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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Der denischo Sprcichvoroiu und die deutsche Schule

die deutsche Sprache soll der Mittelpunkt des gesamten Unterrichts sein. Dieser
Suez wird dann dahin erläutert, daß in allen Fächern Lehrer wie Schüler sich
bemühen sollen, gut deutsch zu sprechen und zu schreiben. Namentlich solle
man bei Übersetzungen aus fremden Sprachen streng auf echt deutschen Aus¬
druck halten und die Eigenart des Deutschen durch den Gegensatz der fremden
Sprache klar zu machen suchen. Es sei eine Hauptaufgabe des Unterrichts,
den Wortvvrrat der Jugend zu vermehren, und dies geschehe einmal dadurch,
daß man die Fremdwörter verdeutsche, aber ganz besonders dadurch, daß aus
fremde:? Sprachen übersetzt werde. Man sei auf diese Weise gezwungen, den
fremden Meister in gutem Deutsch vorzuführen, sich bei Übersetzungen eine
ganze Reihe ähnlich bedeutender deutscher Wörter klar zu macheu und dadurch
auch seinen Sprachvorrat zu ergänzen.

Diesen Aufstellungen und Begründungen kann man doch nnr teilweise zu-
stimmen. Es wurde bei den Verhandlungen des deutschen Sprachvereins vor
allem an die klassischen Sprachen gedacht, wie ans den Begleitworten Dr.
Düngers, eines "begeisterten Verehrers der Griechen und Römer," hervorgeht;
man hat aber dabei übersehen, daß an den deutschen Schulen auch neuere
Sprache", Französisch und Englisch, gelehrt werden. Da erheben sich nun
folgende Bedenken. Ist das Übersetzen überhaupt ein so ganz besonders gutes
Mittel der Ausbildung in der Muttersprache, und soll es auch bei dem Unter¬
richte in den neuern Sprachen angewendet werden? Da die klassischen Sprachen
tote Sprachen sind, die man bloß zu verstehen braucht, ohne sie auch sprechen
und schreiben zu können, und der Unterricht in diesen hauptsächlich auf die
Übersetzung angewiesen ist, um sie verständlich zu machen, so mag dieser Unter¬
richt neben andern Zwecken auch deu der Ausbildung in der Muttersprache zu
erreichen suchen. Anders steht es doch mit den modernen Sprachen. Freilich
wurde und wird auch die moderne Sprache nach dem Vorgang in den klassischen
Sprachen und alter Gepflogenheit hauptsächlich durch Übersetzungen und Rück¬
übersetzungen beigebracht. Nun behauptet aber eine sich vou Tag zu Tag
mehrende und an Gewicht gewinnende Partei mit gutem Gründe, daß die
Muttersprache in dem neusprachlichen Unterrichte nicht den Mittelpunkt bilden,
sondern nur die Rolle eines im Anfangsunterricht unentbehrlichen Ver-
stündiguugsmittels spielen dürfe, daß dagegen die fremde lebende Sprache, wenn
der Unterricht erfolgreich sein solle, innerhalb ihrer selbst erlernt werden müsse.

Daß den Ausdruck in der Muttersprache nichts besser bilde, als Über¬
setzungen aus einer fremden Sprache, diese Behauptung hört und liest man
ja oft, sie tritt als didaktisches Axiom auf. Es widerspricht ihr aber nicht
nnr die ganze geschichtliche Entwicklung der deutschen Sprache von Arivvists
Zeiten an bis auf deu heutigen Tag, wo die Gründung eines deutscheu Sprach¬
vereins notwendig wurde, die Erfahrung jedes einzelnen Sprachlehrers, sondern
kund die Erfahrungen und Bekenntnisse der Männer, die uns seit Martin


Der denischo Sprcichvoroiu und die deutsche Schule

die deutsche Sprache soll der Mittelpunkt des gesamten Unterrichts sein. Dieser
Suez wird dann dahin erläutert, daß in allen Fächern Lehrer wie Schüler sich
bemühen sollen, gut deutsch zu sprechen und zu schreiben. Namentlich solle
man bei Übersetzungen aus fremden Sprachen streng auf echt deutschen Aus¬
druck halten und die Eigenart des Deutschen durch den Gegensatz der fremden
Sprache klar zu machen suchen. Es sei eine Hauptaufgabe des Unterrichts,
den Wortvvrrat der Jugend zu vermehren, und dies geschehe einmal dadurch,
daß man die Fremdwörter verdeutsche, aber ganz besonders dadurch, daß aus
fremde:? Sprachen übersetzt werde. Man sei auf diese Weise gezwungen, den
fremden Meister in gutem Deutsch vorzuführen, sich bei Übersetzungen eine
ganze Reihe ähnlich bedeutender deutscher Wörter klar zu macheu und dadurch
auch seinen Sprachvorrat zu ergänzen.

