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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Mach die Probe!
Deinem Lobe
kannst dn dennoch nicht entgeh";
Denn du bist und bleibest schön.
Doch willst du mehr Glanz und Schimmer,
O, laß dich hinfort und immer
Ohne schwarze Flecke sehn.

Von dieser Zeit an beginnt, wohl zunächst bei dem jungen Geschlechte,
der Glaube an die verschönernde Kraft des Schminkpflüsterchens zu wanken,
bis sich dann gegen das Ende der siebziger Jahre die völlige Lossagung von
dem Erbteil einer innerlich überwundenen Zeit vollzog. Doch ist die Musche
nicht wie das Gemeine klanglos zum Orkus hinabgezogen. Bei ihrem Scheiden
strahlt sie noch in dem Spätrot poetischer Verklärung. Wieland im "Neuen
Amadis" bringt ihr die letzte Huldigung (1773). Im zweiten Gesänge wird
die schöne Kolifischon geschildert. Alls die Nachricht von der Ankunft eines
fremden Ritters hat sie sorgfältig ihre Reize durch die Künste des Putztisches
erhöht.


Ihr Spiegel, von lautem Entzücke" der schlaue" Zofen bekräftigt,
Verspricht ihr den glänzendsten Sieg. Das goldne Glöckchen erklingt,
N"d rauschend offnen sich des Borgezeltes Flügel,
AIS mit dem letzten Blick in den Spiegel
Die Dame noch etwas entdeckt. Ihr Götter! Vor Schrecke" entseelt
Fliegt sie dem P"ez>isch zu. Was ists? O Himmel, das Siegel
Vou ihrem Triumph -- uoch eine Musche fehlt.
Dank sey den Göttern, sie sitzt, die siegvcrheißende Musche,
Und hinter ihr lauert, wie ein Faun in einem dunkeln Busche,
Ein schelmischer Amor versteckt. Nun ists um den Fremden geschehn,
Zehn Feen können ihn nicht von dieser Schlinge erretten.

Als Wieland in den neunziger Jahren das Gedicht in neuer Bearbeitung
in die Gesamtausgabe seiner Werke aufnahm, wurde die Erwähnung der Musche
schon als Archaismus empfunden. Der Dichter selbst hielt eine Erklärung für
notwendig und bemerkt dazu: "Die Stelle, die vor fünfundzwanzig Jahren noch
Wahrheit hatte und wenigstens noch allgemein verständlich war, hat jetzt, dn
die Muscheu oder Schminkpflästerchen (deren kluger Gebrauch ehemals einen
beträchtliche Artikel der praktischen Damenphilosophie ausmachte) wenigstens als
offensive Waffen gänzlich von den Pntztischen verschwunden sind, für unsre
jungen Leserinnen eine Erklärung nötig." Das Geschlecht, das sich für den God
begeisterte, mit Werther Thränen vergoß, dem Naturevangelium Nonsfenus
gläubig lauschte und den Räubern zujubelte, hatte vou seiner Stirn das
Zeichen langer Knechtschaft und Unnatur entfernt. In der "Campagne in
Frankreich" hat Goethe, dessen Jugendwerke an dieser Wandlung wesentlichen
Anteil hatten, und der sich auch in diesem Sinne "Befreier der Deutschen"
nennen durfte, als historischer Zeuge diesen Wechsel der Denkweise seiner Zeit


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Mach die Probe!
Deinem Lobe
kannst dn dennoch nicht entgeh»;
Denn du bist und bleibest schön.
Doch willst du mehr Glanz und Schimmer,
O, laß dich hinfort und immer
Ohne schwarze Flecke sehn.

Von dieser Zeit an beginnt, wohl zunächst bei dem jungen Geschlechte,
der Glaube an die verschönernde Kraft des Schminkpflüsterchens zu wanken,
bis sich dann gegen das Ende der siebziger Jahre die völlige Lossagung von
dem Erbteil einer innerlich überwundenen Zeit vollzog. Doch ist die Musche
nicht wie das Gemeine klanglos zum Orkus hinabgezogen. Bei ihrem Scheiden
strahlt sie noch in dem Spätrot poetischer Verklärung. Wieland im „Neuen
Amadis" bringt ihr die letzte Huldigung (1773). Im zweiten Gesänge wird
die schöne Kolifischon geschildert. Alls die Nachricht von der Ankunft eines
fremden Ritters hat sie sorgfältig ihre Reize durch die Künste des Putztisches
erhöht.


Ihr Spiegel, von lautem Entzücke» der schlaue» Zofen bekräftigt,
Verspricht ihr den glänzendsten Sieg. Das goldne Glöckchen erklingt,
N»d rauschend offnen sich des Borgezeltes Flügel,
AIS mit dem letzten Blick in den Spiegel
Die Dame noch etwas entdeckt. Ihr Götter! Vor Schrecke» entseelt
Fliegt sie dem P»ez>isch zu. Was ists? O Himmel, das Siegel
Vou ihrem Triumph — uoch eine Musche fehlt.
Dank sey den Göttern, sie sitzt, die siegvcrheißende Musche,
Und hinter ihr lauert, wie ein Faun in einem dunkeln Busche,
Ein schelmischer Amor versteckt. Nun ists um den Fremden geschehn,
Zehn Feen können ihn nicht von dieser Schlinge erretten.

Als Wieland in den neunziger Jahren das Gedicht in neuer Bearbeitung
in die Gesamtausgabe seiner Werke aufnahm, wurde die Erwähnung der Musche
schon als Archaismus empfunden. Der Dichter selbst hielt eine Erklärung für
notwendig und bemerkt dazu: „Die Stelle, die vor fünfundzwanzig Jahren noch
Wahrheit hatte und wenigstens noch allgemein verständlich war, hat jetzt, dn
die Muscheu oder Schminkpflästerchen (deren kluger Gebrauch ehemals einen
beträchtliche Artikel der praktischen Damenphilosophie ausmachte) wenigstens als
offensive Waffen gänzlich von den Pntztischen verschwunden sind, für unsre
jungen Leserinnen eine Erklärung nötig." Das Geschlecht, das sich für den God
begeisterte, mit Werther Thränen vergoß, dem Naturevangelium Nonsfenus
gläubig lauschte und den Räubern zujubelte, hatte vou seiner Stirn das
Zeichen langer Knechtschaft und Unnatur entfernt. In der „Campagne in
Frankreich" hat Goethe, dessen Jugendwerke an dieser Wandlung wesentlichen
Anteil hatten, und der sich auch in diesem Sinne „Befreier der Deutschen"
nennen durfte, als historischer Zeuge diesen Wechsel der Denkweise seiner Zeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/525>, abgerufen am 03.07.2024.