Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ivie ist der deutschen Landwirtschaft zu helfen?

Aufgabe nicht erklären, aber allerdings hängt die Lösbarkeit ab von einer
gesunden und harmonischen Beschaffenheit aller Kulturbediugnngen. Daraus
kann zwar nicht folgen, daß alle verwandten Aufgaben der Gesetzgebung mit
einem male gelöst werden mußten, wohl aber, daß der Gesetzgeber einen ein¬
heitlichen Plan für die Lösung aller Aufgaben vor Augen haben muß.

Was wir als das zunächst anwendbare Mittel vor Augen haben, ist
bereits von Schäffle vorgeschlagen worden, aber in seiner verzwickten, schola¬
stischen, weitschweifigen Weise, sodaß der Vorschlag, wie es scheint, gar nicht
verstanden worden ist. Wir selbst sind übrigens auch nicht sicher, ob wir
Schäffle richtig verstanden haben. Darauf kommt aber wenig an, wenn nur
der Vorschlag brauchbar und in sich verständlich gefunden wird, gleichviel,
wem das geistige Eigentum gebührt.

Wir schlagen also Genossenschaften ländlicher Grundbesitzer vor von einiger¬
maßen gleichartigem Besitzumfang der Teilnehmer. Wer einer solchen Genossen¬
schaft angehört, der darf Kredit nnr suchen durch die Vermittlung der Genossen¬
schaft. Urteile die Genossenschaft oder der beauftragte Vorstand, daß das Gut
schon zu belastet sei, um weitere Lasten zu ertragen, so ist sie berechtigt,
das Gilt abschätzen zu lassen und den Besitzer zu enteignen gegen Übernahme der
auf dem Gute ruhenden Last und gegen Herauszahlnng des etwa die Belastung
übersteigenden Wertes. Die Genossenschaft ist dann berechtigt, einen neuen
Besitzer zu suchen, oder das Gut in Verwaltung zu nehme", oder es auch unter
die Glieder der Genossenschaft, aber nnr mit Genehmigung einer staatlichen
Aufsichtsbehörde, zu teilen. Wird das Gut einem Käufer überlasse", so muß
dieser in die Genossenschaft eintreten und die erforderlichen Bürgschaften bieten,
daß er kein Spekulationskänfer ist, d. h. nicht ausgeht auf schädliche Parzel-
lirung, auf Bodenverwüstung u. s. w. Auf diese Weise, scheint uns, konnte
der Vesitzwechsel ermöglicht und doch den Übeln abgeholfen werden, die ihn bei
ganz ungehemmter Entfaltung fast unvermeidlich begleiten.

Wir wenden uns nun zu dem Hanptbedürfnis der Landwirtschaft, das in
dem Schutze besteht gegen unberechenbare Preisschwanknngen oder dauernd
so niedrige Preise, daß der Betrieb der Landwirtschaft nicht mehr lohnt. Das
Mittel scheint ungeheuer einfach zu sein: man macht eben so lauge Schutzzölle,
bis man solche Preise hat, bei denen die Landwirtschaft bestehen kann. Es
ist aber mit diesem ungeheuer einfache" Mittel eine gar eigne Sache. An¬
wendbar ist es ja überhaupt nur in Ländern, deren Getreideerzengung und
Viehzucht deu heimischen Bedarf nicht deckt. Legt mau auf die Einführung
dieser Erzeugnisse einen hohen Zoll, so können die inländischen Erzeuger ihren
Preis so hoch stellen, als der des eingeführten Erzeugnisses durch den Zoll
und die Herschaffungskosten werden muß, oder sie können anch, um ihren
Absatz sicher zu erreichen, ihren Preis gegenüber den eingeführte" Artikeln
etwas niedriger stellen. Allein dieser Zustand ist weder so angenehm noch so


Ivie ist der deutschen Landwirtschaft zu helfen?

