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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Mie ist der deutschen Landivirtschaft z" lzelfen?

ersprießlich, als er dem oberflächlichen Blick erscheinen mag. Die erhöhten
Preise der landwirtschaftlichen Erzeugnisse bezahlen die nichtlandwirtschaftlichen
Verbraucher. Da entsteht nun die Frage, wer der Nationalwirtschaft, als
Einheit betrachtet, ein größeres Opfer zumute: die Landwirtschaft mit den
hohen Preisen, die ihr der Staat künstlich verschafft und deren erzwungene
Entrichtung alle andern Gewerbe in ihrer natürlichen Entfaltung hemmt, oder
die andern Gewerbe, wenn sie verlangen, daß die Landwirtschaft bei den so¬
genannten natürlichem Preisen auf ihre Kosten zu kommen suche. Freilich
könne sie dann, wie man bereitwillig zugiebt, keinen Herrenstand ernähren,
der nicht arbeitet, bloß dem Luxus fröhnt und nebenbei sich dazu herbeiläßt,
die besten Stellen im Staate für seine Mitglieder zu beanspruchen.

Wir wollen die zuletzt genannten Vorwürfe hier nicht auf ihre richtigen
Grenzen zurückführen, die man finden muß, um wahr zu sein. Aber daß die
Vorwürfe ausgesprochen werden und sehr verbreitet sind, genügt, nur zu be¬
weisen, daß die Schutzzölle ein rohes und gefährliches Mittel sind. Um ge¬
rechte Schutzzölle einzuführen, müßte man festgestellt haben, wieviel die Land¬
wirtschaft zur Aufbringung ihrer Kosten bedarf, zu denen der angemessene
Lebensunterhalt ihrer Bernfspsleger gehört. Nach welchem Maßstabe soll das
aber geschehen? Darüber würde man sich niemals einigen. Sehr dreist und
unvorsichtig hat man bei Einführung der landwirtschaftlichen Zölle den alten
Ruf erneuert: Hat der Bauer Geld, hats die ganze Welt. Das war richtig
in der längst entschwundenen Zeit, wo Deutschland ein getreideansführendes
Land war, und wo der deutsche Kunstfleiß von den Abnehmern lebte, die er
bei der Landwirtschaft fand, die mittels der Ausfuhr einen großen Überschuß
ihrer Wirtschaftskräften erzielte. Die Sache ist aber längst umgekehrt: der
Wohlstand Deutschlands beruht auf der Ausfuhr von Erzengnissen seines
Kunstfleißes, und die Landwirtschaft lebt im großen und ganzen von dein Ver¬
brauche der kuuftfleißigeu Bevölkerung. Auf der Entwicklung des Kunstfleißes
beruht auch die Zukunft Deutschlands. Denn das alte Rieardvsche Gesetz von
der Zunahme der Lebensmittelerzeuguisse im arithmetischen Verhältnis, während
die Bevölkerungszunahme jedenfalls in viel stärkeren Verhältnis erfolgen sollte,
war unbedingt richtig für den beschränkten Umfang, für den es aufgestellt
war. Heute werden in der Welt mehr Nahrungsmittel erzeugt, als lohnend
verkauft werdeu können. Die Ursache dieser seltsamen Erscheinung, die eine
sehr zusammengesetzte ist, kann uns hier nicht beschäftigen. Genug, daß
Deutschland kein getreiveausführendes Land mehr sein kaun, so lange uicht
etwa die unerwartetsten Naturveränderungen vor sich gehen. Wir müssen also
sehen, was uns der Kunstfleiß bringt, müssen für diesen womöglich sichere
Märkte suchen. Natürlich dürfen wir uicht, wie manche Freihändler schon
vorgeschlagen haben, unsre Landwirtschaft zu Grunde gehen lassen, weil
schließlich die Nahrungsmittelstoffe überall billiger zu haben seien, als bei uns.


