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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Allerhand Sprachdnmmheiten

einer der härtesten Unfälle, die je das Menschengeschlecht betroffen haben --
eine der wenigen Großstädte, in denen eine solche Einrichtung noch nicht
besteht.

Ein recht gemeiner Fehler, dein man oft begegnet, ist der, daß an einen
Relativsatz ein zweiter Nebensatz mit und angeschlossen wird, worin aus dein
Relationen in das Demonstrationen oder in das Personalpronomen umgesprungen
oder sonstwie schludrig fvrtgefcihreu wird, z. B, eine Schrift, die er auf seine
kosten drucken lies; und sie umsonst nnter seinen Anhängern anstellte -- die
hochgewachsenen Distel" waren ihm so viel feindliche Köpfe, unter denen er
manchmal grausam wütete und sie mit seinein Stäbe einen nach dein andern
herunterhieb -- ein Bauer, mit dem ich über Fcuerversicherungsgesellschafteu
sprach und ihm meine Bewunderung dieser trefflichen Einrichtung ausdrückte --
an Schlüsse gab Herr W. Erläuterungen über die Vorzüge der Neuklaviatnr,
welche letztere (!) übrigens in der hiesigen Akademie für Tonkunst be¬
reits eingeführt ist und der Unterricht ans der selb eil mit bestem Erfolg
betriebe" wird -- er entwendete verschiedne Kleidungsstücke, die er zu Gelde
machte und sich dann heimlich von hier entfernte -- es geht das auch ans
dem Testamente hervor, welches ich abschriftlich beifüge und von fernern
Nachforschungen absehen z" können glaube, und ähnliches. Es ist klar, daß
hier durch und "ur gleichartige Sätze verbunden werden können. Geht also ein
Relativsatz voraus, so muß unbedingt auch ein Relativsatz folgen, die Kraft
der Nelativkonstruktion wirkt über das und hinaus fort. Es muß also in
dem ersten Beispiel heißen: und umsonst anstellte, im zweiten: und die er
heriinterhieb -- im dritte": u"d dem ich meine Bewunderung ausdrückte; in
den letzten beideu Beispielen ist der Anschluß eines Parallelsatzes überhaupt
unmöglich, weil der Begriff, auf den sich das Nelativprouomen beziehen
müßte, in dem. zweiten Satze gar nicht wiederkehrt; es kann nnr heißen:
worauf er sich heimlich entfernte -- sodaß ich absehen zu können glaube.
Nicht einmal im Gespräch sollte solche Nachlässigkeit vorkommen, geschweige
denn im schriftlichen Ausdruck. Freilich findet sie sich auch bei unsern
größten Schriftstellern, z. V. gar nicht selten bei Goethe. Aber über den Irr¬
tum muß mau doch endlich hinauskommen, daß ein Sprachfehler dadurch
gerechtfertigt werden könne, daß er sich gelegentlich auch bei großen Schrift¬
stellern findet. Ans unsern Klassikern ließe sich mit Leichtigkeit eine ganze
Grammatik des Falschen und Häßlichen zusammenstellen; deshalb bleiben sie doch
immer unsre großen Klassiker. Die Tausende und Abertausende aber, die keine
Klassiker sind und doch schreiben, die weiter nichts auszuweisen haben als ihr
bischen Technik, die alles der Sprache verdanken, die für sie "dichtet und
denkt," die haben doch allen Anlaß, mit der Sprache so sauber und gewissen¬
haft als möglich nmzugeheir. Durch Sprachsudelei allein wird noch niemand
zum Klassiker.


Gvenzlwteu I I3!>1 71
Allerhand Sprachdnmmheiten

einer der härtesten Unfälle, die je das Menschengeschlecht betroffen haben —
eine der wenigen Großstädte, in denen eine solche Einrichtung noch nicht
besteht.

