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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Teller sich füllen. Mit erfreulicher Schnelligkeit verschwindet wie durch Zauber¬
spruch die nahrhafte Kost, denn die Seeluft hat den Kinderappetit wesentlich
gesteigert. Es geht still zu bei dein Eßgeschäft, denn um der Unruhe zu
wehren, steht an der Wand ans der Mädchenseite die Mahnung: Ruhig beim
Essen! Die Jungen hat man etwas militärischer angefaßt. Bei ihnen heißt
das Wort einfach: Schweig still! Immer und immer tauchen lautlos aus
den Reihen der Kinder gehobene Hände empor, zum Zeichen dafür, daß eine
neue und wieder eine neue Auflage der wohlschmeckenden Suppe gewünscht
wird. Hier sieht man, daß die Seeluft den Stoffwechsel und den Kräfte-
znstand hebt, und so glaubt man auch dem Arzte, der schreibt: "Die Zunahme
des Körpergewichtes, die Besserung des Hautkolorits, die Belebung des Tem¬
peraments, wie sie nach einer sechs- bis achtwöchigen Kur an unserm Meeren
bei Kindern, die aus armseligen Verhältnissen, ans armen Dörfern des Binnen¬
landes oder schlechten Wohnungen unsrer Großstädte stammen, beobachtet wird,
grenzt aus Unglaubliche."

Von der Wand dieses Saales aber, der deu Kindern wohl der liebste
Anfenthalt ist, schaut auf sie das Bild des Mannes herab, der ihnen diese
Stätte geschaffen hat: Beneke, dem Stifter des Vereins für Kinderheilstätten
an den deutschen Seeküsten, ist so inmitten der immer neu hinzukommenden
heilbedürftigen Kinderscharen sein Denkmal gesetzt. Schaut man dem ver¬
gnüglichen Schmausen der Kinder zu, so vergißt mau darüber schier die Armut
und die schweren Leiden, die vielen von ihnen auferlegt siud. Man wird aber
daran gemahnt durch die Sprüche, die an der Stirnseite des Saales dem
Bilde Benekes gegenüberstehen:


Speis Gott, tränk Gott die armen Kind,
Die alle hier auf Erden sind.

Und daneben:


O lieber Gott, dn giebst uns Vrvt,
Hilf uns anch aus des Leibes Not.

Die Wohn- und Schlafräume der Kinder befinden sich in den sechs
Pavillons, die sich um die Mittelgebäude gruppiren, wo die Direktorwohnung,
das Pensionat, die Dampfküche u. a. untergebracht siud. In den Pavillons
liegen im Erdgeschoß das Schulzimmer, der Spielsal und das Kleiderzimmer,
im obern Stock ist der geräumige, mit Ventilativnsschächten versehene Schlaf-
saal mit je vierzig Betten in verschiedner Größe. Hier mich man abends
eintreten, wenn die Kinder, tief ermüdet von der reichlichen Körperbewegung,
in den reinlichen Betten liegen und mit tiefen Zügen die gesunde, durch die
geöffneten Fenster einströmende Luft einatmen! Neben dem Schlafsaale befindet
sich ein Zimmer für mehrere Kinder, die besondrer Pflege bedürfen, und hieran
stößt eine nach Süden gelegene offene Veranda, in der die kleinen Patienten
am Tage geschützt und doch in frischer Luft in ihren Bette" liegen. Man


Teller sich füllen. Mit erfreulicher Schnelligkeit verschwindet wie durch Zauber¬
spruch die nahrhafte Kost, denn die Seeluft hat den Kinderappetit wesentlich
gesteigert. Es geht still zu bei dein Eßgeschäft, denn um der Unruhe zu
wehren, steht an der Wand ans der Mädchenseite die Mahnung: Ruhig beim
Essen! Die Jungen hat man etwas militärischer angefaßt. Bei ihnen heißt
das Wort einfach: Schweig still! Immer und immer tauchen lautlos aus
den Reihen der Kinder gehobene Hände empor, zum Zeichen dafür, daß eine
neue und wieder eine neue Auflage der wohlschmeckenden Suppe gewünscht
wird. Hier sieht man, daß die Seeluft den Stoffwechsel und den Kräfte-
znstand hebt, und so glaubt man auch dem Arzte, der schreibt: „Die Zunahme
des Körpergewichtes, die Besserung des Hautkolorits, die Belebung des Tem¬
peraments, wie sie nach einer sechs- bis achtwöchigen Kur an unserm Meeren
bei Kindern, die aus armseligen Verhältnissen, ans armen Dörfern des Binnen¬
landes oder schlechten Wohnungen unsrer Großstädte stammen, beobachtet wird,
grenzt aus Unglaubliche."

Von der Wand dieses Saales aber, der deu Kindern wohl der liebste
Anfenthalt ist, schaut auf sie das Bild des Mannes herab, der ihnen diese
Stätte geschaffen hat: Beneke, dem Stifter des Vereins für Kinderheilstätten
an den deutschen Seeküsten, ist so inmitten der immer neu hinzukommenden
heilbedürftigen Kinderscharen sein Denkmal gesetzt. Schaut man dem ver¬
gnüglichen Schmausen der Kinder zu, so vergißt mau darüber schier die Armut
und die schweren Leiden, die vielen von ihnen auferlegt siud. Man wird aber
daran gemahnt durch die Sprüche, die an der Stirnseite des Saales dem
Bilde Benekes gegenüberstehen:


Speis Gott, tränk Gott die armen Kind,
Die alle hier auf Erden sind.

Und daneben:


O lieber Gott, dn giebst uns Vrvt,
Hilf uns anch aus des Leibes Not.

Die Wohn- und Schlafräume der Kinder befinden sich in den sechs
Pavillons, die sich um die Mittelgebäude gruppiren, wo die Direktorwohnung,
das Pensionat, die Dampfküche u. a. untergebracht siud. In den Pavillons
liegen im Erdgeschoß das Schulzimmer, der Spielsal und das Kleiderzimmer,
im obern Stock ist der geräumige, mit Ventilativnsschächten versehene Schlaf-
saal mit je vierzig Betten in verschiedner Größe. Hier mich man abends
eintreten, wenn die Kinder, tief ermüdet von der reichlichen Körperbewegung,
in den reinlichen Betten liegen und mit tiefen Zügen die gesunde, durch die
geöffneten Fenster einströmende Luft einatmen! Neben dem Schlafsaale befindet
sich ein Zimmer für mehrere Kinder, die besondrer Pflege bedürfen, und hieran
stößt eine nach Süden gelegene offene Veranda, in der die kleinen Patienten
am Tage geschützt und doch in frischer Luft in ihren Bette» liegen. Man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/415>, abgerufen am 25.08.2024.