Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der neue Herr

Willen und große Ziele hatte, wenn diese Ziele auch nicht zur Rettung und
zur Stärkung des brandenburgischen Staates führten. Damals wurden
die Worte des Kaisers aber anders ausgelegt, und es fehlte nicht an
offnen und versteckten Hinweisen auf den 18. März 18W. Eine weitere
Nahrung erhielten Gerüchte und Kombinationen dadurch, daß der Kaiser
sich persönlich für die Jnszenirung des Wildenbruchschen Schauspieles
zu interessiren begann, daß er, wie weiter verlautete, alle Einzelheiten
mit lebhafter Teilnahme begleitete und hie und da wohl auch bestimmend
eingriff und daß er zuletzt der Generalprobe von Anfang bis zu Ende bei¬
wohnte. Die Spannung war also aufs höchste gestiegen, und sie wuchs noch
im letzten Augenblick, als dem ins Theater strömenden Publikum durch rote
Zettel bekannt gemacht wurde, daß der Beginn der Vorstellung, deren An¬
kündigung bereits "aus Allerhöchsten Befehl" erfolgt war, ebenfalls "auf Aller¬
höchsten Befehl" um eine halbe Stunde verschoben worden sei.

Daß man in unsrer Zeit aber nicht an Zeichen glauben, noch sie deuten
darf, hat der Verlauf der Borstellung bewiesen, von der man sich aufregende
Zwischenfälle versprochen hatte, die sich aber in dem Nahmen abspielte, der seit
etwa zehn Jahren für alle ersten Aufführungen Wildeubruchscher Dramen der¬
selbe geblieben ist. Im Parket, in den Logen und ersten Rangen ein
Publikum, das in der Erwartung eines vornehmen künstlerischen Genusses ins
Theater gekommen ist und mit einem von Szene zu Szene wachsenden Er¬
staunen gewahr wird, daß der Dichter mit den geschichtlichen Vorgängen um¬
springt wie ein Jongleur mit seinen Bechern und Kugeln, und daß das
Streben nach lärmender Wirkung immer weiter von dichterischer Vertiefung
und künstlerischer Nbrnndnng abführt; im Parterre und auf den Galerien eine
Menge leidenschaftlich erregter Jünglinge, die umso mehr klatschen und jubeln,
je lauter von der Bühne das Wildenbruchsche Pathos hcrabdröhnt, das anch aus
deu "deutschen Versen," wie Wildenbruch die Knittelverse seines neuen Stückes
nennt, seine wohlbekannte Sprache vernehmen ließ. Die auf politische Anspielungen
zugespitzte Spannung des Publikums ließ schon nach den beiden ersten Akten oder,
wie Wildenbruch im Anschluß an seine noch sehr frischen naturalistischen An¬
wandlungen sagt, nach den beiden ersten "Vorgängen" erheblich nach, und an
dieser Stimmung vermochte auch der dritte Alt nichts zu ändern, der eine
wüste Wirtshausszene vorführt, worin die Wildenbruchsche Muse, die jemand
im Einklang mit dem berlinisch-naturalistischen Stil des Dichters treffend die
"Nadanmuse" genannt hat, ihre höchsten Triumphe feiert.

Auch durch deu weitern Verlauf des Schauspiels wurden diejenigen, die
etwa einen Akt dramatischer Gerechtigkeit erwartet hatten, stark enttäuscht.
Gerade in der Zeichnung des Grase" Schwarzenberg und in der Schilderung
seines Schicksals hat sich der Dichter die stärksten Abweichungen von der ge¬
schichtlichen Überlieferung gestattet. Darnach soll Graf Schwarzenberg erst in dem


Der neue Herr

Willen und große Ziele hatte, wenn diese Ziele auch nicht zur Rettung und
zur Stärkung des brandenburgischen Staates führten. Damals wurden
die Worte des Kaisers aber anders ausgelegt, und es fehlte nicht an
offnen und versteckten Hinweisen auf den 18. März 18W. Eine weitere
Nahrung erhielten Gerüchte und Kombinationen dadurch, daß der Kaiser
sich persönlich für die Jnszenirung des Wildenbruchschen Schauspieles
zu interessiren begann, daß er, wie weiter verlautete, alle Einzelheiten
mit lebhafter Teilnahme begleitete und hie und da wohl auch bestimmend
eingriff und daß er zuletzt der Generalprobe von Anfang bis zu Ende bei¬
wohnte. Die Spannung war also aufs höchste gestiegen, und sie wuchs noch
im letzten Augenblick, als dem ins Theater strömenden Publikum durch rote
Zettel bekannt gemacht wurde, daß der Beginn der Vorstellung, deren An¬
kündigung bereits „aus Allerhöchsten Befehl" erfolgt war, ebenfalls „auf Aller¬
höchsten Befehl" um eine halbe Stunde verschoben worden sei.

