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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Ranke und Gent;

Ruhe gab, welche von den Tagesbegebenheiten nicht erschüttert werden
konnte."

In Gentz lernte er nun eine Persönlichkeit kennen, die in beiden Fragen
-- in der griechisch-türkischen, wie in der Revvlutionsfrage -- entschieden
Stellung genommen hatte. In der erstern war er von der Erwägung be¬
stimmt worden, daß nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Gewalt¬
herrschaft das europäische Gleichgewicht, für das er so lange gekämpft hatte,
keinen schlimmern Feind habe als Rußland, und nur dieses die Früchte einer
Schmälerung der Türkei einheimsen werde. Schon in seiner ersten Aufzeichnung
deutet Ranke an, daß sich Gentz in diesem Sinne gegen ihn ausgesprochen
habe. Nun wiederholt er es: "Der Hofrat Gentz leitete noch, wie man damals
Wohl sagte, vom Klepperstall") aus die Politik von Österreich und von Europa.
Gentz hatte die große Güte, mir sein Bertraueu zu schenken. Ich besuchte thu
alle acht Tage einmal. Er war bekanntlich kein Mann, der sich in Dunkel
verhüllte; er sprach ohne Zurückhaltung und eben darum gut und überhaupt
so, daß er sich selbst genügte. Ich wurde nach und uach einer der besi¬
nn terrichteten Männer in Wien, was die Tagesbegebenheiten anlangte; aber
noch viel tiefer ging der Eindruck, den mir die Mitteilungen von Gentz machten.
Er war nicht allein der heftigste Gegner der englischen und französischen
Politik, die sür Griechenland Partei nahm; bei Cannings Tode fühlte mau
sich in Wien von einem Alp befreit. Davon aber befürchtete man nicht so
viel, wie von dem alle Tage anwachsenden Mißverständnis mit Rußland.
Gentz wiederholte mir die Eindrücke, die ihm die englischen, hauptsächlich aber
die russischen Depeschen machten. Er hat mir damals geradezu gesagt: von Ru߬
land bekomme man Erlasse, wie sie schlimmer von Napoleon nicht ausgegangen
wären. Ich habe davon nichts zu Papier gebracht, obwohl ich es vielleicht
hätte thun sollen; aber ich würde damit in meine Studien ein falsches Element
gebracht haben."

Von Gesprächen über das zweite Problem -- Revolution und Gegen¬
revolution -- berichtet Ranke nichts. Ohne eigentlich Gesinnungsgenosse von
Gentz zu sein, stand er ihm doch hier viel näher. Deal Gentz war nicht
mehr so starrer rationalistischer Absolutist wie zur Zeit des Wiener Kongresses
und in deu folgenden Jahren, wo Männer wie Friedrich Schlegel nicht mehr
mit ihm übereinstimmten. Ein Jahr zuvor, ehe Ranke nach Wien kam, hat
er über ein ebeu erschienenes Buch von Lemonteh üssai "or l'ötadlissemevt
M0n.N-ellici""z alö Ixmis XIV einige Gedanken aufgezeichnet/'"") "Was mich in
dem vou Lemonteh aufgestellten Gemälde ergreift -- lesen wir da --, ist das




Ein Gebäude in der Teinfaltstraße, wo Gentz damals lebte und auch starb. Es ist
vor wenigen Jahren abgetragen worden.
Siehe "Aus dem Nachlasse Fr. v. Gentz" (1867) 1. S.
Ranke und Gent;

Ruhe gab, welche von den Tagesbegebenheiten nicht erschüttert werden
konnte."

In Gentz lernte er nun eine Persönlichkeit kennen, die in beiden Fragen
— in der griechisch-türkischen, wie in der Revvlutionsfrage — entschieden
Stellung genommen hatte. In der erstern war er von der Erwägung be¬
stimmt worden, daß nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Gewalt¬
herrschaft das europäische Gleichgewicht, für das er so lange gekämpft hatte,
keinen schlimmern Feind habe als Rußland, und nur dieses die Früchte einer
Schmälerung der Türkei einheimsen werde. Schon in seiner ersten Aufzeichnung
deutet Ranke an, daß sich Gentz in diesem Sinne gegen ihn ausgesprochen
habe. Nun wiederholt er es: „Der Hofrat Gentz leitete noch, wie man damals
Wohl sagte, vom Klepperstall") aus die Politik von Österreich und von Europa.
Gentz hatte die große Güte, mir sein Bertraueu zu schenken. Ich besuchte thu
alle acht Tage einmal. Er war bekanntlich kein Mann, der sich in Dunkel
verhüllte; er sprach ohne Zurückhaltung und eben darum gut und überhaupt
so, daß er sich selbst genügte. Ich wurde nach und uach einer der besi¬
nn terrichteten Männer in Wien, was die Tagesbegebenheiten anlangte; aber
noch viel tiefer ging der Eindruck, den mir die Mitteilungen von Gentz machten.
Er war nicht allein der heftigste Gegner der englischen und französischen
Politik, die sür Griechenland Partei nahm; bei Cannings Tode fühlte mau
sich in Wien von einem Alp befreit. Davon aber befürchtete man nicht so
viel, wie von dem alle Tage anwachsenden Mißverständnis mit Rußland.
Gentz wiederholte mir die Eindrücke, die ihm die englischen, hauptsächlich aber
die russischen Depeschen machten. Er hat mir damals geradezu gesagt: von Ru߬
land bekomme man Erlasse, wie sie schlimmer von Napoleon nicht ausgegangen
wären. Ich habe davon nichts zu Papier gebracht, obwohl ich es vielleicht
hätte thun sollen; aber ich würde damit in meine Studien ein falsches Element
gebracht haben."

