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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Me>d"rief Zeugnismesen

Herrschaft nuauge"eh"i ist, die Wahrheit schriftlich zu bezeugen, oder lveil man
dem Dienstboten nicht bei seinem fernern Fortkommen hinderlich sein will, oder
endlich weil man fürchtet, daß der Dienstbote, nur sich für das schlechte
Zeugnis zu rächen, den Nest der Dienstzeit zu aller möglichen Schändlichkeit
benutzen könnte; ja man geht so weit, daß man ans gelegentliche Erkundigung
hin den Dienstboten gerndezn lobt, um ihn auf gute Art und ohne Ärgernis
loszuwerden -- beiläufig ein Verfahren, das unter dein Kunstausdruck "fort-
lobeu" auch in deu höher" Kreisen der Zeugnis suchenden und Amt oder Dienst
wechselnden Personen, sogar in lluiversitätskreisen, nicht ganz unbekant
sein soll.

Keiner meiner Leser wird leugnen, daß ich die Vorgänge geschildert habe,
wie sie sind. Aber so viele Milderungsgründe auch dafür beigebracht werden
können -- zu entschuldigen ist das im8Mr irllvr in diesen Dingen nicht. Daß
ein zu gutes Zeugnis für beide Teile, den Arbeitgeber wie den Dienstboten,
wertlos, ja schädlich ist, liegt doch ans der Hand.

Das verdiente Lob -- ich bin ein Freund des Lobens -- wird nicht
bloß als ^ohn für gethane gute Leistung empfunden, es wirkt, ganz abgesehen
von seiner idealen Seite, mich als Sporn zur Anspannung aller Kräfte,
rin weiteres Lob einzuheimsen, aber nur dann, wenn das Gegenteil, ge¬
rechter, verdienter Tadel, zu fürchten ist, oder wenn in ehrgeizigem Wettbewerb
mit andern um dieses Lob gestritten werden muß. Lob ohne Unterlaß er¬
schlafft ebenso, wie tägliche Ernährung mit Zuckerbrod, und eine ganze Schul-
klasse von Musterknaben, von lauter "Ersten," ist ebenso undenkbar, wie sie
langweilig wäre. Der Trieb, es der andern zuvor zu thun, zum Ersten aus-
zurücken, ein berechtigter Ehrgeiz, treibt jeden Schüler zur Anspannung seiner
Kräfte.

Wo in aller Welt soll nun bei unsern Dienstboten und, können wir nnn
erweiternd hinzusetzen, bei all den Leuten, die auf irgend eine Weise ihr Brot
verdienen müssen, der Ehrgeiz, das Streben herkommen! Alle, alle bis ans
verschwindend kleine Ausnahmen, die ihre Sache dann sozusagen ans nichts
gestellt haben, können lobende Zeugnisse über ausgezeichnete Leistungen aus¬
weisen, gerade so wie Fräulein Meder. Weil aber alle solche Mnstermeuschen
sind, haben sie auch uicht nötig, irgend welche Schritte zu ihrer Vervollkomm¬
nung zu thu", tun Stellungen zu kämpfen haben sie nicht nötig, denn an
solchen Stellungen, aus denen sie, wenn nötig mit Schadenersatz für Kost und
^ogis, vor der Zeit ,,fvrtgelobt" werden, fehlt es ja nicht. Das Schlimmste
aber widerfährt dem wirklich guten Ausnahmemenschen. Welche bittere Kram
lung ist es für deu rechtmäßige" Besitzer eines lobende" Zeugnisses, wem:
dieser vo" ihm dnrch harte Arbeit erkämpfte Schatz, vielleicht sein einziger
Schatz, beim Suche" "ach Arbeit mit denselben scheelen Angen angesehen wird,
wie die unverdiente Lobhudelei eines nichtsnutzigen Nebenbuhlers! Muß er nicht


Me>d»rief Zeugnismesen

Herrschaft nuauge»eh»i ist, die Wahrheit schriftlich zu bezeugen, oder lveil man
dem Dienstboten nicht bei seinem fernern Fortkommen hinderlich sein will, oder
endlich weil man fürchtet, daß der Dienstbote, nur sich für das schlechte
Zeugnis zu rächen, den Nest der Dienstzeit zu aller möglichen Schändlichkeit
benutzen könnte; ja man geht so weit, daß man ans gelegentliche Erkundigung
hin den Dienstboten gerndezn lobt, um ihn auf gute Art und ohne Ärgernis
loszuwerden — beiläufig ein Verfahren, das unter dein Kunstausdruck „fort-
lobeu" auch in deu höher» Kreisen der Zeugnis suchenden und Amt oder Dienst
wechselnden Personen, sogar in lluiversitätskreisen, nicht ganz unbekant
sein soll.

Keiner meiner Leser wird leugnen, daß ich die Vorgänge geschildert habe,
wie sie sind. Aber so viele Milderungsgründe auch dafür beigebracht werden
können — zu entschuldigen ist das im8Mr irllvr in diesen Dingen nicht. Daß
ein zu gutes Zeugnis für beide Teile, den Arbeitgeber wie den Dienstboten,
wertlos, ja schädlich ist, liegt doch ans der Hand.

Das verdiente Lob — ich bin ein Freund des Lobens — wird nicht
bloß als ^ohn für gethane gute Leistung empfunden, es wirkt, ganz abgesehen
von seiner idealen Seite, mich als Sporn zur Anspannung aller Kräfte,
rin weiteres Lob einzuheimsen, aber nur dann, wenn das Gegenteil, ge¬
rechter, verdienter Tadel, zu fürchten ist, oder wenn in ehrgeizigem Wettbewerb
mit andern um dieses Lob gestritten werden muß. Lob ohne Unterlaß er¬
schlafft ebenso, wie tägliche Ernährung mit Zuckerbrod, und eine ganze Schul-
klasse von Musterknaben, von lauter „Ersten," ist ebenso undenkbar, wie sie
langweilig wäre. Der Trieb, es der andern zuvor zu thun, zum Ersten aus-
zurücken, ein berechtigter Ehrgeiz, treibt jeden Schüler zur Anspannung seiner
Kräfte.

