Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.Hedda Gabler aus der man nicht mit Sicherheit herauslese" kann, ob er ans vollem Herzen Bei der ersten Aufführung im Lessingtheater hat es Leute gegeben, die Hedda Gabler aus der man nicht mit Sicherheit herauslese» kann, ob er ans vollem Herzen Bei der ersten Aufführung im Lessingtheater hat es Leute gegeben, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209707"/> <fw type="header" place="top"> Hedda Gabler</fw><lb/> <p xml:id="ID_1318" prev="#ID_1317"> aus der man nicht mit Sicherheit herauslese» kann, ob er ans vollem Herzen<lb/> lacht oder hämisch grinst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1319" next="#ID_1320"> Bei der ersten Aufführung im Lessingtheater hat es Leute gegeben, die<lb/> das Jbsensche Hohngelächter für humoristisch oder doch für komisch gehalten<lb/> haben. „Hedda Gabler" ist aber ganz und gar nicht humoristisch, höchstens<lb/> humoristisch vom Standpunkte des Teufels der Vernichtung betrachtet, dessen<lb/> Humor sich sehr wesentlich von dem menschlichen unterscheidet. Vor unsern<lb/> Angen entwickelt sich nämlich eine Tragödie der Trunksucht, in die ein gutes<lb/> Stück unheilbarer Hysterie, geistiger Beschränktheit und mnstirter Lüsternheit<lb/> hineinspielt. Die geistig bedeutendste Persönlichkeit des Schauspiels ist el»<lb/> Trunkenbold, der ans dem Wege der Heilung angelangt zu sein scheint, als<lb/> die Handlung nach einer übernns umständlichen Exposition in der Mitte des<lb/> zweiten Aktes zu einem rascheren Gange anhebt. Dieser Trunkenbold Eilert<lb/> Lövbvrg — das ist bezeichnend für Ibsen........ ist zugleich die geistvollste Person<lb/> des Schauspiels und der Held, den sich zwei verheiratete, aber in unglücklicher<lb/> oder vielmehr vermeintlich unglücklicher Ehe lebende Frauen streitig machen.<lb/> Die eine ist Hedda Gabler, die den philisterhaften, von keiner genialen Regung<lb/> erfüllten Tesmau geheiratet hat, weil sie sich, wie sie selbst ihrem Verehrer,<lb/> dem Gerichtsrat Brack, mit cynischer Offenheit erzählt, müde getanzt und weil<lb/> kein andrer ihrer Courmacher Ernst gemacht hatte. Die andre ist eine Frau<lb/> Elvsted, die Gattin eines um viele Jahre ältern Landrichters, bei dein Eilert<lb/> Lövbvrg mehrere Jahre als Hauslehrer der Kinder gelebt hat. Dabei hat<lb/> sich zwischen der jungen Frau, die ihre» Gatte» mir Wege» der gute» Ver¬<lb/> sorgung geheiratet hat und ein freudloses Dasein führt, n»d dem Hauslehrer<lb/> eine Art Seetenfreundschaft angesponnen, die schließlich so weit gediehen ist,<lb/> daß es Frau Elvsted nicht mir gelungen ist, ihren Freund von dem Laster<lb/> der Trunksucht abzubringen, sondern anch zu einer großen That, zur Ab¬<lb/> fassung zweier kulturgeschichtlichen Werte, anzuspornen. Das eine, bereits im<lb/> Druck erschienene hat seine», Autor hohe Ehren eingetragen und seinen Ruf<lb/> vor der Welt wiederhergestellt. Mit dem Manuskripte des andern in der<lb/> Tasche begiebt er sich nach der Stadt, wohin ihm Frau Elvsted gefolgt ist,<lb/> um nicht wieder zu ihrem Gatten zurückzukehren. Aber Hedda Tesman, die<lb/> bereits als Mädchen mit dem unwiderstehlichen Trunkenbold eine Liebelei ge¬<lb/> habt hat, gönnt der Freundin nicht den Triumph, einen Menschengeist wieder<lb/> emporgehoben und gerettet zu haben. Mit teuflischer List zieht sie den Un¬<lb/> glücklichen wieder in ihre Netze und weiß den schwachen Mann, der seiner<lb/> Retterin völlige Enthaltung von allen geistigen Getränken zugeschworen hat,<lb/> durch ein paar Gläser schwedischen Punsches dahinzubringen, daß er des Abends<lb/> zu einem wüsten Trinkgelage geht und den Rest der Nacht bei einem ver-<lb/> rnfenen Frauenzimmer zubringt, wobei ihn, das Mißgeschick widerfährt, sein<lb/> Manuskript, das er mit sich geführt hat, zu verlieren. Sei» Freund Tesman</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0474]
Hedda Gabler
aus der man nicht mit Sicherheit herauslese» kann, ob er ans vollem Herzen
lacht oder hämisch grinst.