Aufgabe nicht erklären, aber allerdings hängt die Lösbarkeit ab von einer
gesunden und harmonischen Beschaffenheit aller Kulturbediugnngen. Daraus
kann zwar nicht folgen, daß alle verwandten Aufgaben der Gesetzgebung mit
einem male gelöst werden mußten, wohl aber, daß der Gesetzgeber einen ein¬
heitlichen Plan für die Lösung aller Aufgaben vor Augen haben muß.

Was wir als das zunächst anwendbare Mittel vor Augen haben, ist
bereits von Schäffle vorgeschlagen worden, aber in seiner verzwickten, schola¬
stischen, weitschweifigen Weise, sodaß der Vorschlag, wie es scheint, gar nicht
verstanden worden ist. Wir selbst sind übrigens auch nicht sicher, ob wir
Schäffle richtig verstanden haben. Darauf kommt aber wenig an, wenn nur
der Vorschlag brauchbar und in sich verständlich gefunden wird, gleichviel,
wem das geistige Eigentum gebührt.

Wir schlagen also Genossenschaften ländlicher Grundbesitzer vor von einiger¬
maßen gleichartigem Besitzumfang der Teilnehmer. Wer einer solchen Genossen¬
schaft angehört, der darf Kredit nnr suchen durch die Vermittlung der Genossen¬
schaft. Urteile die Genossenschaft oder der beauftragte Vorstand, daß das Gut
schon zu belastet sei, um weitere Lasten zu ertragen, so ist sie berechtigt,
das Gilt abschätzen zu lassen und den Besitzer zu enteignen gegen Übernahme der
auf dem Gute ruhenden Last und gegen Herauszahlnng des etwa die Belastung
übersteigenden Wertes. Die Genossenschaft ist dann berechtigt, einen neuen
Besitzer zu suchen, oder das Gut in Verwaltung zu nehme», oder es auch unter
die Glieder der Genossenschaft, aber nnr mit Genehmigung einer staatlichen
Aufsichtsbehörde, zu teilen. Wird das Gut einem Käufer überlasse», so muß
dieser in die Genossenschaft eintreten und die erforderlichen Bürgschaften bieten,
daß er kein Spekulationskänfer ist, d. h. nicht ausgeht auf schädliche Parzel-
lirung, auf Bodenverwüstung u. s. w. Auf diese Weise, scheint uns, konnte
der Vesitzwechsel ermöglicht und doch den Übeln abgeholfen werden, die ihn bei
ganz ungehemmter Entfaltung fast unvermeidlich begleiten.

Wir wenden uns nun zu dem Hanptbedürfnis der Landwirtschaft, das in
dem Schutze besteht gegen unberechenbare Preisschwanknngen oder dauernd
so niedrige Preise, daß der Betrieb der Landwirtschaft nicht mehr lohnt. Das
Mittel scheint ungeheuer einfach zu sein: man macht eben so lauge Schutzzölle,
bis man solche Preise hat, bei denen die Landwirtschaft bestehen kann. Es
ist aber mit diesem ungeheuer einfache» Mittel eine gar eigne Sache. An¬
wendbar ist es ja überhaupt nur in Ländern, deren Getreideerzengung und
Viehzucht deu heimischen Bedarf nicht deckt. Legt mau auf die Einführung
dieser Erzeugnisse einen hohen Zoll, so können die inländischen Erzeuger ihren
Preis so hoch stellen, als der des eingeführten Erzeugnisses durch den Zoll
und die Herschaffungskosten werden muß, oder sie können anch, um ihren
Absatz sicher zu erreichen, ihren Preis gegenüber den eingeführte» Artikeln
etwas niedriger stellen. Allein dieser Zustand ist weder so angenehm noch so