Mie ist der deutschen Landivirtschaft z» lzelfen?

ersprießlich, als er dem oberflächlichen Blick erscheinen mag. Die erhöhten
Preise der landwirtschaftlichen Erzeugnisse bezahlen die nichtlandwirtschaftlichen
Verbraucher. Da entsteht nun die Frage, wer der Nationalwirtschaft, als
Einheit betrachtet, ein größeres Opfer zumute: die Landwirtschaft mit den
hohen Preisen, die ihr der Staat künstlich verschafft und deren erzwungene
Entrichtung alle andern Gewerbe in ihrer natürlichen Entfaltung hemmt, oder
die andern Gewerbe, wenn sie verlangen, daß die Landwirtschaft bei den so¬
genannten natürlichem Preisen auf ihre Kosten zu kommen suche. Freilich
könne sie dann, wie man bereitwillig zugiebt, keinen Herrenstand ernähren,
der nicht arbeitet, bloß dem Luxus fröhnt und nebenbei sich dazu herbeiläßt,
die besten Stellen im Staate für seine Mitglieder zu beanspruchen.

Wir wollen die zuletzt genannten Vorwürfe hier nicht auf ihre richtigen
Grenzen zurückführen, die man finden muß, um wahr zu sein. Aber daß die
Vorwürfe ausgesprochen werden und sehr verbreitet sind, genügt, nur zu be¬
weisen, daß die Schutzzölle ein rohes und gefährliches Mittel sind. Um ge¬
rechte Schutzzölle einzuführen, müßte man festgestellt haben, wieviel die Land¬
wirtschaft zur Aufbringung ihrer Kosten bedarf, zu denen der angemessene
Lebensunterhalt ihrer Bernfspsleger gehört. Nach welchem Maßstabe soll das
aber geschehen? Darüber würde man sich niemals einigen. Sehr dreist und
unvorsichtig hat man bei Einführung der landwirtschaftlichen Zölle den alten
Ruf erneuert: Hat der Bauer Geld, hats die ganze Welt. Das war richtig
in der längst entschwundenen Zeit, wo Deutschland ein getreideansführendes
Land war, und wo der deutsche Kunstfleiß von den Abnehmern lebte, die er
bei der Landwirtschaft fand, die mittels der Ausfuhr einen großen Überschuß
ihrer Wirtschaftskräften erzielte. Die Sache ist aber längst umgekehrt: der
Wohlstand Deutschlands beruht auf der Ausfuhr von Erzengnissen seines
Kunstfleißes, und die Landwirtschaft lebt im großen und ganzen von dein Ver¬
brauche der kuuftfleißigeu Bevölkerung. Auf der Entwicklung des Kunstfleißes
beruht auch die Zukunft Deutschlands. Denn das alte Rieardvsche Gesetz von
der Zunahme der Lebensmittelerzeuguisse im arithmetischen Verhältnis, während
die Bevölkerungszunahme jedenfalls in viel stärkeren Verhältnis erfolgen sollte,
war unbedingt richtig für den beschränkten Umfang, für den es aufgestellt
war. Heute werden in der Welt mehr Nahrungsmittel erzeugt, als lohnend
verkauft werdeu können. Die Ursache dieser seltsamen Erscheinung, die eine
sehr zusammengesetzte ist, kann uns hier nicht beschäftigen. Genug, daß
Deutschland kein getreiveausführendes Land mehr sein kaun, so lange uicht
etwa die unerwartetsten Naturveränderungen vor sich gehen. Wir müssen also
sehen, was uns der Kunstfleiß bringt, müssen für diesen womöglich sichere
Märkte suchen. Natürlich dürfen wir uicht, wie manche Freihändler schon
vorgeschlagen haben, unsre Landwirtschaft zu Grunde gehen lassen, weil
schließlich die Nahrungsmittelstoffe überall billiger zu haben seien, als bei uns.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/541>, abgerufen am 23.07.2024.