung und
Ursachen der Lungenschwindsucht!")

Mit Widerstreben wende ich mich von den Relativsätzen zu einigen
andern Arten von Nebensätzen. Denn was mir da zuerst entgegentritt, ist
ja die entsetzliche und geradezu schmachvolle Verwirrung, die jetzt im Deutschen
in dem Gebrauche der beiden Modi herrscht: des Indikativs und des Kon¬
junktivs. Auf nichts wird in dem Sprachunterricht unsrer höhern Schulen
so viel Zeit verwendet, wie ans die Moduslehre im Lateinischen und im
Griechischen. Wie werden die Jungen geqnült durch Spezimina und Ex¬
temporalien, jahrelang, bis sie alle Finessen in der Anwendung der lateinischen
und griechischen Modi begriffen haben! Wie viel Hunderte vou Beispielen
müssen sie dazu übersetzen! Aber in seiner ganzen Schulzeit, von der Sexta
bis hinauf zur Prima, erfährt der Junge nicht ein einzigesmal etwas Ordent¬
liches darüber, wo er in seiner Muttersprache eiuen Indikativ zu setzen habe,



Derartige Verbindungen sind nicht an ein Haar besser, als: geo- und arithmetisch,
oder: teils aus Frömmig-, teils ?um Zeitvertreib, oder: das wird mir ewig denk-
uud gegenwärtig bleiben.
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[0570] Allerhand Sprachdummheiten Ein andrer, eben so gemeiner Fehler ist es, wenn man zwei Relativ¬ sätze mit einander verbindet, ohne das Relativpronomen zu wiederholen, obwohl der eine der beiden Sätze mit dem Akkusativ, der andere mit dein Nominativ anfangt, z. B. die diesjährige Festschrift, die G. Bötticher verfaßt hat und von Klcinmichel mit entsprechenden Schildereien versehen worden ist — die Veranlassung zu dem Titel ist dem kleinen Gedicht entnommen, das man ans S. W findet und hier angeführt sein möge. Der Fehler gehört in die große Klasse jener Dummheiten, die dadurch entstehen, das; ein Wort gar nicht als etwas Lebendiges, Sinn- lind Inhaltsvolles, sondern blos; als eine Reihe von Buchstabe» angesehen wird — also kurz gesagt: durch das Papierdeutsch. Es giebt solche gedankenlose Zusammenziehungen der verschiedensten Art. Da ver¬ bindet einer ein aktives Plusquamperfektum mit einem hatte, das den Besitz ausdruckt: Er hatte sich aus kleinen Verhältnissen emporgearbeitet nud wirklich das Zeug zu einem tüchtigen Künstler — ein andrer ein passives Plusquam¬ perfektum mit einem war, das eine Eigenschaft angiebt: er war vor kurzem ins Dorf gezogen und ein kleiner, kugelrunder Mann, ein dritter ein Femininum mit einem Plural: die Analyse der Gestalten und Kunst Shake¬ speares — im Kreise seiner Gattin und Kinder — durch ihre Thaten und Hingebung an das Vaterland — die Bühne, die keine Dekoration und Kulissen kannte — zur Erforschung vaterländischer Sprache und Altertümer — trotz der fremdländischen Szenerie und Lebensverhältnisse u. s. w. Alle solche Verbindungen sind Anzeichen einer so unentwickelten Logik, daß jeder leidliche Quintaner darüber hinaussein müßte. Und doch kündigte dieser Tage ein Universitätsprofessor einen Vortrag an über die Verbreitung und Ursachen der Lungenschwindsucht!") Mit Widerstreben wende ich mich von den Relativsätzen zu einigen andern Arten von Nebensätzen. Denn was mir da zuerst entgegentritt, ist ja die entsetzliche und geradezu schmachvolle Verwirrung, die jetzt im Deutschen in dem Gebrauche der beiden Modi herrscht: des Indikativs und des Kon¬ junktivs. Auf nichts wird in dem Sprachunterricht unsrer höhern Schulen so viel Zeit verwendet, wie ans die Moduslehre im Lateinischen und im Griechischen. Wie werden die Jungen geqnült durch Spezimina und Ex¬ temporalien, jahrelang, bis sie alle Finessen in der Anwendung der lateinischen und griechischen Modi begriffen haben! Wie viel Hunderte vou Beispielen müssen sie dazu übersetzen! Aber in seiner ganzen Schulzeit, von der Sexta bis hinauf zur Prima, erfährt der Junge nicht ein einzigesmal etwas Ordent¬ liches darüber, wo er in seiner Muttersprache eiuen Indikativ zu setzen habe, Derartige Verbindungen sind nicht an ein Haar besser, als: geo- und arithmetisch, oder: teils aus Frömmig-, teils ?um Zeitvertreib, oder: das wird mir ewig denk- uud gegenwärtig bleiben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/570>, abgerufen am 23.07.2024.