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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Björnsons Ragn!

Verfolgungen zusammen. Zu spät merkt Eduard das Entsetzliche seiner Lage.
"Er selber lebte uur für das Wohl seiner Mitmenschen, er that für sie, was
in seinen Kräften stand, und uicht ein Einziger von ihnen allen war ehrlich
genug, dankbar genug, oder anch mir empört genng, um ihm zu sagen, daß
er seinen guten Namen und ^i"z> den seiner Frau, ^und^ seines Hauses Ehre
verteidigen müsse. So viel dnimner Leichtsinn! So ein weiter Spielraum
für Bosheit und selbgereiftes Urteil in dieser christlichen Gemeinde!" Er
tobt gegen die dnrch Dogmen verblendeten Gewohnheitstiere, gegen die gewissen¬
losen Seligkeitswächter, die psalmensingenden Egoisten, die kalten Gebets-
plapperer, die das beste, reinste Wesen gemordet hätten. Aber dn ist nicht
einer, zu dem er hätte gehen, den er an der Kehle packen konnte und sagen:
Dn bist es! Du sollst mir Rechenschaft geben! Es waren alle und keiner.
Sanfte Mitwisser, liebevolle Mitschuldige.

Endlich tritt ein Gesinnungswechsel ein. Des Pfarrers Knabe liegt tot-
krank. In der Verzweiflung schickt er zu Eduard. Dieser kommt und rettet das
Kind. Da endlich stürzt dem engherzigen Geistlichen sei" dogmatischer Ban
zusammen. Laut von der Kanzel herab ruft er seiner Gemeinde zu, daß er
sich auf falsche" Wegen befunden habe; nicht der Glaube sei das erste, fondern
das Leben; nicht in einem Worte, einer Formel, einem Sakramente habe
man Gott zu suchen, sondern im Leben, in dem Leben, das man aus
der Tiefe der Todesangst abgewinne, in dem, Lichtsiege, in der Hingebung,
in der Gemeinschaft der Liebenden. "Nie wieder -- sagt er -- nie wieder
will ich Menschen nach Dogmen verurteilen, die dem Gerechtigkeitssinn
einer frühern Zeit entsprechen, wenn dieser nicht gleichzeitig den Ma߬
stab der Liebe enthält, der unsrer Zeit geziemt. Niemals, so wahr
Gott lebt!"

Nach Ragnis Tode tritt zwischen dem Arzte und dem Pfarrer allmählich
eine Versöhnung ein. Ragnis Unschuld, ihr Edelsinn und ihre Tugend¬
haftigkeit werden offenbar, und Josephine, die unter der Selbstanklage und
ihren Gewissensbissen schwer zu leiden hat, weiß uicht allein den Starrsinn
ihres Gatten zu brechen, sondern auch den tiefen Groll ihres Bruders zu
versöhnen.

Die Tendenz des Romans liegt in den von Nagni stammenden Versen:


Wann wird es wirklich Morgen?
Wenn heilige Kraft dich durchziehet,
Der Sonne gleich dich durchglühet,
Und wenn dein Herz, von ihr entzündet,
Kurbel
Laut der Welt im Überschwnlle
Gut zu sein, ihm, gut für alle, alle!
Dann ist es Morgen,
Wirklich, wirklich Morgen.

Björnsons Ragn!

Verfolgungen zusammen. Zu spät merkt Eduard das Entsetzliche seiner Lage.
„Er selber lebte uur für das Wohl seiner Mitmenschen, er that für sie, was
in seinen Kräften stand, und uicht ein Einziger von ihnen allen war ehrlich
genug, dankbar genug, oder anch mir empört genng, um ihm zu sagen, daß
er seinen guten Namen und ^i«z> den seiner Frau, ^und^ seines Hauses Ehre
verteidigen müsse. So viel dnimner Leichtsinn! So ein weiter Spielraum
für Bosheit und selbgereiftes Urteil in dieser christlichen Gemeinde!" Er
tobt gegen die dnrch Dogmen verblendeten Gewohnheitstiere, gegen die gewissen¬
losen Seligkeitswächter, die psalmensingenden Egoisten, die kalten Gebets-
plapperer, die das beste, reinste Wesen gemordet hätten. Aber dn ist nicht
einer, zu dem er hätte gehen, den er an der Kehle packen konnte und sagen:
Dn bist es! Du sollst mir Rechenschaft geben! Es waren alle und keiner.
Sanfte Mitwisser, liebevolle Mitschuldige.