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0540" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209773"/>
          <fw type="header" place="top"> Ivie ist der deutschen Landwirtschaft zu helfen?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1512" prev="#ID_1511"> Aufgabe nicht erklären, aber allerdings hängt die Lösbarkeit ab von einer<lb/>
gesunden und harmonischen Beschaffenheit aller Kulturbediugnngen. Daraus<lb/>
kann zwar nicht folgen, daß alle verwandten Aufgaben der Gesetzgebung mit<lb/>
einem male gelöst werden mußten, wohl aber, daß der Gesetzgeber einen ein¬<lb/>
heitlichen Plan für die Lösung aller Aufgaben vor Augen haben muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1513"> Was wir als das zunächst anwendbare Mittel vor Augen haben, ist<lb/>
bereits von Schäffle vorgeschlagen worden, aber in seiner verzwickten, schola¬<lb/>
stischen, weitschweifigen Weise, sodaß der Vorschlag, wie es scheint, gar nicht<lb/>
verstanden worden ist. Wir selbst sind übrigens auch nicht sicher, ob wir<lb/>
Schäffle richtig verstanden haben. Darauf kommt aber wenig an, wenn nur<lb/>
der Vorschlag brauchbar und in sich verständlich gefunden wird, gleichviel,<lb/>
wem das geistige Eigentum gebührt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1514"> Wir schlagen also Genossenschaften ländlicher Grundbesitzer vor von einiger¬<lb/>
maßen gleichartigem Besitzumfang der Teilnehmer. Wer einer solchen Genossen¬<lb/>
schaft angehört, der darf Kredit nnr suchen durch die Vermittlung der Genossen¬<lb/>
schaft. Urteile die Genossenschaft oder der beauftragte Vorstand, daß das Gut<lb/>
schon zu belastet sei, um weitere Lasten zu ertragen, so ist sie berechtigt,<lb/>
das Gilt abschätzen zu lassen und den Besitzer zu enteignen gegen Übernahme der<lb/>
auf dem Gute ruhenden Last und gegen Herauszahlnng des etwa die Belastung<lb/>
übersteigenden Wertes. Die Genossenschaft ist dann berechtigt, einen neuen<lb/>
Besitzer zu suchen, oder das Gut in Verwaltung zu nehme», oder es auch unter<lb/>
die Glieder der Genossenschaft, aber nnr mit Genehmigung einer staatlichen<lb/>
Aufsichtsbehörde, zu teilen. Wird das Gut einem Käufer überlasse», so muß<lb/>
dieser in die Genossenschaft eintreten und die erforderlichen Bürgschaften bieten,<lb/>
daß er kein Spekulationskänfer ist, d. h. nicht ausgeht auf schädliche Parzel-<lb/>
lirung, auf Bodenverwüstung u. s. w. Auf diese Weise, scheint uns, konnte<lb/>
der Vesitzwechsel ermöglicht und doch den Übeln abgeholfen werden, die ihn bei<lb/>
ganz ungehemmter Entfaltung fast unvermeidlich begleiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1515" next="#ID_1516"> Wir wenden uns nun zu dem Hanptbedürfnis der Landwirtschaft, das in<lb/>
dem Schutze besteht gegen unberechenbare Preisschwanknngen oder dauernd<lb/>
so niedrige Preise, daß der Betrieb der Landwirtschaft nicht mehr lohnt. Das<lb/>
Mittel scheint ungeheuer einfach zu sein: man macht eben so lauge Schutzzölle,<lb/>
bis man solche Preise hat, bei denen die Landwirtschaft bestehen kann. Es<lb/>
ist aber mit diesem ungeheuer einfache» Mittel eine gar eigne Sache. An¬<lb/>
wendbar ist es ja überhaupt nur in Ländern, deren Getreideerzengung und<lb/>
Viehzucht deu heimischen Bedarf nicht deckt. Legt mau auf die Einführung<lb/>
dieser Erzeugnisse einen hohen Zoll, so können die inländischen Erzeuger ihren<lb/>
Preis so hoch stellen, als der des eingeführten Erzeugnisses durch den Zoll<lb/>
