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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Herr

Jahre nach dein Regierungsantritt des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, angeblich
weil er von seinen geheimen Verhandlungen mit Österreich nicht lassen konnte,
seiner Ämter enthuben und in Spandau gefangen gesetzt worden sein. Es
geht sogar eine Sage, daß er bei Nacht in dem Spandauer Forst auf Befehl
des Kurfürsten enthauptet worden sei. Diese von der Geschichte gelieferten,
übrigens nicht ganz feststehenden Umrisse hat Wildenbruch in seiner Art be¬
nutzt. Als der junge Kurfürst mit dem Berater und Beherrscher seines schwachen
Vaters Abrechnung hält, bricht der mit souveräner Macht bekleidete Statthalter
der Mark Brandenburg anfangs unter der Wucht der Anklage zusammen.
Aber er erhebt sich bald wieder, indem er sich mit dein vollen Pathos der
Überzeugung darauf beruft, daß er in dem Bündnisse mit Osterreich das Heil
des ihm anvertrauten Landes gesehen, und daß nur Menschenverachtung ihn
dazu getrieben habe, sich über alle kleinen Geister zu erheben und sich ein
stolzes Haus über dem Getriebe der Krämerseelen zu erbauen. Jetzt habe sich
ihm zum erstenmale in dem jungen kurfürstlichen Herrn ein überlegener Geist
enthüllt, zu dem er bewundernd emporblicke, und dem zu dienen ihm eine Lust
sein werde. Der "neue Herr," der den alten Diener seines Vaters in seinem
Schmerze wieder aufrichten will, verspricht, ihn auch ferner in seinem Amte
zu belassen, wenn er zur Erhärtung seiner Treue die widerspenstigen Obersten
der brandenburgischen Regimenter, die kurz zuvor dein Kaiser Ferdinand den
Treuschwur geleistet haben, wieder zu ihrer Pflicht zurückführen wolle. Während
Graf Schwarzenberg in der folgenden Szene als ehrlicher Diener seine Bered¬
samkeit aufbietet, um den Befehlen des Kurfürsten nachzukommen, stößt er bei
einem Teile der Obersten, an deren Spitze der steifnackige märkische Junker
Moritz August von Rochow steht, auf entschieden Widerstand. Es kommt zu
einem heftigen Wortwechsel, die gewaltthätigen Offiziere wollen den alten Mann
gefangen setzen -- da entzieht ihn ein tötlicher Schlagfluß dein unversöhnlichen
Konflikt zwischen seiner politischen Vergangenheit, die eng mit den Interessen
des Hauses Habsburg verknüpft war, und den Diensten, die er dem "neuen
Herrn" zu leisten gelobt hat.

Wenn man von dem Chcirakterzuge der Menschenverachtung absieht, hat
diese von dem Dichter gezeichnete Figur nicht die geringste Ähnlichkeit mit
einem noch lebenden großen Staatsmanne der neuesten Zeit, und damit schwindet
die politische Bedeutung, die die Aufführung des Wildcubruchscheu Dramas im
voraus zu einem ungewöhnlichen Ereignisse gestempelt hatte. Es bleibt nur
die künstlerische zurück, und damit verfällt das Schauspiel der ästhetischen
Kritik, die freilich nicht den Maßstab daran legen darf, mit dem um: wirkliche
Kunstwerke mißt. Wie in den "Quitzows" und dem "Generalfeldobersteu,"
der für Berlin und ganz Preußen verboten wurde, angeblich wegen leiden¬
schaftlicher Ausfälle gegen die Politik des Hauses Habsburg, an denen es
übrigens auch in dem "Neuen Herrn" keineswegs fehlt, so bietet auch dieses


Grenzl'vier I 1891. 48
Der neue Herr

Jahre nach dein Regierungsantritt des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, angeblich
weil er von seinen geheimen Verhandlungen mit Österreich nicht lassen konnte,
seiner Ämter enthuben und in Spandau gefangen gesetzt worden sein. Es
geht sogar eine Sage, daß er bei Nacht in dem Spandauer Forst auf Befehl
des Kurfürsten enthauptet worden sei. Diese von der Geschichte gelieferten,
übrigens nicht ganz feststehenden Umrisse hat Wildenbruch in seiner Art be¬
nutzt. Als der junge Kurfürst mit dem Berater und Beherrscher seines schwachen
Vaters Abrechnung hält, bricht der mit souveräner Macht bekleidete Statthalter
der Mark Brandenburg anfangs unter der Wucht der Anklage zusammen.
Aber er erhebt sich bald wieder, indem er sich mit dein vollen Pathos der
Überzeugung darauf beruft, daß er in dem Bündnisse mit Osterreich das Heil
des ihm anvertrauten Landes gesehen, und daß nur Menschenverachtung ihn
dazu getrieben habe, sich über alle kleinen Geister zu erheben und sich ein
stolzes Haus über dem Getriebe der Krämerseelen zu erbauen. Jetzt habe sich
ihm zum erstenmale in dem jungen kurfürstlichen Herrn ein überlegener Geist
enthüllt, zu dem er bewundernd emporblicke, und dem zu dienen ihm eine Lust
sein werde. Der „neue Herr," der den alten Diener seines Vaters in seinem
Schmerze wieder aufrichten will, verspricht, ihn auch ferner in seinem Amte
zu belassen, wenn er zur Erhärtung seiner Treue die widerspenstigen Obersten
der brandenburgischen Regimenter, die kurz zuvor dein Kaiser Ferdinand den
Treuschwur geleistet haben, wieder zu ihrer Pflicht zurückführen wolle. Während
Graf Schwarzenberg in der folgenden Szene als ehrlicher Diener seine Bered¬
samkeit aufbietet, um den Befehlen des Kurfürsten nachzukommen, stößt er bei
einem Teile der Obersten, an deren Spitze der steifnackige märkische Junker
Moritz August von Rochow steht, auf entschieden Widerstand. Es kommt zu
einem heftigen Wortwechsel, die gewaltthätigen Offiziere wollen den alten Mann
gefangen setzen — da entzieht ihn ein tötlicher Schlagfluß dein unversöhnlichen
Konflikt zwischen seiner politischen Vergangenheit, die eng mit den Interessen
des Hauses Habsburg verknüpft war, und den Diensten, die er dem „neuen
Herrn" zu leisten gelobt hat.

