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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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umfassende" Wissens als tiefer und veredelnder Seeleuerfnhruugen; sie sindet
sich daher auch bei ungelehrten Leuten, namentlich bei Frauen, ja sie kaun
sogar äußerliche Maske sein oder ein Gemisch vieler verschiedner Masken, une
bei großen Schauspielern.

Zu einem ähnlichen Ergebnis sind wir auf einem andern Gebiete gelaugt,
das mit der Vergeistigung nicht zusammenfällt, aber innig mit ihr verwebt
ist, ans dem der Sittlichkeit. In einer Untersuchung des sittliche" Fortschritts
(Grenzboten 1800, Ur. gelangten nur zu dem Ergebnis, dieser Fortschritt
bestehe in dein wachsenden Reichtum der sittlichen Erscheinungen. Außerdem
darf noch in zweifacher Beziehung von einem Fortschritt der Sittlichkeit ge¬
sprochen werden. Erstens ist es Pflicht jedes einzelnen Menschen, sittlich
fortzuschreiten, zweitens hat jede Zeit für sich jene Hindernisse wegzuräumen,
die der Entfaltung der Sittlichkeit im Wege stehen, unbekümmert darum, daß
sich vielleicht gleichzeitig, ohne und gegen die Absicht der Gesetzgeber, Regenten
nud Erzieher, andre Hindernisse aufhäufen; das kommende Geschlecht will
auch etwas zu thun finden.

Damit sind wir dem Sinn der Weltgeschichte schon ganz nahe gekommen.




Björnsons Ragni

WK
^ _er noch an der Macht der litterarischen Reklame gezweifelt hätte,
der wird zu andrer Ansicht gekommen sein, seitdem die norwegische
Litteratur der Gegenwart, insbesondre die Werke Ibsens und
Gjörsvns, mich Deutschland gekommen sind und hier im umge-
Berhältnis zu ihrem wahren Werte mit stetig wachsender
Bewunderung begrüßt werden. Die kritischen Valkeutreter, geführt von dem
Machtspruch eines Georg Morris Cohen Brandes, an den sich Juden und
Judengenossen anzuschließen Pflegen, haben es wirklich fertig gebracht, daß
die uäseludeu Töne und die gurgelnden Akkorde dieser registerarmen norwegischen
Orgel in Deutschland wie eine weltbewegende Zukunftsmusik erbrausen, daß
selbst die geistlosesten und erbärmlichsten Machwerke, wenn sie uur ans dem
Norden stammen, wie klassische Offenbarungen gottbegnndeter Geister, wie
gewaltige Oratorien einer modernen Vernunftsreligion, wie bahnbrechende
Kunstwerke einer neuen Geistesentwicklung von der nrteilsurmen und geschmack¬
losen Masse aufgenommen werden.


umfassende» Wissens als tiefer und veredelnder Seeleuerfnhruugen; sie sindet
sich daher auch bei ungelehrten Leuten, namentlich bei Frauen, ja sie kaun
sogar äußerliche Maske sein oder ein Gemisch vieler verschiedner Masken, une
bei großen Schauspielern.

Zu einem ähnlichen Ergebnis sind wir auf einem andern Gebiete gelaugt,
das mit der Vergeistigung nicht zusammenfällt, aber innig mit ihr verwebt
ist, ans dem der Sittlichkeit. In einer Untersuchung des sittliche» Fortschritts
(Grenzboten 1800, Ur. gelangten nur zu dem Ergebnis, dieser Fortschritt
bestehe in dein wachsenden Reichtum der sittlichen Erscheinungen. Außerdem
darf noch in zweifacher Beziehung von einem Fortschritt der Sittlichkeit ge¬
sprochen werden. Erstens ist es Pflicht jedes einzelnen Menschen, sittlich
fortzuschreiten, zweitens hat jede Zeit für sich jene Hindernisse wegzuräumen,
die der Entfaltung der Sittlichkeit im Wege stehen, unbekümmert darum, daß
sich vielleicht gleichzeitig, ohne und gegen die Absicht der Gesetzgeber, Regenten
nud Erzieher, andre Hindernisse aufhäufen; das kommende Geschlecht will
auch etwas zu thun finden.

Damit sind wir dem Sinn der Weltgeschichte schon ganz nahe gekommen.




Björnsons Ragni

WK
^ _er noch an der Macht der litterarischen Reklame gezweifelt hätte,
der wird zu andrer Ansicht gekommen sein, seitdem die norwegische
Litteratur der Gegenwart, insbesondre die Werke Ibsens und
Gjörsvns, mich Deutschland gekommen sind und hier im umge-
Berhältnis zu ihrem wahren Werte mit stetig wachsender
Bewunderung begrüßt werden. Die kritischen Valkeutreter, geführt von dem
Machtspruch eines Georg Morris Cohen Brandes, an den sich Juden und
Judengenossen anzuschließen Pflegen, haben es wirklich fertig gebracht, daß
die uäseludeu Töne und die gurgelnden Akkorde dieser registerarmen norwegischen
Orgel in Deutschland wie eine weltbewegende Zukunftsmusik erbrausen, daß
selbst die geistlosesten und erbärmlichsten Machwerke, wenn sie uur ans dem
Norden stammen, wie klassische Offenbarungen gottbegnndeter Geister, wie
gewaltige Oratorien einer modernen Vernunftsreligion, wie bahnbrechende
Kunstwerke einer neuen Geistesentwicklung von der nrteilsurmen und geschmack¬
losen Masse aufgenommen werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/556>, abgerufen am 02.07.2024.