Daß man in unsrer Zeit aber nicht an Zeichen glauben, noch sie deuten
darf, hat der Verlauf der Borstellung bewiesen, von der man sich aufregende
Zwischenfälle versprochen hatte, die sich aber in dem Nahmen abspielte, der seit
etwa zehn Jahren für alle ersten Aufführungen Wildeubruchscher Dramen der¬
selbe geblieben ist. Im Parket, in den Logen und ersten Rangen ein
Publikum, das in der Erwartung eines vornehmen künstlerischen Genusses ins
Theater gekommen ist und mit einem von Szene zu Szene wachsenden Er¬
staunen gewahr wird, daß der Dichter mit den geschichtlichen Vorgängen um¬
springt wie ein Jongleur mit seinen Bechern und Kugeln, und daß das
Streben nach lärmender Wirkung immer weiter von dichterischer Vertiefung
und künstlerischer Nbrnndnng abführt; im Parterre und auf den Galerien eine
Menge leidenschaftlich erregter Jünglinge, die umso mehr klatschen und jubeln,
je lauter von der Bühne das Wildenbruchsche Pathos hcrabdröhnt, das anch aus
deu „deutschen Versen," wie Wildenbruch die Knittelverse seines neuen Stückes
nennt, seine wohlbekannte Sprache vernehmen ließ. Die auf politische Anspielungen
zugespitzte Spannung des Publikums ließ schon nach den beiden ersten Akten oder,
wie Wildenbruch im Anschluß an seine noch sehr frischen naturalistischen An¬
wandlungen sagt, nach den beiden ersten „Vorgängen" erheblich nach, und an
dieser Stimmung vermochte auch der dritte Alt nichts zu ändern, der eine
wüste Wirtshausszene vorführt, worin die Wildenbruchsche Muse, die jemand
im Einklang mit dem berlinisch-naturalistischen Stil des Dichters treffend die
„Nadanmuse" genannt hat, ihre höchsten Triumphe feiert.