Wenn man von dem Chcirakterzuge der Menschenverachtung absieht, hat
diese von dem Dichter gezeichnete Figur nicht die geringste Ähnlichkeit mit
einem noch lebenden großen Staatsmanne der neuesten Zeit, und damit schwindet
die politische Bedeutung, die die Aufführung des Wildcubruchscheu Dramas im
voraus zu einem ungewöhnlichen Ereignisse gestempelt hatte. Es bleibt nur
die künstlerische zurück, und damit verfällt das Schauspiel der ästhetischen
Kritik, die freilich nicht den Maßstab daran legen darf, mit dem um: wirkliche
Kunstwerke mißt. Wie in den „Quitzows" und dem „Generalfeldobersteu,"
der für Berlin und ganz Preußen verboten wurde, angeblich wegen leiden¬
schaftlicher Ausfälle gegen die Politik des Hauses Habsburg, an denen es
übrigens auch in dem „Neuen Herrn" keineswegs fehlt, so bietet auch dieses


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[0385] Der neue Herr Jahre nach dein Regierungsantritt des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, angeblich weil er von seinen geheimen Verhandlungen mit Österreich nicht lassen konnte, seiner Ämter enthuben und in Spandau gefangen gesetzt worden sein. Es geht sogar eine Sage, daß er bei Nacht in dem Spandauer Forst auf Befehl des Kurfürsten enthauptet worden sei. Diese von der Geschichte gelieferten, übrigens nicht ganz feststehenden Umrisse hat Wildenbruch in seiner Art be¬ nutzt. Als der junge Kurfürst mit dem Berater und Beherrscher seines schwachen Vaters Abrechnung hält, bricht der mit souveräner Macht bekleidete Statthalter der Mark Brandenburg anfangs unter der Wucht der Anklage zusammen. Aber er erhebt sich bald wieder, indem er sich mit dein vollen Pathos der Überzeugung darauf beruft, daß er in dem Bündnisse mit Osterreich das Heil des ihm anvertrauten Landes gesehen, und daß nur Menschenverachtung ihn dazu getrieben habe, sich über alle kleinen Geister zu erheben und sich ein stolzes Haus über dem Getriebe der Krämerseelen zu erbauen. Jetzt habe sich ihm zum erstenmale in dem jungen kurfürstlichen Herrn ein überlegener Geist enthüllt, zu dem er bewundernd emporblicke, und dem zu dienen ihm eine Lust sein werde. Der „neue Herr," der den alten Diener seines Vaters in seinem Schmerze wieder aufrichten will, verspricht, ihn auch ferner in seinem Amte zu belassen, wenn er zur Erhärtung seiner Treue die widerspenstigen Obersten der brandenburgischen Regimenter, die kurz zuvor dein Kaiser Ferdinand den Treuschwur geleistet haben, wieder zu ihrer Pflicht zurückführen wolle. Während Graf Schwarzenberg in der folgenden Szene als ehrlicher Diener seine Bered¬ samkeit aufbietet, um den Befehlen des Kurfürsten nachzukommen, stößt er bei einem Teile der Obersten, an deren Spitze der steifnackige märkische Junker Moritz August von Rochow steht, auf entschieden Widerstand. Es kommt zu einem heftigen Wortwechsel, die gewaltthätigen Offiziere wollen den alten Mann gefangen setzen — da entzieht ihn ein tötlicher Schlagfluß dein unversöhnlichen Konflikt zwischen seiner politischen Vergangenheit, die eng mit den Interessen des Hauses Habsburg verknüpft war, und den Diensten, die er dem „neuen Herrn" zu leisten gelobt hat. Wenn man von dem Chcirakterzuge der Menschenverachtung absieht, hat diese von dem Dichter gezeichnete Figur nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem noch lebenden großen Staatsmanne der neuesten Zeit, und damit schwindet die politische Bedeutung, die die Aufführung des Wildcubruchscheu Dramas im voraus zu einem ungewöhnlichen Ereignisse gestempelt hatte. Es bleibt nur die künstlerische zurück, und damit verfällt das Schauspiel der ästhetischen Kritik, die freilich nicht den Maßstab daran legen darf, mit dem um: wirkliche Kunstwerke mißt. Wie in den „Quitzows" und dem „Generalfeldobersteu," der für Berlin und ganz Preußen verboten wurde, angeblich wegen leiden¬ schaftlicher Ausfälle gegen die Politik des Hauses Habsburg, an denen es übrigens auch in dem „Neuen Herrn" keineswegs fehlt, so bietet auch dieses Grenzl'vier I 1891. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/385>, abgerufen am 23.07.2024.