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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Z^eddn Gabler

ist der Finder, der sich natürlich cun andern Morgen beeilen will, es zurück¬
zubringen. Aber Hedda, die ihr Teufelswerk erst zur Hälfte vollendet hat,
weiß ihn durch ihr Nänkespiel daran zu verhindern, und als Eilert Lövborg
verstört und verzweifelt in Tesinnns Wohnung kommt, um Frau Elvsted ab¬
zuholen, bietet Hedda ihre ganze teuflische Beredsamkeit auf, um den Ärmsten
vollends nur seineu Verstand zu bringe" und ihn zum Selbstmord zu treiben.
Sie drückt ihm eine der beiden Pistolen in die Hand, die sie von ihrem Vater
geerbt hat, und da es dem Unglücklichen nicht gelingt, sein Manuskript wieder¬
zufinden, nimmt er sich wirklich das Leben.

Nun wäre die Tragödie der Vernichtung eigentlich zu Ende. Aber Ibsen
hat hier ausnahmsweise einmal für eine Art von Nemesis gesorgt. Man hat
die Pistole bei dem Selbstmörder gesunden, und nun beginnt der Gerichtsrat
Brack, der Hausfreund des Tesmnnschen Ehepaares, das Spiel zu führen,
worin er bis dahin noch keine Trümpfe in die Hand bekommen hatte. Er ist
einer der alten Junggesellen von dem Schlage, den uns Sardon in einem seiner
verwegensten Sitteudramen gezeichnet hat, einer von denen, die sich in einer
Häuslichkeit einnisten, um die Freuden des Ehestandes zu genießen, ohne seiue
Laste" zu tragen. Gerichtsrat Brack hat sich die Sache sogar etwas kosten
lassen, indem er einen Teil der Einrichtung des jungen Paares bestritten hat,
ohne daß ein einziger aus dieser saubern Gesellschaft daran Anstoß zu nehmen
scheint. Bisher sind feine Werbungen an der Festigkeit Heddas abgeglitten,
die wenigstens äußerlich, d. h. vor der Welt, eine ehrbare Frau bleiben will
trotz der Verachtung, die sie vor ihrem Gatten hegt. Sie fürchtet nur eines --
den Skandal, und jetzt hat sie sich durch ihr frevles Spiel rettungslos dein
Gerichtsrat Brack in die Hand gegeben, der ihr mit einem öffentlichen Skandal
droht, wenn sie nicht seine Geliebte werden will. Er allein kennt die Pistole;
wenn er nicht schweigt, muß Hedda Tesman vor Gericht, um Auskunft darüber
zu geben, wie die Mordwaffe in dem Besitz Lövborgs gekommen ist, und der
Skandal ist fertig. Skandal also auf der einen wie auf der andern Seite --
ein Entrinnen aus dieser Klemme scheint unmöglich. Zum Glück ist aber noch
die zweite Pistole des Generals Gabler da, und Hedda endigt wie alle hyste¬
rischen Frauenzimmer des norwegischen Dichters, der sich vermißt, der Welt
einen Spiegel vorzuhalten und sie dadurch von der Lüge zur Wahrheit zu
bekehren, in Wirklichkeit uns aber nur in einen Sumpf blicken läßt, worin er
alle Schwächen nud Laster der Menschheit mit kalter Berechnung zusammen-
gehäuft hat, "in nrteilslvse, für Schreckgespenster leicht empfängliche Schwach¬
köpfe zu der Meinung zu verleiten, daß die eine Hälfte der Menschen aus
Cretins, die andre Hälfte ans wahnsinnigen Genies bestehe, die ihren Verstand
durch die Sünden der Väter oder durch eigne Laster, Trunksucht und Völlerei,
verloren haben.




Z^eddn Gabler

ist der Finder, der sich natürlich cun andern Morgen beeilen will, es zurück¬
zubringen. Aber Hedda, die ihr Teufelswerk erst zur Hälfte vollendet hat,
weiß ihn durch ihr Nänkespiel daran zu verhindern, und als Eilert Lövborg
verstört und verzweifelt in Tesinnns Wohnung kommt, um Frau Elvsted ab¬
zuholen, bietet Hedda ihre ganze teuflische Beredsamkeit auf, um den Ärmsten
vollends nur seineu Verstand zu bringe» und ihn zum Selbstmord zu treiben.
Sie drückt ihm eine der beiden Pistolen in die Hand, die sie von ihrem Vater
geerbt hat, und da es dem Unglücklichen nicht gelingt, sein Manuskript wieder¬
zufinden, nimmt er sich wirklich das Leben.

Nun wäre die Tragödie der Vernichtung eigentlich zu Ende. Aber Ibsen
hat hier ausnahmsweise einmal für eine Art von Nemesis gesorgt. Man hat
die Pistole bei dem Selbstmörder gesunden, und nun beginnt der Gerichtsrat
Brack, der Hausfreund des Tesmnnschen Ehepaares, das Spiel zu führen,
worin er bis dahin noch keine Trümpfe in die Hand bekommen hatte. Er ist
einer der alten Junggesellen von dem Schlage, den uns Sardon in einem seiner
verwegensten Sitteudramen gezeichnet hat, einer von denen, die sich in einer
Häuslichkeit einnisten, um die Freuden des Ehestandes zu genießen, ohne seiue
Laste» zu tragen. Gerichtsrat Brack hat sich die Sache sogar etwas kosten
lassen, indem er einen Teil der Einrichtung des jungen Paares bestritten hat,
ohne daß ein einziger aus dieser saubern Gesellschaft daran Anstoß zu nehmen
scheint. Bisher sind feine Werbungen an der Festigkeit Heddas abgeglitten,
die wenigstens äußerlich, d. h. vor der Welt, eine ehrbare Frau bleiben will
trotz der Verachtung, die sie vor ihrem Gatten hegt. Sie fürchtet nur eines —
den Skandal, und jetzt hat sie sich durch ihr frevles Spiel rettungslos dein
Gerichtsrat Brack in die Hand gegeben, der ihr mit einem öffentlichen Skandal
droht, wenn sie nicht seine Geliebte werden will. Er allein kennt die Pistole;
wenn er nicht schweigt, muß Hedda Tesman vor Gericht, um Auskunft darüber
zu geben, wie die Mordwaffe in dem Besitz Lövborgs gekommen ist, und der
Skandal ist fertig. Skandal also auf der einen wie auf der andern Seite —
ein Entrinnen aus dieser Klemme scheint unmöglich. Zum Glück ist aber noch
die zweite Pistole des Generals Gabler da, und Hedda endigt wie alle hyste¬
rischen Frauenzimmer des norwegischen Dichters, der sich vermißt, der Welt
einen Spiegel vorzuhalten und sie dadurch von der Lüge zur Wahrheit zu
bekehren, in Wirklichkeit uns aber nur in einen Sumpf blicken läßt, worin er
alle Schwächen nud Laster der Menschheit mit kalter Berechnung zusammen-
gehäuft hat, »in nrteilslvse, für Schreckgespenster leicht empfängliche Schwach¬
köpfe zu der Meinung zu verleiten, daß die eine Hälfte der Menschen aus
Cretins, die andre Hälfte ans wahnsinnigen Genies bestehe, die ihren Verstand
durch die Sünden der Väter oder durch eigne Laster, Trunksucht und Völlerei,
verloren haben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/475>, abgerufen am 03.07.2024.