und die Herschaffungskosten werden muß, oder sie können anch, um ihren<lb/>
Absatz sicher zu erreichen, ihren Preis gegenüber den eingeführte» Artikeln<lb/>
etwas niedriger stellen.  Allein dieser Zustand ist weder so angenehm noch so</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0540] Ivie ist der deutschen Landwirtschaft zu helfen? Aufgabe nicht erklären, aber allerdings hängt die Lösbarkeit ab von einer gesunden und harmonischen Beschaffenheit aller Kulturbediugnngen. Daraus kann zwar nicht folgen, daß alle verwandten Aufgaben der Gesetzgebung mit einem male gelöst werden mußten, wohl aber, daß der Gesetzgeber einen ein¬ heitlichen Plan für die Lösung aller Aufgaben vor Augen haben muß. Was wir als das zunächst anwendbare Mittel vor Augen haben, ist bereits von Schäffle vorgeschlagen worden, aber in seiner verzwickten, schola¬ stischen, weitschweifigen Weise, sodaß der Vorschlag, wie es scheint, gar nicht verstanden worden ist. Wir selbst sind übrigens auch nicht sicher, ob wir Schäffle richtig verstanden haben. Darauf kommt aber wenig an, wenn nur der Vorschlag brauchbar und in sich verständlich gefunden wird, gleichviel, wem das geistige Eigentum gebührt. Wir schlagen also Genossenschaften ländlicher Grundbesitzer vor von einiger¬ maßen gleichartigem Besitzumfang der Teilnehmer. Wer einer solchen Genossen¬ schaft angehört, der darf Kredit nnr suchen durch die Vermittlung der Genossen¬ schaft. Urteile die Genossenschaft oder der beauftragte Vorstand, daß das Gut schon zu belastet sei, um weitere Lasten zu ertragen, so ist sie berechtigt, das Gilt abschätzen zu lassen und den Besitzer zu enteignen gegen Übernahme der auf dem Gute ruhenden Last und gegen Herauszahlnng des etwa die Belastung übersteigenden Wertes. Die Genossenschaft ist dann berechtigt, einen neuen Besitzer zu suchen, oder das Gut in Verwaltung zu nehme», oder es auch unter die Glieder der Genossenschaft, aber nnr mit Genehmigung einer staatlichen Aufsichtsbehörde, zu teilen. Wird das Gut einem Käufer überlasse», so muß dieser in die Genossenschaft eintreten und die erforderlichen Bürgschaften bieten, daß er kein Spekulationskänfer ist, d. h. nicht ausgeht auf schädliche Parzel- lirung, auf Bodenverwüstung u. s. w. Auf diese Weise, scheint uns, konnte der Vesitzwechsel ermöglicht und doch den Übeln abgeholfen werden, die ihn bei ganz ungehemmter Entfaltung fast unvermeidlich begleiten. Wir wenden uns nun zu dem Hanptbedürfnis der Landwirtschaft, das in dem Schutze besteht gegen unberechenbare Preisschwanknngen oder dauernd so niedrige Preise, daß der Betrieb der Landwirtschaft nicht mehr lohnt. Das Mittel scheint ungeheuer einfach zu sein: man macht eben so lauge Schutzzölle, bis man solche Preise hat, bei denen die Landwirtschaft bestehen kann. Es ist aber mit diesem ungeheuer einfache» Mittel eine gar eigne Sache. An¬ wendbar ist es ja überhaupt nur in Ländern, deren Getreideerzengung und Viehzucht deu heimischen Bedarf nicht deckt. Legt mau auf die Einführung dieser Erzeugnisse einen hohen Zoll, so können die inländischen Erzeuger ihren Preis so hoch stellen, als der des eingeführten Erzeugnisses durch den Zoll und die Herschaffungskosten werden muß, oder sie können anch, um ihren Absatz sicher zu erreichen, ihren Preis gegenüber den eingeführte» Artikeln etwas niedriger stellen. Allein dieser Zustand ist weder so angenehm noch so

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/540
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/540>, abgerufen am 23.07.2024.