Auch durch deu weitern Verlauf des Schauspiels wurden diejenigen, die
etwa einen Akt dramatischer Gerechtigkeit erwartet hatten, stark enttäuscht.
Gerade in der Zeichnung des Grase» Schwarzenberg und in der Schilderung
seines Schicksals hat sich der Dichter die stärksten Abweichungen von der ge¬
schichtlichen Überlieferung gestattet. Darnach soll Graf Schwarzenberg erst in dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0384" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209617"/>
          <fw type="header" place="top"> Der neue Herr</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1078" prev="#ID_1077"> Willen und große Ziele hatte, wenn diese Ziele auch nicht zur Rettung und<lb/>
zur Stärkung des brandenburgischen Staates führten. Damals wurden<lb/>
die Worte des Kaisers aber anders ausgelegt, und es fehlte nicht an<lb/>
offnen und versteckten Hinweisen auf den 18. März 18W. Eine weitere<lb/>
Nahrung erhielten Gerüchte und Kombinationen dadurch, daß der Kaiser<lb/>
sich persönlich für die Jnszenirung des Wildenbruchschen Schauspieles<lb/>
zu interessiren begann, daß er, wie weiter verlautete, alle Einzelheiten<lb/>
mit lebhafter Teilnahme begleitete und hie und da wohl auch bestimmend<lb/>
eingriff und daß er zuletzt der Generalprobe von Anfang bis zu Ende bei¬<lb/>
wohnte. Die Spannung war also aufs höchste gestiegen, und sie wuchs noch<lb/>
im letzten Augenblick, als dem ins Theater strömenden Publikum durch rote<lb/>
Zettel bekannt gemacht wurde, daß der Beginn der Vorstellung, deren An¬<lb/>
kündigung bereits &#x201E;aus Allerhöchsten Befehl" erfolgt war, ebenfalls &#x201E;auf Aller¬<lb/>
höchsten Befehl" um eine halbe Stunde verschoben worden sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1079"> Daß man in unsrer Zeit aber nicht an Zeichen glauben, noch sie deuten<lb/>
darf, hat der Verlauf der Borstellung bewiesen, von der man sich aufregende<lb/>
Zwischenfälle versprochen hatte, die sich aber in dem Nahmen abspielte, der seit<lb/>
etwa zehn Jahren für alle ersten Aufführungen Wildeubruchscher Dramen der¬<lb/>
selbe geblieben ist. Im Parket, in den Logen und ersten Rangen ein<lb/>
Publikum, das in der Erwartung eines vornehmen künstlerischen Genusses ins<lb/>
Theater gekommen ist und mit einem von Szene zu Szene wachsenden Er¬<lb/>
staunen gewahr wird, daß der Dichter mit den geschichtlichen Vorgängen um¬<lb/>
springt wie ein Jongleur mit seinen Bechern und Kugeln, und daß das<lb/>
Streben nach lärmender Wirkung immer weiter von dichterischer Vertiefung<lb/>
und künstlerischer Nbrnndnng abführt; im Parterre und auf den Galerien eine<lb/>
Menge leidenschaftlich erregter Jünglinge, die umso mehr klatschen und jubeln,<lb/>
je lauter von der Bühne das Wildenbruchsche Pathos hcrabdröhnt, das anch aus<lb/>
deu &#x201E;deutschen Versen," wie Wildenbruch die Knittelverse seines neuen Stückes<lb/>
nennt, seine wohlbekannte Sprache vernehmen ließ. Die auf politische Anspielungen<lb/>
zugespitzte Spannung des Publikums ließ schon nach den beiden ersten Akten oder,<lb/>
wie Wildenbruch im Anschluß an seine noch sehr frischen naturalistischen An¬<lb/>
wandlungen sagt, nach den beiden ersten &#x201E;Vorgängen" erheblich nach, und an<lb/>
dieser Stimmung vermochte auch der dritte Alt nichts zu ändern, der eine<lb/>
wüste Wirtshausszene vorführt, worin die Wildenbruchsche Muse, die jemand<lb/>
im Einklang mit dem berlinisch-naturalistischen Stil des Dichters treffend die<lb/>
&#x201E;Nadanmuse" genannt hat, ihre höchsten Triumphe feiert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1080" next="#ID_1081"> Auch durch deu weitern Verlauf des Schauspiels wurden diejenigen, die<lb/>
etwa einen Akt dramatischer Gerechtigkeit erwartet hatten, stark enttäuscht.<lb/>
Gerade in der Zeichnung des Grase» Schwarzenberg und in der Schilderung<lb/>
seines Schicksals hat sich der Dichter die stärksten Abweichungen von der ge¬<lb/>
schichtlichen Überlieferung gestattet. Darnach soll Graf Schwarzenberg erst in dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0384] Der neue Herr Willen und große Ziele hatte, wenn diese Ziele auch nicht zur Rettung und zur Stärkung des brandenburgischen Staates führten. Damals wurden die Worte des Kaisers aber anders ausgelegt, und es fehlte nicht an offnen und versteckten Hinweisen auf den 18. März 18W. Eine weitere Nahrung erhielten Gerüchte und Kombinationen dadurch, daß der Kaiser sich persönlich für die Jnszenirung des Wildenbruchschen Schauspieles zu interessiren begann, daß er, wie weiter verlautete, alle Einzelheiten mit lebhafter Teilnahme begleitete und hie und da wohl auch bestimmend eingriff und daß er zuletzt der Generalprobe von Anfang bis zu Ende bei¬ wohnte. Die Spannung war also aufs höchste gestiegen, und sie wuchs noch im letzten Augenblick, als dem ins Theater strömenden Publikum durch rote Zettel bekannt gemacht wurde, daß der Beginn der Vorstellung, deren An¬ kündigung bereits „aus Allerhöchsten Befehl" erfolgt war, ebenfalls „auf Aller¬ höchsten Befehl" um eine halbe Stunde verschoben worden sei. Daß man in unsrer Zeit aber nicht an Zeichen glauben, noch sie deuten darf, hat der Verlauf der Borstellung bewiesen, von der man sich aufregende Zwischenfälle versprochen hatte, die sich aber in dem Nahmen abspielte, der seit etwa zehn Jahren für alle ersten Aufführungen Wildeubruchscher Dramen der¬ selbe geblieben ist. Im Parket, in den Logen und ersten Rangen ein Publikum, das in der Erwartung eines vornehmen künstlerischen Genusses ins Theater gekommen ist und mit einem von Szene zu Szene wachsenden Er¬ staunen gewahr wird, daß der Dichter mit den geschichtlichen Vorgängen um¬ springt wie ein Jongleur mit seinen Bechern und Kugeln, und daß das Streben nach lärmender Wirkung immer weiter von dichterischer Vertiefung und künstlerischer Nbrnndnng abführt; im Parterre und auf den Galerien eine Menge leidenschaftlich erregter Jünglinge, die umso mehr klatschen und jubeln, je lauter von der Bühne das Wildenbruchsche Pathos hcrabdröhnt, das anch aus deu „deutschen Versen," wie Wildenbruch die Knittelverse seines neuen Stückes nennt, seine wohlbekannte Sprache vernehmen ließ. Die auf politische Anspielungen zugespitzte Spannung des Publikums ließ schon nach den beiden ersten Akten oder, wie Wildenbruch im Anschluß an seine noch sehr frischen naturalistischen An¬ wandlungen sagt, nach den beiden ersten „Vorgängen" erheblich nach, und an dieser Stimmung vermochte auch der dritte Alt nichts zu ändern, der eine wüste Wirtshausszene vorführt, worin die Wildenbruchsche Muse, die jemand im Einklang mit dem berlinisch-naturalistischen Stil des Dichters treffend die „Nadanmuse" genannt hat, ihre höchsten Triumphe feiert. Auch durch deu weitern Verlauf des Schauspiels wurden diejenigen, die etwa einen Akt dramatischer Gerechtigkeit erwartet hatten, stark enttäuscht. Gerade in der Zeichnung des Grase» Schwarzenberg und in der Schilderung seines Schicksals hat sich der Dichter die stärksten Abweichungen von der ge¬ schichtlichen Überlieferung gestattet. Darnach soll Graf Schwarzenberg erst in dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/384
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/384>, abgerufen am 23.07.2024.