Von Gesprächen über das zweite Problem — Revolution und Gegen¬
revolution — berichtet Ranke nichts. Ohne eigentlich Gesinnungsgenosse von
Gentz zu sein, stand er ihm doch hier viel näher. Deal Gentz war nicht
mehr so starrer rationalistischer Absolutist wie zur Zeit des Wiener Kongresses
und in deu folgenden Jahren, wo Männer wie Friedrich Schlegel nicht mehr
mit ihm übereinstimmten. Ein Jahr zuvor, ehe Ranke nach Wien kam, hat
er über ein ebeu erschienenes Buch von Lemonteh üssai «or l'ötadlissemevt
M0n.N-ellici»«z alö Ixmis XIV einige Gedanken aufgezeichnet/'"") „Was mich in
dem vou Lemonteh aufgestellten Gemälde ergreift — lesen wir da —, ist das




Ein Gebäude in der Teinfaltstraße, wo Gentz damals lebte und auch starb. Es ist
vor wenigen Jahren abgetragen worden.
Siehe „Aus dem Nachlasse Fr. v. Gentz" (1867) 1. S.
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[0423] Ranke und Gent; Ruhe gab, welche von den Tagesbegebenheiten nicht erschüttert werden konnte." In Gentz lernte er nun eine Persönlichkeit kennen, die in beiden Fragen — in der griechisch-türkischen, wie in der Revvlutionsfrage — entschieden Stellung genommen hatte. In der erstern war er von der Erwägung be¬ stimmt worden, daß nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Gewalt¬ herrschaft das europäische Gleichgewicht, für das er so lange gekämpft hatte, keinen schlimmern Feind habe als Rußland, und nur dieses die Früchte einer Schmälerung der Türkei einheimsen werde. Schon in seiner ersten Aufzeichnung deutet Ranke an, daß sich Gentz in diesem Sinne gegen ihn ausgesprochen habe. Nun wiederholt er es: „Der Hofrat Gentz leitete noch, wie man damals Wohl sagte, vom Klepperstall") aus die Politik von Österreich und von Europa. Gentz hatte die große Güte, mir sein Bertraueu zu schenken. Ich besuchte thu alle acht Tage einmal. Er war bekanntlich kein Mann, der sich in Dunkel verhüllte; er sprach ohne Zurückhaltung und eben darum gut und überhaupt so, daß er sich selbst genügte. Ich wurde nach und uach einer der besi¬ nn terrichteten Männer in Wien, was die Tagesbegebenheiten anlangte; aber noch viel tiefer ging der Eindruck, den mir die Mitteilungen von Gentz machten. Er war nicht allein der heftigste Gegner der englischen und französischen Politik, die sür Griechenland Partei nahm; bei Cannings Tode fühlte mau sich in Wien von einem Alp befreit. Davon aber befürchtete man nicht so viel, wie von dem alle Tage anwachsenden Mißverständnis mit Rußland. Gentz wiederholte mir die Eindrücke, die ihm die englischen, hauptsächlich aber die russischen Depeschen machten. Er hat mir damals geradezu gesagt: von Ru߬ land bekomme man Erlasse, wie sie schlimmer von Napoleon nicht ausgegangen wären. Ich habe davon nichts zu Papier gebracht, obwohl ich es vielleicht hätte thun sollen; aber ich würde damit in meine Studien ein falsches Element gebracht haben." Von Gesprächen über das zweite Problem — Revolution und Gegen¬ revolution — berichtet Ranke nichts. Ohne eigentlich Gesinnungsgenosse von Gentz zu sein, stand er ihm doch hier viel näher. Deal Gentz war nicht mehr so starrer rationalistischer Absolutist wie zur Zeit des Wiener Kongresses und in deu folgenden Jahren, wo Männer wie Friedrich Schlegel nicht mehr mit ihm übereinstimmten. Ein Jahr zuvor, ehe Ranke nach Wien kam, hat er über ein ebeu erschienenes Buch von Lemonteh üssai «or l'ötadlissemevt M0n.N-ellici»«z alö Ixmis XIV einige Gedanken aufgezeichnet/'"") „Was mich in dem vou Lemonteh aufgestellten Gemälde ergreift — lesen wir da —, ist das Ein Gebäude in der Teinfaltstraße, wo Gentz damals lebte und auch starb. Es ist vor wenigen Jahren abgetragen worden. Siehe „Aus dem Nachlasse Fr. v. Gentz" (1867) 1. S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/423>, abgerufen am 23.07.2024.