Endlich tritt ein Gesinnungswechsel ein. Des Pfarrers Knabe liegt tot-
krank. In der Verzweiflung schickt er zu Eduard. Dieser kommt und rettet das
Kind. Da endlich stürzt dem engherzigen Geistlichen sei» dogmatischer Ban
zusammen. Laut von der Kanzel herab ruft er seiner Gemeinde zu, daß er
sich auf falsche» Wegen befunden habe; nicht der Glaube sei das erste, fondern
das Leben; nicht in einem Worte, einer Formel, einem Sakramente habe
man Gott zu suchen, sondern im Leben, in dem Leben, das man aus
der Tiefe der Todesangst abgewinne, in dem, Lichtsiege, in der Hingebung,
in der Gemeinschaft der Liebenden. „Nie wieder — sagt er — nie wieder
will ich Menschen nach Dogmen verurteilen, die dem Gerechtigkeitssinn
einer frühern Zeit entsprechen, wenn dieser nicht gleichzeitig den Ma߬
stab der Liebe enthält, der unsrer Zeit geziemt. Niemals, so wahr
Gott lebt!"

Nach Ragnis Tode tritt zwischen dem Arzte und dem Pfarrer allmählich
eine Versöhnung ein. Ragnis Unschuld, ihr Edelsinn und ihre Tugend¬
haftigkeit werden offenbar, und Josephine, die unter der Selbstanklage und
ihren Gewissensbissen schwer zu leiden hat, weiß uicht allein den Starrsinn
ihres Gatten zu brechen, sondern auch den tiefen Groll ihres Bruders zu
versöhnen.

Die Tendenz des Romans liegt in den von Nagni stammenden Versen:


Wann wird es wirklich Morgen?
Wenn heilige Kraft dich durchziehet,
Der Sonne gleich dich durchglühet,
Und wenn dein Herz, von ihr entzündet,
Kurbel
Laut der Welt im Überschwnlle
Gut zu sein, ihm, gut für alle, alle!
Dann ist es Morgen,
Wirklich, wirklich Morgen.

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[0562] Björnsons Ragn! Verfolgungen zusammen. Zu spät merkt Eduard das Entsetzliche seiner Lage. „Er selber lebte uur für das Wohl seiner Mitmenschen, er that für sie, was in seinen Kräften stand, und uicht ein Einziger von ihnen allen war ehrlich genug, dankbar genug, oder anch mir empört genng, um ihm zu sagen, daß er seinen guten Namen und ^i«z> den seiner Frau, ^und^ seines Hauses Ehre verteidigen müsse. So viel dnimner Leichtsinn! So ein weiter Spielraum für Bosheit und selbgereiftes Urteil in dieser christlichen Gemeinde!" Er tobt gegen die dnrch Dogmen verblendeten Gewohnheitstiere, gegen die gewissen¬ losen Seligkeitswächter, die psalmensingenden Egoisten, die kalten Gebets- plapperer, die das beste, reinste Wesen gemordet hätten. Aber dn ist nicht einer, zu dem er hätte gehen, den er an der Kehle packen konnte und sagen: Dn bist es! Du sollst mir Rechenschaft geben! Es waren alle und keiner. Sanfte Mitwisser, liebevolle Mitschuldige. Endlich tritt ein Gesinnungswechsel ein. Des Pfarrers Knabe liegt tot- krank. In der Verzweiflung schickt er zu Eduard. Dieser kommt und rettet das Kind. Da endlich stürzt dem engherzigen Geistlichen sei» dogmatischer Ban zusammen. Laut von der Kanzel herab ruft er seiner Gemeinde zu, daß er sich auf falsche» Wegen befunden habe; nicht der Glaube sei das erste, fondern das Leben; nicht in einem Worte, einer Formel, einem Sakramente habe man Gott zu suchen, sondern im Leben, in dem Leben, das man aus der Tiefe der Todesangst abgewinne, in dem, Lichtsiege, in der Hingebung, in der Gemeinschaft der Liebenden. „Nie wieder — sagt er — nie wieder will ich Menschen nach Dogmen verurteilen, die dem Gerechtigkeitssinn einer frühern Zeit entsprechen, wenn dieser nicht gleichzeitig den Ma߬ stab der Liebe enthält, der unsrer Zeit geziemt. Niemals, so wahr Gott lebt!" Nach Ragnis Tode tritt zwischen dem Arzte und dem Pfarrer allmählich eine Versöhnung ein. Ragnis Unschuld, ihr Edelsinn und ihre Tugend¬ haftigkeit werden offenbar, und Josephine, die unter der Selbstanklage und ihren Gewissensbissen schwer zu leiden hat, weiß uicht allein den Starrsinn ihres Gatten zu brechen, sondern auch den tiefen Groll ihres Bruders zu versöhnen. Die Tendenz des Romans liegt in den von Nagni stammenden Versen: Wann wird es wirklich Morgen? Wenn heilige Kraft dich durchziehet, Der Sonne gleich dich durchglühet, Und wenn dein Herz, von ihr entzündet, Kurbel Laut der Welt im Überschwnlle Gut zu sein, ihm, gut für alle, alle! Dann ist es Morgen, Wirklich, wirklich Morgen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/562>, abgerufen am 24.07.2024.