Bei der ersten Aufführung im Lessingtheater hat es Leute gegeben, die
das Jbsensche Hohngelächter für humoristisch oder doch für komisch gehalten
haben. „Hedda Gabler" ist aber ganz und gar nicht humoristisch, höchstens
humoristisch vom Standpunkte des Teufels der Vernichtung betrachtet, dessen
Humor sich sehr wesentlich von dem menschlichen unterscheidet. Vor unsern
Angen entwickelt sich nämlich eine Tragödie der Trunksucht, in die ein gutes
Stück unheilbarer Hysterie, geistiger Beschränktheit und mnstirter Lüsternheit
hineinspielt. Die geistig bedeutendste Persönlichkeit des Schauspiels ist el»
Trunkenbold, der ans dem Wege der Heilung angelangt zu sein scheint, als
die Handlung nach einer übernns umständlichen Exposition in der Mitte des
zweiten Aktes zu einem rascheren Gange anhebt. Dieser Trunkenbold Eilert
Lövbvrg — das ist bezeichnend für Ibsen........ ist zugleich die geistvollste Person
des Schauspiels und der Held, den sich zwei verheiratete, aber in unglücklicher
oder vielmehr vermeintlich unglücklicher Ehe lebende Frauen streitig machen.
Die eine ist Hedda Gabler, die den philisterhaften, von keiner genialen Regung
erfüllten Tesmau geheiratet hat, weil sie sich, wie sie selbst ihrem Verehrer,
dem Gerichtsrat Brack, mit cynischer Offenheit erzählt, müde getanzt und weil
kein andrer ihrer Courmacher Ernst gemacht hatte. Die andre ist eine Frau
Elvsted, die Gattin eines um viele Jahre ältern Landrichters, bei dein Eilert
Lövbvrg mehrere Jahre als Hauslehrer der Kinder gelebt hat. Dabei hat
sich zwischen der jungen Frau, die ihre» Gatte» mir Wege» der gute» Ver¬
sorgung geheiratet hat und ein freudloses Dasein führt, n»d dem Hauslehrer
eine Art Seetenfreundschaft angesponnen, die schließlich so weit gediehen ist,
daß es Frau Elvsted nicht mir gelungen ist, ihren Freund von dem Laster
der Trunksucht abzubringen, sondern anch zu einer großen That, zur Ab¬
fassung zweier kulturgeschichtlichen Werte, anzuspornen. Das eine, bereits im
Druck erschienene hat seine», Autor hohe Ehren eingetragen und seinen Ruf
vor der Welt wiederhergestellt. Mit dem Manuskripte des andern in der
Tasche begiebt er sich nach der Stadt, wohin ihm Frau Elvsted gefolgt ist,
um nicht wieder zu ihrem Gatten zurückzukehren. Aber Hedda Tesman, die
bereits als Mädchen mit dem unwiderstehlichen Trunkenbold eine Liebelei ge¬
habt hat, gönnt der Freundin nicht den Triumph, einen Menschengeist wieder
emporgehoben und gerettet zu haben. Mit teuflischer List zieht sie den Un¬
glücklichen wieder in ihre Netze und weiß den schwachen Mann, der seiner
Retterin völlige Enthaltung von allen geistigen Getränken zugeschworen hat,
durch ein paar Gläser schwedischen Punsches dahinzubringen, daß er des Abends
zu einem wüsten Trinkgelage geht und den Rest der Nacht bei einem ver-
rnfenen Frauenzimmer zubringt, wobei ihn, das Mißgeschick widerfährt, sein
Manuskript, das er mit sich geführt hat, zu verlieren. Sei» Freund Tesman
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