Ein recht gemeiner Fehler, dein man oft begegnet, ist der, daß an einen
Relativsatz ein zweiter Nebensatz mit und angeschlossen wird, worin aus dein
Relationen in das Demonstrationen oder in das Personalpronomen umgesprungen
oder sonstwie schludrig fvrtgefcihreu wird, z. B, eine Schrift, die er auf seine
kosten drucken lies; und sie umsonst nnter seinen Anhängern anstellte — die
hochgewachsenen Distel» waren ihm so viel feindliche Köpfe, unter denen er
manchmal grausam wütete und sie mit seinein Stäbe einen nach dein andern
herunterhieb — ein Bauer, mit dem ich über Fcuerversicherungsgesellschafteu
sprach und ihm meine Bewunderung dieser trefflichen Einrichtung ausdrückte —
an Schlüsse gab Herr W. Erläuterungen über die Vorzüge der Neuklaviatnr,
welche letztere (!) übrigens in der hiesigen Akademie für Tonkunst be¬
reits eingeführt ist und der Unterricht ans der selb eil mit bestem Erfolg
betriebe» wird — er entwendete verschiedne Kleidungsstücke, die er zu Gelde
machte und sich dann heimlich von hier entfernte — es geht das auch ans
dem Testamente hervor, welches ich abschriftlich beifüge und von fernern
Nachforschungen absehen z» können glaube, und ähnliches. Es ist klar, daß
hier durch und »ur gleichartige Sätze verbunden werden können. Geht also ein
Relativsatz voraus, so muß unbedingt auch ein Relativsatz folgen, die Kraft
der Nelativkonstruktion wirkt über das und hinaus fort. Es muß also in
dem ersten Beispiel heißen: und umsonst anstellte, im zweiten: und die er
heriinterhieb — im dritte»: u»d dem ich meine Bewunderung ausdrückte; in
den letzten beideu Beispielen ist der Anschluß eines Parallelsatzes überhaupt
unmöglich, weil der Begriff, auf den sich das Nelativprouomen beziehen
müßte, in dem. zweiten Satze gar nicht wiederkehrt; es kann nnr heißen:
worauf er sich heimlich entfernte — sodaß ich absehen zu können glaube.
Nicht einmal im Gespräch sollte solche Nachlässigkeit vorkommen, geschweige
denn im schriftlichen Ausdruck. Freilich findet sie sich auch bei unsern
größten Schriftstellern, z. V. gar nicht selten bei Goethe. Aber über den Irr¬
tum muß mau doch endlich hinauskommen, daß ein Sprachfehler dadurch
gerechtfertigt werden könne, daß er sich gelegentlich auch bei großen Schrift¬
stellern findet. Ans unsern Klassikern ließe sich mit Leichtigkeit eine ganze
Grammatik des Falschen und Häßlichen zusammenstellen; deshalb bleiben sie doch
immer unsre großen Klassiker. Die Tausende und Abertausende aber, die keine
Klassiker sind und doch schreiben, die weiter nichts auszuweisen haben als ihr
bischen Technik, die alles der Sprache verdanken, die für sie „dichtet und
denkt," die haben doch allen Anlaß, mit der Sprache so sauber und gewissen¬
haft als möglich nmzugeheir. Durch Sprachsudelei allein wird noch niemand
zum Klassiker.


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[0569] Allerhand Sprachdnmmheiten einer der härtesten Unfälle, die je das Menschengeschlecht betroffen haben — eine der wenigen Großstädte, in denen eine solche Einrichtung noch nicht besteht. Ein recht gemeiner Fehler, dein man oft begegnet, ist der, daß an einen Relativsatz ein zweiter Nebensatz mit und angeschlossen wird, worin aus dein Relationen in das Demonstrationen oder in das Personalpronomen umgesprungen oder sonstwie schludrig fvrtgefcihreu wird, z. B, eine Schrift, die er auf seine kosten drucken lies; und sie umsonst nnter seinen Anhängern anstellte — die hochgewachsenen Distel» waren ihm so viel feindliche Köpfe, unter denen er manchmal grausam wütete und sie mit seinein Stäbe einen nach dein andern herunterhieb — ein Bauer, mit dem ich über Fcuerversicherungsgesellschafteu sprach und ihm meine Bewunderung dieser trefflichen Einrichtung ausdrückte — an Schlüsse gab Herr W. Erläuterungen über die Vorzüge der Neuklaviatnr, welche letztere (!) übrigens in der hiesigen Akademie für Tonkunst be¬ reits eingeführt ist und der Unterricht ans der selb eil mit bestem Erfolg betriebe» wird — er entwendete verschiedne Kleidungsstücke, die er zu Gelde machte und sich dann heimlich von hier entfernte — es geht das auch ans dem Testamente hervor, welches ich abschriftlich beifüge und von fernern Nachforschungen absehen z» können glaube, und ähnliches. Es ist klar, daß hier durch und »ur gleichartige Sätze verbunden werden können. Geht also ein Relativsatz voraus, so muß unbedingt auch ein Relativsatz folgen, die Kraft der Nelativkonstruktion wirkt über das und hinaus fort. Es muß also in dem ersten Beispiel heißen: und umsonst anstellte, im zweiten: und die er heriinterhieb — im dritte»: u»d dem ich meine Bewunderung ausdrückte; in den letzten beideu Beispielen ist der Anschluß eines Parallelsatzes überhaupt unmöglich, weil der Begriff, auf den sich das Nelativprouomen beziehen müßte, in dem. zweiten Satze gar nicht wiederkehrt; es kann nnr heißen: worauf er sich heimlich entfernte — sodaß ich absehen zu können glaube. Nicht einmal im Gespräch sollte solche Nachlässigkeit vorkommen, geschweige denn im schriftlichen Ausdruck. Freilich findet sie sich auch bei unsern größten Schriftstellern, z. V. gar nicht selten bei Goethe. Aber über den Irr¬ tum muß mau doch endlich hinauskommen, daß ein Sprachfehler dadurch gerechtfertigt werden könne, daß er sich gelegentlich auch bei großen Schrift¬ stellern findet. Ans unsern Klassikern ließe sich mit Leichtigkeit eine ganze Grammatik des Falschen und Häßlichen zusammenstellen; deshalb bleiben sie doch immer unsre großen Klassiker. Die Tausende und Abertausende aber, die keine Klassiker sind und doch schreiben, die weiter nichts auszuweisen haben als ihr bischen Technik, die alles der Sprache verdanken, die für sie „dichtet und denkt," die haben doch allen Anlaß, mit der Sprache so sauber und gewissen¬ haft als möglich nmzugeheir. Durch Sprachsudelei allein wird noch niemand zum Klassiker. Gvenzlwteu I I3!>1 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/569>, abgerufen am 23.07.2024.