Diesen Aufstellungen und Begründungen kann man doch nnr teilweise zu-
stimmen. Es wurde bei den Verhandlungen des deutschen Sprachvereins vor
allem an die klassischen Sprachen gedacht, wie ans den Begleitworten Dr.
Düngers, eines „begeisterten Verehrers der Griechen und Römer," hervorgeht;
man hat aber dabei übersehen, daß an den deutschen Schulen auch neuere
Sprache«, Französisch und Englisch, gelehrt werden. Da erheben sich nun
folgende Bedenken. Ist das Übersetzen überhaupt ein so ganz besonders gutes
Mittel der Ausbildung in der Muttersprache, und soll es auch bei dem Unter¬
richte in den neuern Sprachen angewendet werden? Da die klassischen Sprachen
tote Sprachen sind, die man bloß zu verstehen braucht, ohne sie auch sprechen
und schreiben zu können, und der Unterricht in diesen hauptsächlich auf die
Übersetzung angewiesen ist, um sie verständlich zu machen, so mag dieser Unter¬
richt neben andern Zwecken auch deu der Ausbildung in der Muttersprache zu
erreichen suchen. Anders steht es doch mit den modernen Sprachen. Freilich
wurde und wird auch die moderne Sprache nach dem Vorgang in den klassischen
Sprachen und alter Gepflogenheit hauptsächlich durch Übersetzungen und Rück¬
übersetzungen beigebracht. Nun behauptet aber eine sich vou Tag zu Tag
mehrende und an Gewicht gewinnende Partei mit gutem Gründe, daß die
Muttersprache in dem neusprachlichen Unterrichte nicht den Mittelpunkt bilden,
sondern nur die Rolle eines im Anfangsunterricht unentbehrlichen Ver-
stündiguugsmittels spielen dürfe, daß dagegen die fremde lebende Sprache, wenn
der Unterricht erfolgreich sein solle, innerhalb ihrer selbst erlernt werden müsse.

Daß den Ausdruck in der Muttersprache nichts besser bilde, als Über¬
setzungen aus einer fremden Sprache, diese Behauptung hört und liest man
ja oft, sie tritt als didaktisches Axiom auf. Es widerspricht ihr aber nicht
nnr die ganze geschichtliche Entwicklung der deutschen Sprache von Arivvists
Zeiten an bis auf deu heutigen Tag, wo die Gründung eines deutscheu Sprach¬
vereins notwendig wurde, die Erfahrung jedes einzelnen Sprachlehrers, sondern
kund die Erfahrungen und Bekenntnisse der Männer, die uns seit Martin


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[0494] Der denischo Sprcichvoroiu und die deutsche Schule die deutsche Sprache soll der Mittelpunkt des gesamten Unterrichts sein. Dieser Suez wird dann dahin erläutert, daß in allen Fächern Lehrer wie Schüler sich bemühen sollen, gut deutsch zu sprechen und zu schreiben. Namentlich solle man bei Übersetzungen aus fremden Sprachen streng auf echt deutschen Aus¬ druck halten und die Eigenart des Deutschen durch den Gegensatz der fremden Sprache klar zu machen suchen. Es sei eine Hauptaufgabe des Unterrichts, den Wortvvrrat der Jugend zu vermehren, und dies geschehe einmal dadurch, daß man die Fremdwörter verdeutsche, aber ganz besonders dadurch, daß aus fremde:? Sprachen übersetzt werde. Man sei auf diese Weise gezwungen, den fremden Meister in gutem Deutsch vorzuführen, sich bei Übersetzungen eine ganze Reihe ähnlich bedeutender deutscher Wörter klar zu macheu und dadurch auch seinen Sprachvorrat zu ergänzen. Diesen Aufstellungen und Begründungen kann man doch nnr teilweise zu- stimmen. Es wurde bei den Verhandlungen des deutschen Sprachvereins vor allem an die klassischen Sprachen gedacht, wie ans den Begleitworten Dr. Düngers, eines „begeisterten Verehrers der Griechen und Römer," hervorgeht; man hat aber dabei übersehen, daß an den deutschen Schulen auch neuere Sprache«, Französisch und Englisch, gelehrt werden. Da erheben sich nun folgende Bedenken. Ist das Übersetzen überhaupt ein so ganz besonders gutes Mittel der Ausbildung in der Muttersprache, und soll es auch bei dem Unter¬ richte in den neuern Sprachen angewendet werden? Da die klassischen Sprachen tote Sprachen sind, die man bloß zu verstehen braucht, ohne sie auch sprechen und schreiben zu können, und der Unterricht in diesen hauptsächlich auf die Übersetzung angewiesen ist, um sie verständlich zu machen, so mag dieser Unter¬ richt neben andern Zwecken auch deu der Ausbildung in der Muttersprache zu erreichen suchen. Anders steht es doch mit den modernen Sprachen. Freilich wurde und wird auch die moderne Sprache nach dem Vorgang in den klassischen Sprachen und alter Gepflogenheit hauptsächlich durch Übersetzungen und Rück¬ übersetzungen beigebracht. Nun behauptet aber eine sich vou Tag zu Tag mehrende und an Gewicht gewinnende Partei mit gutem Gründe, daß die Muttersprache in dem neusprachlichen Unterrichte nicht den Mittelpunkt bilden, sondern nur die Rolle eines im Anfangsunterricht unentbehrlichen Ver- stündiguugsmittels spielen dürfe, daß dagegen die fremde lebende Sprache, wenn der Unterricht erfolgreich sein solle, innerhalb ihrer selbst erlernt werden müsse. Daß den Ausdruck in der Muttersprache nichts besser bilde, als Über¬ setzungen aus einer fremden Sprache, diese Behauptung hört und liest man ja oft, sie tritt als didaktisches Axiom auf. Es widerspricht ihr aber nicht nnr die ganze geschichtliche Entwicklung der deutschen Sprache von Arivvists Zeiten an bis auf deu heutigen Tag, wo die Gründung eines deutscheu Sprach¬ vereins notwendig wurde, die Erfahrung jedes einzelnen Sprachlehrers, sondern kund die Erfahrungen und Bekenntnisse der Männer, die uns seit Martin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/494>, abgerufen am 23.07.2024.