Wo in aller Welt soll nun bei unsern Dienstboten und, können wir nnn
erweiternd hinzusetzen, bei all den Leuten, die auf irgend eine Weise ihr Brot
verdienen müssen, der Ehrgeiz, das Streben herkommen! Alle, alle bis ans
verschwindend kleine Ausnahmen, die ihre Sache dann sozusagen ans nichts
gestellt haben, können lobende Zeugnisse über ausgezeichnete Leistungen aus¬
weisen, gerade so wie Fräulein Meder. Weil aber alle solche Mnstermeuschen
sind, haben sie auch uicht nötig, irgend welche Schritte zu ihrer Vervollkomm¬
nung zu thu», tun Stellungen zu kämpfen haben sie nicht nötig, denn an
solchen Stellungen, aus denen sie, wenn nötig mit Schadenersatz für Kost und
^ogis, vor der Zeit ,,fvrtgelobt" werden, fehlt es ja nicht. Das Schlimmste
aber widerfährt dem wirklich guten Ausnahmemenschen. Welche bittere Kram
lung ist es für deu rechtmäßige» Besitzer eines lobende» Zeugnisses, wem:
dieser vo» ihm dnrch harte Arbeit erkämpfte Schatz, vielleicht sein einziger
Schatz, beim Suche» »ach Arbeit mit denselben scheelen Angen angesehen wird,
wie die unverdiente Lobhudelei eines nichtsnutzigen Nebenbuhlers! Muß er nicht


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[0478] Me>d»rief Zeugnismesen Herrschaft nuauge»eh»i ist, die Wahrheit schriftlich zu bezeugen, oder lveil man dem Dienstboten nicht bei seinem fernern Fortkommen hinderlich sein will, oder endlich weil man fürchtet, daß der Dienstbote, nur sich für das schlechte Zeugnis zu rächen, den Nest der Dienstzeit zu aller möglichen Schändlichkeit benutzen könnte; ja man geht so weit, daß man ans gelegentliche Erkundigung hin den Dienstboten gerndezn lobt, um ihn auf gute Art und ohne Ärgernis loszuwerden — beiläufig ein Verfahren, das unter dein Kunstausdruck „fort- lobeu" auch in deu höher» Kreisen der Zeugnis suchenden und Amt oder Dienst wechselnden Personen, sogar in lluiversitätskreisen, nicht ganz unbekant sein soll. Keiner meiner Leser wird leugnen, daß ich die Vorgänge geschildert habe, wie sie sind. Aber so viele Milderungsgründe auch dafür beigebracht werden können — zu entschuldigen ist das im8Mr irllvr in diesen Dingen nicht. Daß ein zu gutes Zeugnis für beide Teile, den Arbeitgeber wie den Dienstboten, wertlos, ja schädlich ist, liegt doch ans der Hand. Das verdiente Lob — ich bin ein Freund des Lobens — wird nicht bloß als ^ohn für gethane gute Leistung empfunden, es wirkt, ganz abgesehen von seiner idealen Seite, mich als Sporn zur Anspannung aller Kräfte, rin weiteres Lob einzuheimsen, aber nur dann, wenn das Gegenteil, ge¬ rechter, verdienter Tadel, zu fürchten ist, oder wenn in ehrgeizigem Wettbewerb mit andern um dieses Lob gestritten werden muß. Lob ohne Unterlaß er¬ schlafft ebenso, wie tägliche Ernährung mit Zuckerbrod, und eine ganze Schul- klasse von Musterknaben, von lauter „Ersten," ist ebenso undenkbar, wie sie langweilig wäre. Der Trieb, es der andern zuvor zu thun, zum Ersten aus- zurücken, ein berechtigter Ehrgeiz, treibt jeden Schüler zur Anspannung seiner Kräfte. Wo in aller Welt soll nun bei unsern Dienstboten und, können wir nnn erweiternd hinzusetzen, bei all den Leuten, die auf irgend eine Weise ihr Brot verdienen müssen, der Ehrgeiz, das Streben herkommen! Alle, alle bis ans verschwindend kleine Ausnahmen, die ihre Sache dann sozusagen ans nichts gestellt haben, können lobende Zeugnisse über ausgezeichnete Leistungen aus¬ weisen, gerade so wie Fräulein Meder. Weil aber alle solche Mnstermeuschen sind, haben sie auch uicht nötig, irgend welche Schritte zu ihrer Vervollkomm¬ nung zu thu», tun Stellungen zu kämpfen haben sie nicht nötig, denn an solchen Stellungen, aus denen sie, wenn nötig mit Schadenersatz für Kost und ^ogis, vor der Zeit ,,fvrtgelobt" werden, fehlt es ja nicht. Das Schlimmste aber widerfährt dem wirklich guten Ausnahmemenschen. Welche bittere Kram lung ist es für deu rechtmäßige» Besitzer eines lobende» Zeugnisses, wem: dieser vo» ihm dnrch harte Arbeit erkämpfte Schatz, vielleicht sein einziger Schatz, beim Suche» »ach Arbeit mit denselben scheelen Angen angesehen wird, wie die unverdiente Lobhudelei eines nichtsnutzigen Nebenbuhlers! Muß er nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/478>, abgerufen am 29.06.2024.